Uns geht’s zu gut!

Der Offenbarungseid, den die US-Amerikaner mittels ihrer Fernsehserien seit je her gegenüber der Welt leisten, steht in deutschen Landen noch aus. Sie wissen schon, was ich meine, denn nicht selten kämpfen in diesen Serien Einzelne illegal für ihre Familie (family ist sicher das meistverwendete Wort in us-amerikanischen Drama-Serien, noch vor fuck), und zwar einfach deswegen, weil sie ihr Recht mangels Vertretung nicht durchsetzen können; es fehlt an Geld oder auch schlicht an so etwas wie einem funktionierenden Krankenversicherungssystem. So ist der Bösewicht zwar ein schlechter Mensch und verantwortlich für Tod und Unglück anderer, weiß aber immerhin die Kernhülle seiner selbst und damit auch sich als Individuum zu schützen. Das ist sympathisch und man würde es selbst genau so machen, dazu muss man nicht mal Mutter sein, was man als Mann ja sowieso nicht sein kann. Er oder sie gerät also in Konflikt mit dem Staatswesen, David gegen Goliath, weil dieses Wesen, das sich Staat nennt, seinen Pflichten nicht nachgekommen ist, nämlich dem Schutz aller seiner Bürger. Man kann das freie Marktwirtschaft nennen oder Neoliberalimus oder den Lauf der Natur, darauf kommt es nicht an. Diese Wirklichkeit – dass nämlich als schützende Hülle des Individuums heutigenstags eher nur noch die Familie wahrgenommen wird (oder der Clan, die Bande, die Genossen, die Stammesbrüder) und nicht mehr eine große, vielgestalte Gemeinschaft – aber sollte zumindest ernsthaft und unterhaltsam erzählerisch gestaltet werden, ganz gleich in welchem Medium, Film, Theater, Literatur, damit die Sache selbst den Menschen vor Augen geführt und somit spruchreif wird. Damit ein Diskurs entstehen kann. Hermann Broch tat dies, nämlich die dringendsten Probleme der eigenen (damaligen) Gesellschaft zur Sprache zu bringen, mit seiner Romantrilogie Die Schlafwandler, Thomas Mann schrieb den Zauberberg, Robert Musil seinen Mann ohne Eigenschaften und Alfred Döblin Berlin Alexanderplatz – aber kann man überhaupt, die Frage stellt sich, den Menschen heutigentags noch das Lesen dicker, ernsthafter und anspruchsvoll geschriebener Romane zumuten? Natürlich nicht. Auch zu bedenken ist, dass die angesprochenen us-amerikanischen Serien ja innerhalb des Systems funktionieren müssen, also ordentlich Geld einzuspielen haben, was aber nicht als Manko, sondern als Gestaltungsfreiheit begriffen werden muss, die in den besseren Fällen dazu führt, Anspruch und Unterhaltung zusammenzuführen zu einem schönen und zum Selberdenken anregenden Produkt. Ist das in Deutschland möglich angesichts eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, einer schalen Großverlagslandschaft, in der studierte Diplomidioten ihre spießigen Vorstellungen von Kunst und Kultur durchzusetzen wissen? Nein, das ist nicht möglich, da sind uns die US-Amerikaner einfach weit voraus, einfach weil dort drüben vieles so richtig scheiße ist. Und woraus sprießt Kunst gemeinhin am besten? Richtig! Also warten wir’s ab, besser wird’s nicht werden.

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