Februarbrief (2012)

Glauben Sie’s oder glauben Sie’s nicht, aber die Prenzlauer Berge haben sich (fast) endgültig neu eingetaktet. Schneller und hipper geht’s nun in Neukölln ab, die gleichen Gestalten wie vor zehn, fünfzehn Jahren tun das Selbe wie … wir damals. In einem Land, in dem jeder Quadratmillimeter irgendjemandem gehört, muß der Einzelne nicht die Prärie erobern, sondern an Ort und Stelle hin und her ticken, Geld verdienen oder wenigstens bekommen und es vor allem wieder ausgeben. Natürlich, man kann sein Geld auch für Safaris aufsparen, keine Frage, Hauptsache aber, es wird wieder in den Strom geleitet, an dem der eine Mensch mit der Angel sitzt, der andere mit dem Netz, während die ganz Abgebrühten es mit dem Geldkutter befahren und Schleppnetze haben. So ist die Welt, hart aber ungerecht. Hat jemand eine Angel abzugeben?

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Christian Krachts „IMPERIUM“ – Leseeindrücke

Meinem eigenen Ratschlag folgend habe ich IMPERIUM von Christian Kracht nun von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. Es ist eine Erzählung, durchaus kein Roman, deren Handlung sich in so wenigen Worten erzählen läßt, daß diese Gelegenheit nun bereits wieder der Vergangenheit angehört. Was nun soll ich von dem Buch halten? Ich habe, meiner Gewohnheit gemäß, zuvor keine der Kritiken gelesen, auch nicht die im SPIEGEL, von der aber so einiges zu vernehmen war. Immerhin kann ich Kracht nun vollkommen in Schutz nehmen gegen die Auswürfe des spiegelschen Herrn Diez, die so lächerlich sind, daß man den Mantel des Schweigens darüberlegen müßte, würde er Christian Kracht damit nicht übel verunglimpfen. Letzterer wird sich aber selbst zu wehren wissen, falls er dies noch für nötig erachtet, sind ihm doch schon viele Kritiker, Verleger und Schriftsteller zur Seite gesprungen, eben jenen diezschen Anschlag abzuwehren.

Warum Kracht aus seiner Idee und aus diesem Stoff nicht einen vollgültigen Roman gemacht hat, mit lebendigen, in ihrer Entwicklung nachvollziehbaren poetischen Ichs, das muß wohl sein Geheimnis bleiben. Elfriede Jelinek nennt das Ganze einen Abenteuerroman, und ich denke, darauf kann man sich einigen. Ein paar Jahre mehr Arbeitszeit hätten aus dem Stoff aber sicherlich einen dickleibigen Zeit- und Schlüsselroman machen können, in dem das Abenteuer zwar seine Rolle spielt, die Protagonisten aber dennoch mehr sind als nur Typen beziehungsweise normative Ichs. Mich jedenfalls überkam beim Lesen des öfteren die Langeweile, denn die immer gleiche erzählerische Distanz zu den Protagonisten, gewürzt mit gelegentlichen Einblicken in deren Psyche, kommt kaum über die Aussagekraft einer Zeichnung hinaus, wie überhaupt die Erzählung ein wenig wirkt wie ein altmodisches Comic ohne Biß. (Auch Thomas Pynchon hat sich ja in GEGEN DEN TAG einer ganz ähnlichen Erzählweise befleißigt, allerdings führt er seine Protagonisten nicht nur vor, sondern läßt sie selbst sprechen – die abenteuerliche Handlung wird durch Dialoge und damit durch die Aufdeckung oder wenigstens Andeutung von Absichten und Motiven nicht selten vorangetrieben.) Nun, ich bin jedenfalls ein wenig enttäuscht von dem krachtschen Text, ich habe mir schlicht mehr erwartet als nur einen Abenteuerroman, deren Personal mir in Gänze egal bleiben mußte. Schade.

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Das Schreiben von Romanen (11)

In Nebensätzen wird der Roman immer noch gerne als „Königsdisziplin“ bezeichnet, ganz zu recht natürlich. Gelegentlich wird darüber aber vergessen, daß es sich bei den hochwertigen Produkten dieses Genres um Kunstwerke handelt, die in sich funktionieren und weder im engeren Sinne plump politisch noch einfach nur schlicht unterhaltend sein können. Die im Augenblick virulente Diskussion um Christian Krachts Roman IMPERIUM zeigt allerdings, wie sehr das hochwertige Kunstprodukt den gebildeten und intelligenten, den scharfsinnigen Leser benötigt, der zudem noch Humor haben muß und Charakter. Niemand erwartet von einem Kulturjournalisten des SPIEGEL solcherart Eigenschaften, dennoch aber hat die diezsche Kritik am krachtschen Roman eine heftige Gegenreaktion ausgelöst, denn man kann zwar den Diez ignorieren (die alte Frage: soll man humorlose Vollidioten mißachten oder bekämpfen), nicht aber das machtvolle Blatt für Möchtegernintellektuelle und Lehrer, wo es die gar so wichtige Bestseller-Liste für gebundene Bücher zu bewundern gibt, auf deren ersten Platz es Krachts Roman hoffentlich schafft. Also kaufen Sie das Buch und lesen Sie es!

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Das Schreiben von Romanen (10)

Es überhaupt zu schaffen, einen langen, zusammenhängenden erzählenden Text zu schreiben, ist an sich schon aller Ehren wert. Das spüren selbst jene, die allein mit Mißgunst, Mißtrauen und Mißachtung auf jede Art von Kunst reagieren, denn eine Ahnung des Unterschiedes zwischen Tier und Mensch haben auch sie, eben deswegen. Natürlich sollte nicht außer acht gelassen werden, daß auch ein Roman nur ein Produkt ist, manchmal (aber sehr selten) eine Neuentwicklung des seit gut zweieinhalb Jahrhunderten Bekannten, meistenteils aber in Kern und Wesen doch „nur“ das Übliche. Dennoch oder gerade deshalb ist von solch einem Produkt das Unmöglichste zu fordern, nämlich Perfektion, nicht allerdings bezogen auf die nüchterne Produkteigenschaft, sondern allein auf die Wirkung während des Lesevorganges und auf die, die nach diesem bleibt, in Kopf und Gemüt. Der Leser gestaltet lesend den Text naturgemäß maßgeblich mit, das ist bekannt, und wer einem Roman die Qualität abspricht, der möge doch sich selbst als Teil des Lesegeschehens mit einbeziehen, vor allem wenn „objektiv“ nichts zu bemängeln ist. Interessanterweise ist ein Roman aber dennoch nicht etwa nur so etwas wie eine halbfertige Vorlage, denn der Autor des Romans ist immer beides, Schreibender und (Erst-)Lesender in einem, woraus eben eben dieser Zwang zur Perfektion resultiert.

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Das Schreiben von Romanen (9)

Jetzt mal Butter bei die Fische! Will sagen, jetzt beginnt die Arbeit an meinem Roman noch befriedigender zu werden, denn nun fülle ich ihn auf, die Personen in ihm werden also zu Menschen, zu poetischen Ichs, wenn sie denn sollen (andere bleiben dagegen und im Kontrast dazu normativ), die Dinge bekommen Kontur, die Bewegungen werden stimmiger, die Bezüge werden deutlicher, die Präzision wird höher, alles wird lebendiger. Natürlich war (bis auf das noch nicht geschriebene vorletzte Kapitel) die Geschichte auch zuvor schon vorhanden, nun aber kommen Kleinigkeiten hinzu, weitere Gedanken und Dialoge, Reaktionen und Gefühlsäußerungen, kurz: das Leben selbst. Natürlich muß auch die Sprache noch weiter verfeinert werden, der Rhythmus muß stimmen, die Brüche im Ablauf müssen nicht nur mit, sondern auch in der Sprache vermittelt werden, und so weiter und so weiter. Bis Ende diesen Jahres sollte die Arbeit am Manuskript von meiner Seite aus „abgeschlossen“ sein, so etwas darf nicht ewig und drei Tage dauern, und außerdem muß ja auch der Prozeß des Lektorierens und der Herstellung noch draufgeschlagen werden. Und nicht zu vergessen: es köchelt bereits eine neue Idee, noch auf kleiner Flamme.

Nachtrag: Blogger:innen schreiben nicht nur im Netz, sondern auch auf Papier. Vor allem Bloggerinnen, wie es scheint, denn eine jener hat nun ihren ersten Roman herausgebracht. Alles zu Das Geräusch des Werdens finden Sie dort.

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Das Schreiben von Romanen (8)

Im selben Dreck zu wühlen wie die Kollegen ist durchaus schweinisch, und den meisten gefällt es. Seinen eigenen Schweinekoben haben zu wollen gilt dagegen als ein wenig eigen, und das ist es auch. Ich für meinen Teil habe nur wenige Bücher von sogenannten Zeitgenossen in meiner Bibliothek, dafür umso mehr solche, die in früheren Zeiten die Zeitgenossenschaft überlebt haben und weiter lebendig sind, allein durch ihre literarische Qualität. Sie sind, pflege ich zu sagen, gut abgehangen, wie beispielsweise Achim von Arnims Roman ‚Die Kronenwächter‚, der bereits den Zeitgenossen als das gelten mußte, was heutigentags von den Marktstrategen ein historischer Roman genannt wird. Die Einleitung beginnt mit der Beschwörung der kleinsten Zeiteinheit des Literaten, nämlich mit „Wieder ein Tag vorüber in der Einsamkeit der Dichtung!“, worauf eine Klage folgt, wie gemeinhin mit den Werken des Geistes früherer Jahrhunderte umgegangen wird, indem sie nämlich entweder als unverständlich und unbrauchbar angesehen und damit aufgegeben, oder mit sinnloser Verehrung angestaunt werden. Daran hat sich seit dem frühen 19. Jahrhundert nichts geändert, obgleich die elementaren Fragen der Menschheit die selben geblieben sind und sich auch der Mensch nicht entscheidend hat verändern können in den letzten Jahrtausenden. So gesehen ist es nur natürlich, im selben Dreck wie alle zu wühlen, nur sich einpferchen lassen, das sollte durchaus nicht sein. Wie gesagt, es finden sich nicht eben viele Zeitgenossen in meiner Bücherwand.

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Das Schreiben von Romanen (7)

So wir nun also die „Zeit zwischen den Jahren“ ganz heidnisch ertragen und damit überwunden haben, wenden wir uns wieder dem Roman zu. Wir, das bin ich. Neben dem Schreiben des eigenen lese ich zur Zeit viele, die zwischen den Kriegen entstanden sind, Robert Walsers Jakob von Gunten, Franz Werfels Der Abituriententag und, nach ziemlich genau 25 Jahren zum zweiten Male, den Zauberberg von Thomas Mann. Auch Walsers Roman lese ich nicht zum ersten Mal. Mein eigener, sich in Arbeit befindlicher Roman wartet derweil auf Weiterbearbeitung, zu der wir uns Anfang des Jahres nicht recht aufraffen können, denn so schrecklich der November auch vielen erscheinen mag, Anfang Januar ist die Hölle. Dazu kommt nun auch noch, wir sind selber schuld, daß nun die gelesenen, herausragenden Werke den Gipfel des Möglichen aufzeigen, zu dem wir selber gerne möchten, derweil wir ihn sehen, eben einmal das Vorgebirge erklimmend. Doch da müssen wir durch, wollen wir hinauf, so weit es uns möglich ist.

Was aber sollen Bilder, Metaphern und Vergleiche anderes bewirken als Frust, der sich schließlich nur mit Arbeit bekämpfen läßt? Immerhin aber ist der Frust nur oberflächlich, anders als der, der doch sicher aufgetreten wäre, fänden wir uns nun, in unserem Alter, als ein, sagen wir, Literaturliebhaber wieder, dem selbst nicht eine überzeugende Zeile gelingen will. Da hilft dann auch kein Seelenklempner mehr. Also frisch ran ans eigene Werk – vielleicht nicht sofort und mit ungebändigtem Elan, aber doch bald, bald schon, denn die Welt will bereichert, der Gipfel erklommen sein. So jedenfalls ist zu hoffen. Und zwischen den Kriegen ist ja, leider, immer.  

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Das Schreiben von Romanen (6)

Das Schreiben eines Romans ist nichts anderes als eine Form des Krieges mit und damit auch gegen sich selbst. Der Krieg mit Verlegern und Kritikern kann somit nur begonnen werden, wenn der allem zugrundeliegende gewonnen ist. Doch eben dies ist unmöglich, was nicht heißen soll, es sei denkbar, diesen Krieg mirnichtsdirnichts verlorenzugeben. Christian Morgenstern schreibt im Jahr 1906 an Robert Walser: „Nicht nur aber sein erster und sein bester sondern auch sein unnachsichtigster Leser zu sein, halte ich für ein Grundprinzip jedes Schriftstellers.“ (Robert Walser: Briefe. st 488. S.42f.) Das sehe ich ebenso, so daß die Haubitzerei unbedingt auch zu den handwerklichen Fähigkeiten des Autors zu gehören hat. Eben dieser Robert Walser hatte eine Neigung, Texte, die er für nicht gelungen erachtete, zu vernichten, was viele Leser als schade empfinden mögen, während ich als Leser dem verehrten Herrn Walser dafür danke. Ich selbst vernichtete letztens erst frühe, teils umfangreiche Manuskripte und fühle mich befreit. Man danke mir also, auch wenn es nicht die Hauptaufgabe eines Schriftstellers ist, sich befreit (oder sauwohl) zu fühlen, doch ich benötigte für meinen aktuellen Krieg um meinen Roman Kraft, besonders da nun die letzten Schlachten zu schlagen sind. Dann erst kommt der angesprochene Krieg mit denen da draußen, und ich sage jetzt schon, daß mir der Untertitel, „Gegenwartsroman“, zugleich Genrebezeichnung und heilig ist. Das kann ja heiter werden.

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Januarbrief/1 (2012)

Ein einsamer Böllerer zog bis zum frühen Morgen durch die Prenzlauer Berge, kam näher, entfernte sich, kam wieder näher, so als habe er eine Aufgabe abzuarbeiten. Hier und da heulten noch die Sirenen der Einsatzfahrzeuge, dann kehrte Ruhe ein.

Was nun also anfangen mit diesen 365 einzelnen Tagen? Viele widmen den ersten Tag sicher dem großen Kater, ich aber werde das Heutige, so entschied ich just aus eben derselben heraus, der Langeweile widmen – wer weiß, wann ich mal wieder dazu komme, in diesem unwahrscheinlichen Jahr mit dem Namen 2012.

Allen Leser:innen ein Frohes Neues!

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Dezemberbrief/4; zwischen den Jahren (2011)

Der Wechsel von Tag und Nacht, der Wechsel der Jahreszeiten, die Sonnenwenden – mehr bleibt uns westlichen Menschen der Moderne nicht von der Natur, abgesehen von der je eigenen des Menschseins schlechthin. Zu dieser menschlichen Natur gehört der Hang zum Rück- und zum Vorausblick, das Verlassen der Gegenwart, was ja durchaus erquickend sein kann. Dennoch sind mir die allseits beliebten Jahresrückblicke zuwider, allenfalls denke ich nun „zwischen den Jahren“ an mein eigenes 2011 zurück, und siehe da, es war ein widerspenstiges Jahr, in dem ich Zuneigungen genossen, Gleichgültigkeiten abgewehrt und Feindseligkeiten ebenso ignoriert habe wie Aufforderungen nach Anpassung, Kleinmachen und Anbiedern. Ich weiß, ich hätte in diesem Jahr 2011 einigemale eher auf mein Gefühl hören sollen, statt der Vernunft und vermeintlicher Pflicht zu gehorchen – Menschen, die wenig oder nichts von mir halten, sind dadurch in unangenehme Situationen gekommen, die nur ich hätte verhindern können. Gleichviel, ich nehme mir nie etwas vor für das „neue“ Jahr, doch ein wenig mehr auf mein Bauchgefühl zu hören, ist sicher nicht falsch – ich will ja schließlich Mensch bleiben in dieser, unserer Welt.

 

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