Siebenkäs

Ich muß oft an Jean Pauls Siebenkäs denken, der ja so schrecklich hin- und hergerissen war zwischen seiner Aufgabe als Armenadvokat im Reichsmarktflecken Kuhschnappel und seinem Freiheitsdrang. Auch bittere Ironie war ihm eigen, etwa wenn er sich die Umweltzerstörung seiner Zeit ansah und den folgenden Ratschlag tat: „Jetzo, da mehr Wälder verkohlen als nachwachsen, ist das einzige Mittel dagegen, daß man das Klima selber einheize und in einen großen Brut-, Darr- und Feldofen umsetze, um die Stubenöfen zu ersparen.“ (Viertes Bändchen, Zwanzigstes Kapitel) Jean Paul war eben durchaus kein Romantiker, von denen es Anfang des 19. Jahrhunderts ohnehin nicht mehr gar so viele gab, inmitten der Restauration nach dem Wiener Kongreß 1814/15 (1818 erschien der ursprünglich 1796 veröffentlichte Roman Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel verändert und erweitert, sozusagen also neu und zeitgemäß). Was also tun in üblen Zeiten, dachte sich Jean Paul, und seine Antwort war, man müsse schreiben, auch über sich selbst, in welcher Form auch immer, denn nur so wird man sich klar über das, was unklar scheint. So heißt es im achtzehnten Kapitel des vierten Bändchens: „So fürchterlich verfälschet die Selbsucht das feinste moralische Gefühl und besticht es zu doppelten Richtersprüchen über einerlei Rechtssache. Ich helfe mir, wenn ich über den Wert eines Charakters oder eines Entschlusses schwankte, sogleich dadurch, daß ich mir ihn naß aus der Presse kommend und in einem Roman oder einer Lebensbeschreibung vorgemalet denke – heiß‘ ich ihn dann noch gut, so ist er sicher gut.“ Das ist wohl eine gute Methode, denke ich mir, sich die Menschen naß vorzustellen – muß ich mir merken.

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