Das hätte ich schneller haben können. 3 oder 4 x schneller. Aber was hätte ich dabei gewonnen? Oder eher, was hätte ich nicht alles verloren? Heute morgen jedenfalls war ich in Alt-Moabit, dort, wo die Spree sich schlängelt, als würde sie sich selbst um den Hals fallen wollen. Den Hinweg hatte ich teilweise per S-Bahn bewältigt, Kurzstrecke, drei Stationen, dann zwanzig Minuten zu Fuß. Spart ’nen Euro, doch deswegen tat ich es nicht, denn Berlin will erlaufen sein, will bespielt werden, sonst könnte man ja auch werweißwo leben. So ging ich also, als der Rückweg anzutreten war, spreeaufwärts links am Ufer entlang, es tröpfelte ein wenig aus schon herbstlichem Himmel, an die Ufer und die Kaimauern flappten fladdernde Wellen, die, ohne sie je erreichen zu können, den Ausflugsschiffen folgten, alle stumm, so als habe man den wenigen Passagieren nichts zu berichten, so als sei das Geplärre durch die Lautsprecher unanständig, wenn denn die liebe Sonne nicht schiene. Bald schon, denn ich schritt zügig voran, bog eine Fahrzeugkolonne ins Schloß Bellevue am anderen Ufer blaubelichtet ein, ich denke, sicher der Bundespräsident, der Verkehr stockt ein wenig, dann ist auch das wieder vorbei und schon Geschichte, das Kanzlerinnenamt, wie gehabt, ich versuche den fremden Blick, so als sei ich ein Besucher aus Allerherrenländer, dann die Kuppel des Reichstags, die Schweizer Botschaft, links bald das Fragment des Hauptbahnhofs. Stadt eben, Berlin eben, auch neue Hotel- und Verwaltungsbauten fallen mir auf, es ist, als würde in die alte Stadt eine neue hineingebaut, hineinverschachtelt, die Invalidenstraße eine einzige Baustelle, der Weg über den alten Friedhof, die alten Gräber und die ganz frischen, die, die einem die Luft nehmen, eines mit Kinderspielzeug und Plüschtieren verziert, noch kein Grabstein, aber die gerahmte Fotografie eines Babies, ich gehe weiter, vorbei an der Wand mit den Namen der dort Urnenbestatteten, Geburtsdatum, Sterbetag, Namen auf Namen, ich verlasse den Friedhof durch’s andere Tor, gehe vorbei an dem nun aufgegebenen Kohlenhandel, der schmale Hof zwischen den Häusern noch kohlrabenschwarz, nasser Kohlenstaub klebt an den unverputzten Wänden, alles leer, verlassen, jahrzehntelang wurde hier gearbeitet, doch nun wartet an der nächsten Ecke sicher schon ein Apartmenthaus, um des nachts in die Lücke zu schlüpfen, det is‘ nämlich Berlin, war’n wa nich‘ schon imma dynamisch und vonna janz schnellen Sorte?, und dann erreiche ich schon den Mauerpark, fast leer und öde liegt er da, es ist zu herbstlich für Musik und Party, doch sind dort nicht ganz frisch kleine Bäumchen gepflanzt worden, ja tatsächlich, das könnte doch hübsch werden, denke ich, in zwanzig Jahren vielleicht, so langsam wird der Streifen ein Park, überlege ich, einer mit Bäumen statt Büschen, und dann, dann bin ich auch schon so gut wie zuhause, nach nicht einmal zwei Stunden Fußweg. Das ging ja schnell! Ich verbuch das mal als zwei Stunden Urlaub, nachdem ich ja gestern schon vier Stunden davon hatte, doch morgen mach ich mich dann endlich wieder an die Romanüberarbeitung, bevor hier noch der Schlendrian einzieht – versprochen!
Immer an der Wand lang
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