Ich habe vier Archivboxen gekauft, ist gar nicht lange her. Ganz voll sind sie noch nicht, doch zum einen ist in den Regalen noch zu Archivierendes zu finden, zum anderen kommen nach und nach neue handschriftlich verfasste Texte hinzu, so es also nur eine Frage der Zeit ist, bis nichts mehr hineinpasst. Falsch! Ganz falsch! Denn ich werde den Teufel tun und alles so lassen, wie es ist! Einiges wird wohl wieder rausmüssen aus den Kisten, da beißt die Maus kein‘ Faden ab. Ausgedruckte Texte der Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen, die nicht in Die Hoffnung stirbt immer am schönsten veröffentlicht sind, bleiben aber drin in der Kiste, das ist sicher, auch die besagten Manuskript-Hefte. Altes, mitunter schlechtes Zeugs aus grauer Vorzeit aber werde ich sicher bald schon prüfen und womöglich vernichten. Was soll die Nachwelt, so die Frage, mit schlechten Texten, die zwar die Vorstufe sind für spätere gute, als solche aber kein Lesevergnügen bereiten und kaum Erkenntnisgewinn bringen können, es sei denn, man zielt darauf ab, dass das Spätere aus jahrelangem Ringen entstanden und dem Autor das Schreiben durchaus nicht in die Wiege gelegt worden ist. Außerdem ist doch die Hauptfrage die, ob in Jahrzehnten überhaupt jemand in diese Archivboxen hineinblicken, ja ob überhaupt jemals ein Interesse bestehen wird, in meiner Schriftstellerbiografie herumzuwühlen. Unwahrscheinlich. Sehr unwahrscheinlich. Zudem müssen die Kisten auch erst einmal in einem Archiv landen. Wer weiß schon, nach welchen Kriterien gesammelt und archiviert werden wird, ob nicht eine Quote oder die Lostrommel entscheidet, was bleibt und was nicht. Ein weiterer Aspekt ist der, dass mir durchaus, und da unterscheide ich mich wohl vom Gros der Schriftsteller, einiges peinlich ist von dem, was ich da mal zu Papier gebracht habe. Is‘ so. Gut möglich also, dass ich die bald anstehenden Rauhnächte dazu nutze, aus innerer Notwendigkeit und durchaus auch mit Vergnügen eine Revision zu machen. Das dazu.

Norbert W. Schlinkert. Straßenfeger.