Die Menschen unter den Romanen

Die Leipziger Buchmesse geht ihrem Ende entgegen, sie schleppt sich wie jedes Jahr ins Ziel. Ich selbst war nur gute zwei Stunden auf dem Messegelände und dann ein paar auf dem Verlagsfest des Kulturmaschinen-Verlags. Um 4:11 Uhr in der Früh verließ ich die Stadt wieder, die im Gegensatz zu Berlin eine echte Buchmesse, einen Weltstadtbahnhof und sogar wie Berlin Kneipen hat, die auch in Donnerstag-auf-Freitag-Nächten lang genug geöffnet haben.

Es bleibt nicht aus, in Leipzig berühmte Menschen vorbeihuschen zu sehen, etwa Christian Kracht, dessen Roman IMPERIUM ich letztens las und den ich, als Roman, für zu leichtgewichtig befunden habe. Kracht aber leidet gleichsam unter seinem Roman, Verkaufserfolg und damit verbundene Einnahmen hin oder her, weil ihm Absicht unterstellt worden ist, und zwar eine böse, von Seiten des Herrn Diez vom Spiegel, also eine, die über das „rein“ Literarische hinausginge, angeblich. Man fragt sich allerdings, warum der Diez vom Spiegel nicht den elektronischen Briefwechsel zwischen Kracht und Woodard, Five Years, besprochen hat, wenn denn in ihm oder durch ihn so Fürchterliches behauptet oder in die Welt gesetzt wird, sondern den Roman so sehr auflud, bis er ein vermeintliches Gewicht erreichte, das der Autor offensichtlich schwer auf sich lasten fühlt. Vielleicht könnte mal einer des Englischen in allen Nuancen mächtiger Fachmensch den besagten Briefwechsel besprechen, dann wären womöglich alle schlauer. Ich warte.

Böse Absicht wurde auch, in einem „minder schweren Fall“, Aléa Torik unterstellt, und zwar deswegen, weil eine angenommene 100prozentige Deckungsgleichheit zwischen behaupteter Autorin und dem Menschen, der den Roman Das Geräusch des Werdens schrieb, sich als nicht 100prozentig wahr erwies. Die Diskussion darum blieb recht sachlich und hätte enden können mit dem ganz und gar stimmigen Hinweis auf das Sein der Aléa Torik als Kunstfigur, was jedoch nicht allgemein akzeptiert wurde, vor allem nicht von denjenigen Beteiligten, die das Ganze nicht sportlich, sondern persönlich nehmen. Nachvollziehbar, sicher, doch lenkt Empörung und Entrüstung nur von dem nun vorliegenden Roman an sich ab und beschwert ihn zugleich mit einem Gewicht, das die Autorin als Mensch treffen muß, und zwar zu 100 %. Hat daran mal jemand gedacht, bevor er oder sie in der digitalen Öffentlichkeit sich empörte und sich anschickte, mit voller Absicht dem Menschen unter dem Roman zu schaden? Während das Tun der Torik der Kunst und deren Verbreitung dienen soll, dienten die Angriffe womöglich nur dazu, sich selbst qua Empörung als moralische Instanz zu inszenieren und die Kunst in den engen Käfig ethisch-moralischer Wahrhaftigkeit zu sperren. Das Persönliche und alles dem menschlichen Miteinander Zugehörige mag (und soll) man mit vollem Recht nach diesen Maßstäben beurteilen, die Kunst aber und auch der Macher derselben darf (bis zu einem gewissen Grade) böse sein, manche würden sogar behaupten, sie, die Kunst, müsse auch vollkommen böse sein dürfen, ansonsten der Rezipient als urteilsfähiger Mensch quasi entmündigt würde. Darüber ließe sich sicherlich fruchtbar diskutieren, ohne einen Autor als Menschen angreifen zu müssen, denn da hört die Kunst auf.

 

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14 Antworten auf Die Menschen unter den Romanen

  1. Ich wiederhole es auch hier gerne (und beziehe es ausdrücklich nicht auf den vorliegenden „Fall“): Jeder, auch der Künstler, hat sein Tun und Lassen zu verantworten, davon kann es keine Befreiung geben und damit ist die Debatte eigentlich erledigt (oder beginnt erst, je nach dem).

  2. Da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht, selbstverständlich muß jeder Mensch für sein Tun die Verantwortung übernehmen, der Künstler kann sich dem nicht entziehen. Ich selbst habe bezüglich der Aléa-Torik-Geschichte von Anfang an „Bauchschmerzen“ gehabt, weil nicht alle in die Spielregeln eingeweiht waren und die Nichteingeweihten also ständig wenigstens potentiell bloßgestellt wurden in den Augen derer, die um die Sache wußten. Wie hoch die Deckungsgleichheit zwischen behaupteter Autorin und dem Menschen, der den Roman „Das Geräusch des Werdens“ schrieb, tatsächlich ist, dürfte Ansichtssache sein, ich behalte meine Ansicht für mich. Fest steht aber, daß ein Roman auf dem Markt ist, der allein für sich als Kunstwerk beurteilt werden sollte, unabhängig davon, was der Künstler menschlich angestellt hat und was er gefälligst dann auch verantworten sollte.

  3. Ach Herr Schlinkert, das „Problemchen“ scheint Sie ja selbst als Eingeweihter stark umzutreiben, denn als solcher sollten sie den Mut haben, sich in Ihrem Blog auszustellen. Ihre Unwissenheit ist eine inszenierte, genauso wie die von Herrn Herbst. Es verbirgt sich nämlich die sehr grundsätzliche Frage dahinter, ob alle bereit sind, sich in einem Weblog mit dem Autor selbst oder nur noch mit dessen inthronisierten, erfundenen Autoren-Ich zu unterhalten. Sie glauben nun, ich hätte mich als moralische Instanz inszeniert. Was die Literatur angeht, ist diese Behauptung Quatsch. Ich habe leider eine gewisse Ähnlichkeit von Autor und Weblog-Autor vorausgesetzt, die dann schwer enttäuscht wurde. Denn gerade Sie wissen sehr gut, dass von einer Deckungsgleichheit nicht einmal im Geschlecht gesprochen werden könnte. Das Inszenieren als „Instanz“ möchte ich Ihnen insofern gern selbst unterstellen. Sie verteidigen hier das Buch, geben Sie vor, damit bin ich einverstanden. Bücher sollte man immer verteidigen, mit dem Autor als inszeniertes Fabelwesen habe ich da meine Probleme. Ihnen, und allen, denen es egal ist, mit wem Sie sich in einem Weblog unterhalten, im Roman „Internet“, der die Fiktion, das fingierte Leben auch im Weblog zum Leben selbst erklären möchte, entgegne ich: Leben sie wohl im Lummerland.

  4. Das „Problemchen“, Herr Buecherblogger, wurde erst zu einem solchen, als Sie in Ihrer Rezension bei Amazon Ihre Erkenntnisse ausplauderten und so den möglichen Erfolg des Romans und dazu die zukünftige Arbeit des Autors gefährdeten. Dazu waren Sie, so sehe ich das, nicht berechtigt, und diese meine Ansicht hat natürlich mit meiner Vorstellung von Ethik und Moral zu tun. Ich habe vor über einem Jahr auch etliche ziemlich lange Beiträge an Aléa Torik gerichtet, in denen ich meine Kritik an einem entstehenden Prosatext zum besten gab. Diese Kritik kam im Nachhinein sehr schlecht an, aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist mir zu betonen, daß ich tatsächlich dann in das Spiel „eingeweiht“ wurde und nicht sehr überrascht war. Ich war danach also nicht mehr unwissend, aber auch nicht persönlich betroffen, weil so etwas im Internet sein kann. Nachteile jedenfalls sind mir nicht entstanden. Ich wäre somit nie auf die Idee gekommen, mein Wissen um die nicht vollständige Deckungsgleichheit von Aléa Torik und Autor zu verbreiten, es haben nur ausgewählte Leute davon erfahren. Dabei bleibe ich, ohne das „Spiel“ als solches noch besonders aufregend zu finden.

  5. Der Zug fährt weiter, auf einem Nebengleis also Lukas, der Lokomotivführer oder wie hieß er doch gleich, Alban, Aléa, Ariel? Auf alle Fälle ein Luftgeist, wie Sie auch bei mir nachlesen können. Gegen bekannte Luftgeister habe ich natürlich gar nichts, Sie eingeschlossen.

  6. Das Spiel geht weiter, mit all seinen Luft- und sonstigen Elementargeistern. Als was ich mich selbst sehen wollen würde ist mir nicht ganz klar, da ich in den Literaturblogbetrieb ja von Anfang an als namentliches Ich-Selbst einstieg. Das mag eher langweilig sein, doch alles andere ist nicht meins.

  7. Zur Torik-Geschichte kann und will ich nichts sagen, ich habe zuvor nie bei ihr gelesen, weiß daher zu wenig und davon abgesehen ist mein Interesse ist nicht groß genug da irgendwie einzutauchen.

    Ich stimme zu, dass ein Werk (zumindest zunächst) unabhängig von der Person des Autors gelesen werden sollte.

  8. Das sehe ich auch so. Zunächst macht ein Buch neugierig, und danach kommt unter Umständen das Interesse am Autor. Aléa Torik hat dieses Prinzip umgedreht und sich als eine Autorin inszeniert, die in Zukunft ein Buch herausbringen wird. Jetzt ist das Buch da, aber viele können es nicht mehr unvoreingenommen lesen, was allerdings zum Plan der Torik gehört. Da haben Sie unter Umständen einen Vorteil!

  9. Kann sein, wenn es auch ein vom Zufall geschenkter ist.

    Was der Autor in einem Blog schreibt oder sonst über sich verbreitet, legt etwas vor und macht Enttäuschungen der Leser wahrscheinlicher.

  10. Ein Autor, der sich mit seinem (zukünftigen) Buch in den Vordergrund stellt, geht zumindest ein Risiko ein, vor allem, wenn es sich um eine Inszenierung in Marketing-Manier handelt. Andererseits ist Aufmerksamkeit die halbe Miete, was aber natürlich auch nichts hilft, wenn das Buch nicht gut wäre. Festzustellen bleibt natürlich, daß eine 28-jährige Deutsch-Rumänin wie Aléa Torik innerhalb des Buchmarkts mehr auffällt als eine vielleicht als Person nicht sehr gut zu vermarktende Frau mit vierzig oder fünfzig, von einem Mann dieses Alters mal ganz abgesehen. Nächstes Jahr soll ja der zweite toriksche Roman erscheinen, mal sehen, was dann ans Tageslicht kommt.

  11. Lieber Norbert Schlinkert,

    Sie haben recht, wenn Sie beklagen, dass die Diskussion um dieses Thema persönlich und verletzend geworden ist. Daran hat aber auch der AutorIn Anteil, mit dem/der eine offene Auseinandersetzung aus Gründen, die er/sie zu verantworten hat, gegenwärtig nicht möglich ist.

    Es erscheint mir viel verlangt, dass Kritiker:innen und Leser:innen das Werk ohne Rücksicht auf die Person der Autorin lesen sollen, wo doch die fiktive Person mit viel Aufwand f ü r den Roman inszeniert wurde. Die „Autonomie des Werks“ wurde doch von Seiten des Autors/der Autorin mit Absicht unterlaufen. Dies gilt auch für konkrete Eingriffe in den ursprünglichen Text, die mit Rücksicht oder mindestens Blick auf die „Autorschaft“ der fiktiven Figur verändert wurden (insbesondere die Verortung in Rumänien). Sowohl im Hinblick auf eine produktionsorientierte Analyse des Textes (die dessen Werden einbezieht), als auch auf eine rezeptionsorientierte Sicht (die dessen Publikation und Aufnahme berücksichtigt, u.a. z.B. die Hinweise des Verlages auf ein „deutschsprachiges“ Debüt, die Zweisprachigkeit der Autorin oder ihr Geburtsdatum oder die Bescheinigung einer „erstaunlichen Reife“ durch erste Rezensentinnen) kann eine auch ernsthafte Auseinandersetzung mit der Werk sich sehr wohl auf die Autorschaft und ihre besonderen Umstände beziehen, ohne damit literaturwissenschaftlichen Ansprüchen zuwider zu laufen. Die textimmanente Analyse ist nicht der einzig mögliche Zugang und im vorliegenden Fall auch nicht der – zumindest zunächst – durch Verlag und Autorin nahegelegte.
    Wie immer das abschließend beurteilt werden mag: Ich gebe Ihnen recht, dass persönliches Verhalten und Werk unabhängig voneinander zu betrachten sind. Gleichwohl ist dies in dem besonderen Fall durch die inszenierte „Autorschaft“ selbst problematisch geworden und nicht allein durch jene, die die Differenz zwischen Fiktion und Realität öffentlich gemacht haben, b e v o r der Autor dies selbst tun wollte. Da ich den Roman nicht kenne, kann ich ihn nicht beurteilen. Mir scheint in dem Zusammenhang, den Sie hergestellt haben, aber viel spannender die Frage, ob das Blog selbst als Kunst betrachtet wird und nicht als bloßer „Ausstellungsraum“ für künstlerische und literaturkritische Texte. Und hierzu, finde ich, hat sich der Autor/die Autorin selbst sehr widersprüchlich und inkonsistent geäußert (einmal wird das Blog als „Dienstleister“ für das eigentliche Kunstwerk – den Roman/die Romane – betrachtet, ein andermal i s t er selbst das Werk, das die Fiktionalisierung rechtfertigt). Ich finde, auch diese Inkonsistenz trägt möglicherweise zur Verärgerung von Leser:innen bei.

  12. Liebe Melusine Barby,
    die Figur Aléa Torik war tatsächlich bereits vor dem Debütroman öffentlich, und zwar in direktem Bezug zu diesem. Natürlich steht auch etwa eine Radiomoderatorin in der Öffentlichkeit, bevor sie ihren ersten Roman herausbringt, aber sie steht nicht wegen des Romans oder für den Roman dort, auch wenn bekannte Persönlichkeiten Texte besser unterbekommen als unbekannte. Bei Aléa Torik ist das anders, da haben Sie recht, sie stand von Anfang an für ihre Texte und mit ihren Texten in der (sehr begrenzten) Öffentlichkeit, so daß dieser Bezug von Autorin und Text nicht erst hergestellt werden muß. Teil einer Buchbeurteilung ist es allerdings auch, die Qualität an Alter und Erfahrung festzumachen, so daß das Debüt einer 28-jährigen wahrscheinlich besser wegkäme als das einer 40-jährigen, beim selben Text. Doch das ist nur Spekulation. Dennoch sollte all das Drumherum die Sicht auf den vorliegenden Roman an sich nicht verstellen, denn der muß ja für sich allein im Lesevorgang funktionieren und wäre auch ohne das Blog und unter anderem Autorennamen der selbe Roman – für den Zufallsleser zumindest. Allerdings hätte sich ohne die Marketing-Maschine des Blogs vielleicht kein Verlag dafür interessiert.
    Ob nun das Blog selbst Teil der Kunst sein kann, wird sich dann wohl beim zweiten Roman zeigen, so weit ich das wissen kann, denn erst da spielt die Autorin wohl eine eigene Rolle im eigenen Roman. Der erste Roman (der eigentlich als zweiter hätte erscheinen müssen) „Das Geräusch des Werdens“ dürfte nun unter Umständen zwei Arten von Lesern haben, einmal die, die vom Blog nichts wissen oder wissen wollen, und dann die, die das Drumherum kennen und es nicht ausblenden können (selbst wenn sie wollten). Am besten ist es vielleicht, man macht es wie ich, der ich gemeinhin abwarte, bis ein Buch entweder vergessen oder gut abgehangen ist.

  13. Ja, das mache ich genauso. Deshalb werde ich auch das „Imperium“, wenn überhaupt, erst in ein oder zwei Jahren lesen. Alles was die „maßgeblichen“ Medien hypen, muss auf meine Aufmerksamkeit ein wenig länger warten. (Nur so kann ich mich vor dem falschen Umkehrschluss hüten, das, was am Markt ´gut´ ankommt, mit so einem missgünstigen Misstrauen – zum Beispiel, weil Frau von Lovenberg begeistert war – zu lesen, was auch sehr ungerecht sein kann.) Der Stapel ungelesener Bücher wächst dennoch – und sogar trotz Kindle.

  14. Mit IMPERIUM habe ich mal eine Ausnahme gemacht und bin prompt an ein Buch geraten, das mir nicht gut gefiel. Ich hab’s verliehen und bin mal gespannt, ob nur ich was „herumzukritteln“ habe. Vielleicht bin ich ja überkritisch oder zu verwöhnt, wer weiß. Im Moment lese ich nach gut zwanzig Jahren noch einmal Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘, denn jedes gute Buch, denke ich, hat es verdient, zwei Mal gelesen zu werden.

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