Wer spricht im Augenblick nicht, wer ist abwesend, wer unsichtbar, wer steht unbeobachtet nur so rum, wessen Geschichte ist grade mal eben nicht von Belang? Das sind die wesentlichen Fragen an einen Romantext, die nicht offen gestellt werden. Wie beim Münzwurf entspricht dem Sichtbaren, Kopf oder Zahl, das Gegenteilige, das Unsichtbare, das Zuunterste, das Hinter- und Untergründige. Ich gebe offen zu, daß mich dieses Andere nicht nur nicht unbeteiligt läßt, sondern mich sogar mehr interessiert als das Sichtbare. Deswegen wahrscheinlich gefiel mir der christiankrachtsche Roman IMPERIUM wohl eher nicht, weil er nur die eine Seite der Medaille präsentiert. Ich gebe weiterhin zu, irritiert zu sein von den positiven Leseerfahrungen einiger Zeitgenossen, denen bei Kracht das Abwesend-Anwesende nicht zu fehlen scheint, die, um es deutlich zu sagen, sich durch die offensichtlich distanziert-ironische Erzählhaltung und das so Erzählte wunderbar unterhalten fühlen. Immerhin ist die Kritik zwiegespalten, ich stehe also nicht ganz alleine da. Meine eigenen beiden Romanprojekte (zum einen ein schon älterer, durchaus aber lebendiger Text, an dem sich oft die Geister schon schieden, zum anderen ein um ein Jahrzehnt jüngerer Text, dessen Schicksal sich bis etwa Ende 2013 gezeigt haben wird) haben dagegen durchaus eine andere Ebene, die zwischen den Zeilen entsteht und die allein durch Ätzung zum Verschwinden gebracht werden könnte, etwa durch Ironie, die ich aber zu vermeiden trachte, denn für diese gibt es andere Formen, den persönlichen Dialog etwa oder die Glosse, wobei Glosse nicht von ungefähr an Gosse erinnert. Aber das nur nebenbei.
Das Schreiben von Romanen ist ohne den Leser zu veranstalten, selbst wenn er im Hintergrund lauert. Dieses Andere, also die Leser:innenschaft, versuche ich auszublenden, wenn ich schreibe. Falsch, rufen die einen, die Zeiten der Lesermißachtung sind vorbei, dessen Geduld ebenso, denn er weiß ganz genau, was er will; richtig, rufen die anderen, denn das literarische Schreiben ist in erster Linie Kunst, der sich der Leser angemessen anzunähern, sprich: eine Eigenleistung zu bringen hat. Was also tun, vor allem da der Lektorats-Mensch klipp und klar zu verstehen gibt, daß in den Publikumsverlagen Experimente nicht geschätzt werden, denn von denen bietet die Backlist schon genug für alle Zeiten. Mmh. Was also tun? Weiterschreiben, latürnich!
Ich mag diese Reihe sehr, lieber Norbert. Leider macht sie mich auch nervös. Ich selbst wünsche mir immer wieder, ich könnte einfach einen halben Liter – na, meinetwegen auch einen Liter! – Blut spenden und der Roman würde dann einfach nur noch herausdestilliert werden: ein Routinejob für’s Romanlabor. Eine Woche später bekäme ich ihn gedruckt zurück.
Ich bin nämlich recht faul. So. Jetzt ist es raus…
Das freut mich, liebe Phyllis, daß Sie die Reihe mögen, die tatsächlich nicht beruhigend wirken kann, weil nunmal kaum etwas so komplex ist wie das Romanschreiben. Ich denke ja auch jeden Tag, ich sei nicht fleißig genug, aber dann sage ich mir, die protestantische Arbeitsethik kann mir mal den Buckel runterrutschen. Außerdem ist das nur meine eigene unmaßgebliche Meinung über mich, die oft ungläubiges Staunen auslöst bei all dem, was ich im Leben (an Kunst und Literatur und Wissenschaft) gemacht habe. Ich sag dann immer „Ach, weißte“, so in kleistscher Manier, was mir dann als Koketterie übel genommen oder als Bescheidenheit hoch angerechnet wird. Das Leben ist ein Roman. Ach!