Man hätte von Marie nicht einfach erzählen können. Sie mußte es selber tun. „Nennt mich Marie“, so heißt es zu Beginn des Romans Warten auf Ahab oder Stadt Liebe Tod von Leander Sukov. Marie ist eine junge Frau, die mit Mitte zwanzig ihr brandenburgisches Dorf verläßt und nach Berlin zieht. Bis zum Beginn des Studiums ist es noch eine Weile hin, sie sucht sich einen Job in einer Bar, sie stromert durch die Stadt, immer auf der Suche nach Liebe, aber nicht nach der, die sie bekommen kann, die stößt sie von sich, nein, sie will die Liebe finden, die sie selbst geben kann. Den, den sie lieben will, nennt sie Ahab, ihn will sie finden in dieser Stadt, die ein Wal ist für sie, der schwimmt im Menschenmeer. Doch Marie kann nicht lieben, das jedenfalls sagt sie, teilt es dem Autor mit, den sie sich erfunden hat, ein älterer Mann, der beim Schreiben vorgibt, eine junge Frau zu sein, ein Autor, der ihr übers Haar streicht und ihr zuhört, wenn sie erzählt von jenen ersten Wochen in Berlin.
Wer sie liebt, das weiß sie, dem bricht sie das Herz. So erfährt der Leser des Romans viel über diese junge Frau, ihre Gedanken, ihren Zorn, ihre Ängste, mit wem sie trinkt und mit wem sie schläft, wo sie politisch steht und was sie denkt über ihr Land, die DDR und die alte BRD, die es beide nicht mehr gibt, wenn auch nicht auf die gleiche Weise. Diese Marie steht dem Leser und der Leserin jedenfalls ganz und gar vor Augen, lebendig, unnahbar-nah, man folgt ihr gespannt in jede Verwirrung und in jede Lust hinein und fragt sich die ganze Zeit, ob sie den finden wird, den sie so verzweifelt sucht, den Menschen, den sie lieben kann.
Leander Sukov ist ein ausgesprochen lesenswerter Roman gelungen, der Berlin nicht etwa als Kulisse nutzt, sondern sich in dieser Stadt ereignet. Es ist, und das hat mich in den Text geradezu hineingezogen, nicht mein Berlin, denn jeder hat sein eigenes, sondern das dieser jungen Frau, die mir vielleicht nicht einmal besonders aufgefallen wäre, hätte ich sie gesehen, in der Kneipe oder spazierend im Park. Sie ist eine der Vielen, die jetzt und hier leben, die ich nun aber, nachdem ich den Roman ausgelesen habe, zu kennen und ein wenig zu verstehen glaube, weil ich sie lesend erspürt habe. Mehr kann man von einem Roman nicht verlangen. Eigentlich ist Warten auf Ahab, dieser Gedanke kam mir immer wieder beim Lesen, aber natürlich nicht nur ein Roman über diese Frau, sondern einer über den Strom der Zeit und das Schicksal und all die kleinen und großen Fluchten, Taten und Träume, die das Leben ausmachen. Doch lesen Sie am besten selbst!
Leander Sukov: Warten auf Ahab oder Stadt Liebe Tod. Roman, 279 Seiten, Kulturmaschinen 2012