Von Paris nach Berlin: keine Reise

Ich kann’s ja auch nicht ändern, aber ich habe nunmal keinen wirklichen, so allgemein erkennbaren und paßgenauen Beruf, und ja, es nervt, wenn alle Welt mich danach fragt! Aber ich weiß, was ich tue, ich weiß, was ich kann, ich habe ein stabiles Selbstwertgefühl und freu mich des Lebens, auch wenn ich arbeite. Só. Das alles hat natürlich eine Geschichte, aber da ich als Autor nicht mein eigenes Leben ausbeute, so als fiele mir sonst nichts ein, muß diese unerzählt bleiben, wäre auch langweilig. Erschüttert war ich allerdings einstens durchaus, das kann ich natürlich schon erzählen, ohne gleich Literatur daraus zu machen, als ich als Jugendlicher durch Lektüre und Filme feststellte, daß es auch noch ein Leben gibt außerhalb primitiver sozialdemokratischer Facharbeiterkultur, und ich weiß noch, wie ich dann mit glaube ich 19 Jahren am ersten Weihnachtstag von der Autobahnraststätte Lichtendorf nach Paris getrampt bin, und wie selbstverständlich ich mich da bewegt habe. Ich wußte plötzlich, ich muß raus aus der Sozenkloake Ruhrgebiet, ich muß in eine richtige Stadt, statt irgendwann in einem Vorortreihenhaus zu Lebzeiten zu vermodern. Allerdings, man erinnere sich, war das noch vor der sogenannten Wende, der Wiedervereinigung, da gab es in Deutschland noch keine wirklich faszinierende Großstadt, geschweige denn eine Weltstadt. Berlin war noch inexistent, zwei von Spießern am spärlichen Leben gehaltene Hälften, da wollte kein Mensch hin, in den Westteil jedenfalls, der noch alle Fünfe beisammen hatte. Also habe ich mir, weil Paris mir letzlich fremd blieb, die ein oder andere Stadt angesehen, doch leider war nix dabei. Heute weiß ich, daß die Achtziger-Jahre des letzten Jahrhunderts kulturell das schlimmste Jahrzehnt überhaupt waren, und dafür habe ich mich, denke ich, dann ja doch ganz gut geschlagen mit allem und das Beste draus gemacht, sogar dann einer Stadt wie Dortmund fünf Jahre lang ein intensives, spannendes Leben in der Nordstadt abgetrotzt, mir das Glück also verdient, im noch jugendlichen Alter von 33 Jahren in eine so oder so neue Stadt ziehen zu können, weil Berlin plötzlich wieder da war, wie Phönix aus der Asche. So, und nachdem ich das jetzt alles so kurz wie lückenhaft mal zusammengefaßt habe, haben Sie sicher auch eine Ahnung, warum ich keinen sogenannten Beruf habe, denn ich hatte was anderes im Sinn, Leben, Lieben, Kunst und Literatur nämlich, wo sollte da die Zeit gewesen sein, etwas zu lernen, was die Sozen glauben einen Beruf nennen zu müssen.

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