Heinrich hat in diesem Herbst alle Mühe, am Abend all die vielen Schweine wieder in den Stall zu bekommen. Noch im letzten Jahr war der Bauer ernstlich besorgt gewesen, ob überhaupt eine der Säue abferkeln würde, und nun waren mehr Schweine auf dem Hof als jemals zuvor. Nach der Ernte würden sie auf den Feldern die Mäuse fressen und dann auch im Sölder Holz nach Eicheln und Bucheckern gehen. Man sah schon die geräucherten Schinken an den Haken hängen, die zu lange leer geblieben waren. Die Vorstellung, dem Grafen im schlimmsten Fall alle Schweine abtreten zu müssen, lastete schwer auf den Bauersleuten. Jetzt im Herbst konnte man die Schweine natürlich noch tief im Wald verstecken, eine Magd sollte sofort, das war der Plan, zu Heinrich laufen, wenn Knu auftauchen würde. Allerdings ließ sich das Ungeheuer weder im September noch im Oktober oder November blicken, so daß die Schweine wenigstens schön fett werden konnten. Eines regnerischen Tages aber, Anfang Dezember, kam Knu lange nach Einbruch der Dunkelheit auf einem von zwei Pferden gezogenen Ackerwagen auf den Hof gefahren. Ohne sich um irgendjemanden zu scheren, man saß um das Feuer herum und aß, trampelte er, über und über mit Schlamm bespritzt, herein und sah sich die Schweine in den Ställen an. Er lallte etwas von vieren, die er holen solle, dann suchte er die fettesten aus und verfrachtete eins nach dem anderen der quiekenden und schreienden Viecher auf den Wagen. Den Bauersleuten standen vor Wut die Tränen in den Augen. Als endlich alle schon dachten, der Wagen würde sich jeden Augenblick in Bewegung setzen, kam das Ungetüm noch einmal herein. Er fragte den Bauern etwas, doch es war nur ein unverständliches Gestammel. Wütend wiederholte es der Riese, worauf der Bauer in seiner Not nickte. Nun begann das Untier grinsend das Haus zu durchsuchen, stampfte in die Gesindestube, öffnete die Truhen, knallte sie zu, stammelte irgend etwas, stapfte weiter, und als er in die kleine Webkammer, die auch als Spinnstube diente, trat, gab er ein triumphierendes Geheul von sich. Die Mädchen, Tine und Margarethe, die sich dort hinter allerlei Gerät verborgen hatten, schrien vor Angst, doch Knu hob Tine, wie zuvor die Schweine, einfach hoch und klemmte sie sich unter die Achsel. Keiner rührte sich, als er aus der Tür trat, alles sah mit offenem Mund auf das zappelnde, schreiende Mädchen. Knu grinste nur höhnisch, der Speichel lief ihm aus dem fast zahnlosen Mund mit dem Stummel einer Zunge, um dann plötzlich auf den Bauern zuzugehen und ihm in langen, unverständlichen Sätzen laut brüllend zu drohen. Endlich aber stiefelte er los und war bereits unter der Tür zum Hof, als Heinrich aufstand und behende wie eine Katze auf ihn sprang und ihm ohne viel Federlesens ein Messer in den Rücken hieb. Das Untier ließ Tine los, die, so dünn sie sein mochte, schwer auf den Boden klatschte und sofort wimmernd davonkroch. Ein kleiner Moment der Stille trat ein, man hörte das Feuerholz knacken, dann jedoch drehte sich Knu laut brüllend um und langte nach dem hinter ihm stehenden Heinrich, verfehlte ihn jedoch. Dieser lief, die Irritation des Kerls nutzend, einfach an ihm vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit setzte Knu, das Messer noch im Rücken, ihm nach. Natürlich dachten alle, Heinrich würde über das Feld in den Wald laufen, wo er sich gut verstecken konnte. Der Bauer wies, mit hochrotem Kopf und stotternd die Knechte an, einige Forken, die Axt und was sonst noch als Waffe zu gebrauchen war, zu holen, damit man sich gegen den Kerl verteidigen könne, käme dieser zurück. Heinrich aber floh nicht in den Wald, sondern in die Scheune. Knu folgte ihm. In fast völliger Dunkelheit hörte er mehr als daß er es sah, wie Heinrich zuerst die Leiter zum Heuboden erkletterte und dann das Gebälk hinaufhuschte. Wilde Drohungen ausstoßend hastete Knu ihm keuchend nach, erklomm die Leiter, zog sich brüllend und geifernd an einem Balken hoch, kletterte weiter, außer sich vor Wut, grapschte ins Leere, hatte bald aber Heinrichs linke Hosenbein in Händen, er zieht und ruckt, packt zu, schreit, zieht weiter, doch Heinrich hat, was soll man sagen, längst mit beiden Händen festen Halt gefunden, holt Schwung und tritt mit dem rechten Fuß in das Gesicht des Riesen, einmal, zweimal, noch einmal und wieder, bis der losläßt, das Gleichgewicht verliert und laut aufbrüllend auf die Kante des Heubodens stürzt und dann satt und mächtig ganz hinunterfällt. Das Brechen des Genicks ist bis ins Haus deutlich zu hören.
Ein schwarzer Schatten erscheint in der offen stehenden Tür der Scheune und geht, seltsam schwankend, langsam ein paar Schritte zum Haus hin. Die kleine Gruppe auf halbem Weg atmet erleichtert aus, ein Hauch nur. Der Bauer mit der Laterne in der Hand und die Knechte hinter ihm, alle mit irgendetwas bewaffnet, sei es auch nur ein Knüppel oder ein kurzes Messer. Die Köpfe ein wenig vorgereckt, breitbeinig, stehen sie wie lauernd da. Die Laterne beleuchtet Heinrichs Gesicht von unten, er glüht, die Wangen rot und feurig, wie der Beelzebub selbst. Für Momente bewegt sich nichts und niemand, die Vorstellung, gemeinschaftlich über den Feind, das Ungetüm herfallen zu müssen, ihm den Schädel einzuschlagen und die Augen auszustechen, so als sei er allein dadurch dem Erdboden gleichzumachen, wich nur langsam aus den Köpfen. Wohl jeder von ihnen hatte gedacht, als sie dieses Krachen hörten, es sei aus mit Heinrich. Er ist tot, sagte der endlich und wies mit einem leichten Heben den Kopfes hinter sich. Engelbert, als der älteste der Knechte, nahm dem Bauern die Laterne aus der Hand und ging hinüber zur Scheune. Den Knüppel noch hochhaltend tat er zögernd die paar Schritte, denn das Knacken des Genicks und auch das, was Heinrich sagte, konnte eine Täuschung des Satans sein, das wußte er. Doch ein Blick genügte ihm, es war so, wie Heinrich gesagt hatte. Bald stand man im Kreis um den Toten, dessen Kopf in einem ganz und gar unnatürlichen Winkel zum Leib dalag, die Augen und den Mund weit aufgerissen.
Manuskriptauszug / © und alle Rechte bei Norbert W. Schlinkert