Träschsch ist ein alter Text, ein Extrakt aus Der Bildermacher, begonnen 1996 und seitdem in Arbeit, in progress. Ganz anders etwa als Stadt, Angst, Schweigen ist Träschsch aber kein „Fließtext“ wie eben jener, sondern ein gleichsam atemloser, ein in unruhigem Wechsel rhythmisierter Text, ein Gebilde mit Brüchen und Rissen, ein Ich, das schreibt.
***
Ich fühle mich nicht wohl mit diesem Toten im Haus. Ich werde ihn verschwinden lassen müssen. Es ist Winter, ich kann ihn in einen Graben legen, wo er gefunden wird, bevor er auftaut. Es ist makaber. Es war auch Winter, ich erinnere mich gut, da stand ich als kleiner Junge am Sterbebett meines Großvaters. Er hatte gelbe Gesichtshaut und er wusste, dass er sterben wird. Auch ich wusste es. Meine Augen haben es ihm gesagt und ich habe seinen Händedruck nur zögerlich erwidert. All diese Lügen! Warum sagte jeder diesem alten, uralten Mann, dass er schon bald wieder gesund sei? Menschen, die halb so alt waren. Ich konnte diese Lüge nicht aussprechen. Ich saß auf dem Fensterbrett und blickte hinunter in den Hof. Es begann zu schneien. Ich hörte meine Mutter, wie sie mit ihm sprach. Mein Großvater fragte mich, ob ich die Schneeflocken zählen würde, ich sagte leise Ja, aber eigentlich beobachtete ich die Zeit, wie sie verrann. Es war ein kleines Zimmer im ersten Stock eines kleinen Hauses, mir jedoch schien es ein riesiges Zimmer weit oben zu sein in einem riesigen Haus. Einen Tag später sagte man mir, mein Großvater sei gestorben. Ich wusste es bereits. Ich war in den Sog der Zeit geraten. Vom Bergfriedhof aus konnte ich dann bei der Beerdigung das in Nebel getauchte Dorf sehen. Der Ton der Trompete hallte kurz wieder und verschwand. Ich weinte nicht. Ich hatte meinen Großvater sehr geliebt, aber ich weinte nicht. Die Zeit war zu mir gekommen. Doch jetzt, plötzlich, Unzeiten später, weinte ich, angestarrt von den Eiskugeln eines Fremden, der tot in meiner Kühltruhe liegt. Im Tränenschleier verschwimmt der Körper vor mir, ich schließe den Deckel. Das Haus ist leer ohne Anna. Ich gehe in mein Arbeitszimmer und sitze nun wieder vor dem grauen Waldrand. Ich versuche, mich zu fassen, einen Gedanken zu fassen. Ich warte auf das Geräusch. Das Geräusch wird all mein Wissen löschen, Anna wird wieder hier sein und die Zeit wird neu anlaufen. Sie erzählte mir ein wenig über Schweden. Sie hatte ein Jahr dort studiert. Da entdeckte ich auch ihre Beine. Sie wusste das. Sie wusste, dass ich bereits in sie verliebt war. Ich wusste nur, dass ich mit dieser Frau schlafen wollte. Auf ein entferntes Hupen hin sagte sie, sie werde abgeholt, die Arbeit. Sie heiße Anna. Arthur, sagte ich. Sie tauchte wochenlang nicht wieder auf, jedenfalls nicht dort in diesem Café. Diese Frau von damals ist nicht die, auf die ich jetzt warte. In ihrem Tagebuch lese ich mich immer nur als A. Hemmungslosen Sex gehabt mit A, den letzten Tropfen rausgeholt. Ich kann mich nicht erinnern. Ein anderer A? Doch in den ersten Monaten hatten wir viel Sex. Ich muss mich beherrschen, nicht die letzten Seiten zu lesen. Gestern morgen bin ich im Wohnzimmer aufgewacht. Ich hatte die Nacht über fast zwei Flaschen geleert. Ich nahm das Tagebuch zu Hand. Mir war schlecht. Ich schlug es auf. Auf einer Seite weit hinten stand groß: Die Sau fickt mich nicht. Ich riss mir die Kleider vom Leib und onanierte. Danach duschte ich. Jeden Tag eine Seite lesen. Das ist genug. Ich trinke zuviel. Ich arbeite nicht. Ich kann nicht mehr klar denken. Ich denke an ihre wunderbaren Beine, an ihren Arsch, an ihren Geruch und an ihre schlechten Angewohnheiten. Sie fehlt. Sie ist ja noch nicht einmal gegangen, sie ist einfach nicht wiedergekommen. Hat sie den Finnen in die Truhe gelegt? Sie ist nicht schwächlich, es wäre ihr zuzutrauen. Vielleicht war er auf ihrer Feier, die Hälfte der Leute war mir unbekannt, viele sprachen Finnisch oder Schwedisch. Aber dann läge der Tote bereits ein halbes Jahr dort in der Tiefkühltruhe! Unvorstellbar. Oder?