Ich habe seit ewigen Zeiten den Eindruck, dass man als berufsmäßiger Schriftsteller eines können muss – sich nämlich beim Schreiben der eigenen Texte zu langweilen. Das ist natürlich in jedem Beruf so, das mit der Langeweile, so wie man in jedem Beruf fleißig zu sein hat, ganz gleich, ob man der protestantischen Arbeitsethik verfallen ist oder dem Neoliberalismus oder sich frei dünkt. Viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen schreiben dementsprechend viele, viele Seiten voll, weil sich heutzutage so gut wie alles Roman schimpfen lassen und dick sein muss und sich Erzählungen oder Gedichte eben nicht gut verkaufen lassen. Wer so verrückt ist, einen Text von 120 Seiten nicht Roman, sondern etwa heraklitischen Fließtext zu nennen, ist schon raus aus dem Geschäft. Dabei wäre es, um mal bei diesem Beispiel des heraklitischen Fließtextes zu bleiben, ein Einfaches gewesen, daraus einen „richtigen“ Roman zu machen, mit allem Zipp und Zapp und marktgerechtem Umfang – wenn ich denn die Fähigkeit besäße, mich beim Ausüben meines Berufes ordentlich zu langweilen und ordentlich Fülltext hineinzuquetschen, die Handlung also übermäßig aufzublasen und so weiter. Jetzt möchte man einwenden, aber das hieße doch noch lange nicht, dass sich der Leser oder die Leserin beim Lesen eines aufgeblasenen Textes langweilt, und ja, richtig – so ist es. Man muss bedenken, dass Leser und Leserinnen ihre eigenen Absichten haben, und dies natürlich ganz zurecht. Ein Dilemma, eine Nummer, aus der ich nicht herauskomme, es sei denn, mein historischer Roman ANKERLICHTEN oder: DES HERRN DAUBENFUßES RACHE, bei dem weder ich mich ihn schreibend gelangweilt habe noch sich der Leser langweilen wird, fände endlich einen Verlag und damit hinaus in die Welt – denn dann wäre es mir gelungen, einen markt- und leserfreundlichen Roman herauszubringen, zu gebären, der mich nicht eine Fitzelsekunde Langeweile kostete, so oft ich ihn auch schon überarbeitet habe. Stand jetzt ist zu sagen, da ist auf 400 Seiten kein Buchstabe, kein Punkt, kein Komma zu viel oder zu wenig drin, da darf mein Name draufstehen. Bei der bisher letzten Durchsicht des Romans im Sommer habe ich übrigens in der mich umgebenden Welt noch etwas anderes, überaus Spannendes entdeckt, denn direkt neben mir, in einem brandenburgischen, wilden Gewächs, schlüpften soeben Burgundische Weinelfen, die, kaum in der Welt, auch schon fröhlich flatternd das Weite suchten.
Burgundische Weinelfen, frisch geschlüpft
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