Tasten: heran, hinein, hinauf, hinab … II

Der (gleichsam inliegende) Text von Tasten: heran, hinein, hinauf, hinab … I ist inzwischen vernichtet, er bedeutete einen Anfang, dem kein Fortgang folgte. Hier ein neuer Versuch:

Was hat man schon zu erzählen, wenn man nicht in der DDR aufgewachsen und auch sonst dem Schicksal entgangen ist. Dem Schicksal entgangen zu sein ist allerdings keine Belohnung für irgendetwas, sondern in meinem Falle, der ich hier schreibe, schlicht dem Umstand zu verdanken, das allermeiste aus dem eigenen Leben vergessen zu haben. Dem Schicksal fehlt es, ergo, an Nachhaltigkeit, oder Nachhalligkeit, ganz wie man will. Sicher, wenn ein Pinguin an sich runterguckt, sieht er Watschelfüße, während ich, gucke ich an mir runter, Menschenfüße sehe, mit denen ich einst gut Fußball spielen konnte. Zusammen mit meinem Killerinstinkt und einer gewissen Rücksichtslosigkeit im Zweikampf, entschuldigen kann man sich ja schließlich immer noch, hätte das sicher für die zweite Liga gereicht. Aber vorbei, ganz unabhängig davon, ob ich es nun in die zweite Liga geschafft habe oder nicht. Die erste Liga, überlege ich es mir recht, wäre sicher auch drin gewesen. Aber vorbei ist vorbei. Im Unterschied zum Pinguin aber, der vollständig kann, was er kann und der vollständig ist, was er ist, bin ich als Mensch immer nur der Prototyp meiner selbst, ein ewiges Versprechen auf das, was ich können könnte und sein könnte. Der Mensch ist Potentialist, vor allem nachdem der letzte Universalgelehrte nun endlich gestorben sein dürfte. Zudem gilt, zumindest mir, jeder neue Tag als ein neues Leben, und da dürfte es schwer sein, sich selbst vollkommen auszuschöpfen in gerade mal 24 Stunden, in 1440 Minuten. Und selbst wenn man es schaffte, an einem Tag einen schönen Fortschritt zu generieren, so ist davon am nächsten Tag nichts übrig, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil der gemeine Mensch und so auch ich des Abends sich noch allerlei reinpfeift, Suchtmittel der Sorte Fernsehserie oder Talkshow oder Alkohol oder Tabak oder alles zusammen. Vollkommen abzuraten ist indes vom Lesen eines Romans im Bett, das vernebelt, verdunkelt, verdirbt und zerstört alles Errungene am allerehesten. Wer nicht komplett verblöden möchte, der liest am Tag: im Büro, im Zug, in der Badewanne, auf einer Parkbank oder beim Flanieren, so wie die Mönche. Im Bett wird geschlafen und geträumt. Aber natürlich ist es, um Potentialist zu bleiben, unbedingt notwendig, ausschließlich gute Literatur zu lesen, analog zu der Notwendigkeit, gute Filme zu sehen, gute Musik zu hören, sich gute Bilder anzusehen und so weiter. Doch wie können Sie wissen, ob es sich um gute Literatur, gute Filme, gute Musik, gute Bilder und so weiter handelt? Das immerhin ist gut zu merken: verspüren Sie einen Widerwillen beim Lesen des ersten Satzes eines Romans, oder wird Ihnen schlecht, so ist es ein schlechter Roman und sollte nicht gelesen werden. Verbrennen Sie ihn, damit er kein Unheil anrichten kann. Tun Sie dasselbe mit schlechten Filmen, schlechter Musik und schlechten Bildern. Dann wird alles gut.

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