Norbert W. Schlinkert: JEDER PFIRSICH Erzählender Essay, vulgo Roman: Zweites Kapitel.

Norbert W. Schlinkert

JEDER PFIRSICH

Erzählender Essay, vulgo Roman

Zweites Kapitel

Hier beginnt es. Das zweite Kapitel ist das erste. Die Personen werden eingeführt, und zwar ohne Betäubung in die Köpfe der Leser. Das tut manchen sehr weh und sie lesen nicht weiter. Für die, die weiterlesen:

Ich bin Dudu, sage ich, und mir werden oft Vorhaltungen gemacht, weil ich meinen richtigen Namen nicht sagen will. Richtig heiße ich Duygu, sage ich, aber Dudu ist besser.

Ich stehe im Nieselregen, während die fünf Menschen unter einem Überbau auf einem halbrunden Betonblock sitzen, auf dem fünf Sitzgitter angebracht sind, schmutziggelb, schmutzigrot, schmutzigweiß, schmutziggrün und braun, das ist gut zu erkennen, denn alle die da sitzen tragen Hosen und so ist im Schritt die Farbe des Sitzgitters zu sehen. Vier Mädchen und ein Junge sitzen da, halb um mich herum, wie in einem kleinen antiken Theater. Sie starren mich an. Der Junge sitzt in der Mitte, er trägt eine Cordhose in Jägergrün, sie ist sehr eng und man kann sehen, wie der arme kleine Penis eingeklemmt ist und die armen Hoden ebenso. Bei den Mädchen, die Leggins tragen wie früher nur die Engländerinnen, sieht man den Schlitz, und auch der Schlitz wirkt eingeklemmt, auch wenn die Hosen elastisch sind, und auch bei mir wäre, obwohl ich eine blaue Jeans trage, der Schlitz zu erahnen, doch ich habe meine Tage und mir eine Binde in den Slip geschoben, die mir meine Mutter gegeben hat heute morgen. Sie ist ganz rot geworden dabei.

Du weißt schon, hat sie gesagt, und dass ich heute die weiße Hose nicht tragen soll, nicht tragen darf. Eine gute Gelegenheit auch, die weiße Wäsche zu machen, sagte sie noch, bevor sie sich in Luft auflöste.

Bis später, Mama, sagte ich.

Und wie heißt ihr, frage ich in die Halbrunde.

Du bist die Neue, fragt es zurück wie aus einem Mund.

Ja, sage ich und spüre, wie sich meine Füße nach innen drehen, bis die Schuhspitzen sich berühren.

Der Junge in der Mitte spreizt die Beine und drückt so die Mädchen ein wenig zur Seite.

Ehj, sagen alle vier.

Ich heiße Spreizer, sagt der Junge ernst, und das ist Mimi, das ist Kiki, das ist Bibi und das Vivi.

Hallo, sage ich und gebe Spreizer, Mimi, Kiki, Bibi und Vivi die Hand. Das machte man früher im Osten so, das hat der Regisseur in der Vorbesprechung mehrmals gesagt, und dass damit dann die Szene endet.

Cut, brüllt einer, danke, ein Rumoren beginnt und ein Getuschel, etwas quietscht metallisch. Ich schiebe meine Hand in meine Hose und ziehe die Binde heraus, rieche daran und werfe sie mit Schwung Spreizer ins Gesicht, der sie achtlos und ohne mit der Wimper zu zucken zu Boden fallen lässt. Dann gehen wir uns in dem Wohnwagen ganz hinten in der Halle abschminken und verwandeln uns wieder in Erwachsene. Nur Bibi bleibt wie sie ist, und Spreizer auch, irgendwie. In Wirklichkeit heiße ich ebenfalls Dudu, nicht aber Duygu.

=> Drittes Kapitel

Dieser Beitrag wurde unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert