Ich schreibe in die meisten Bücher mit Rotstift hinein, das erleichtert das (auch zufällige) Wiederfinden bestimmter Textstellen. Unter Umständen zu Zitierendes (und damit aus dem Zusammenhang zu reißendes) wird mit einem Z markiert. In Alban Nikolai Herbst‘ Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. Erste Lieferung, in das ich seit heute hineinlese, findet sich das ein oder andere Z, und da ich zugleich auch Lentzens Textleben. Über Literatur, woraus sie gemacht ist, was ihr vorausgeht und was aus ihr folgt lese sowie Alain Robbe-Grillets Die Wiederholung, verbinden sich die vielen Zetts zu einem Zettgewebe. Ich garantiere für nichts!
Die erste Frage, die ich an einen Text stelle ist: wer spricht? Natürlich der schreibende oder auch der bloggende Dichter! Letzterer, auf der Suche nach Kontakt mit dem idealen Leser (Herbst, S.6), baut auf die Unmittelbarkeit der Netzerfahrung und stellt, als Herbst, fest: „Das schreibende Subjekt und das lesende Objekt scheinen identisch zu werden. Genau das i s t der ideale Leser. Um den Schein zu distanzieren, spreche ich ihn immer mit ‚Sie‘ an.“ (S.6) Das entscheidende Wörtchen ist hier der Schein, denn da ein Objekt sich kein Subjekt imaginieren kann, ein Subjekt aber ein Objekt (nämlich das des idealen Lesers), wird der Leser zugleich mit dem Text erfunden als – sein Leser. Dieser Leser ist inaktiv und Spielball des schreibenden Subjekts. Das also kann es noch nicht sein, diese Art von Kontakt macht den Leser zum Fetisch. (Der Mensch ist nur da Mensch, wo er spielt, sagt Schiller.)
Doch ist der Autor überhaupt dieses Ich, dem das Objekt sein Dasein verdankt, einen Dank, wohlgemerkt, den das Autor-Ich dem Objekt einblasen müßte. Die Antwort lautet: Nein, denn Autor und Text sind nicht identisch. Dasjenige was wirkt, also Sinnzusammenhänge herstellt und zerstört, ist Textgewebe, ist gewirkt aus Zeichen, die auch ohne diesen einen Autor als solche bestehen. So schreibt Herbst an anderer Stelle: „Der Autor schreibt sich in den Text nicht als autonomes Subjekt ein, sondern seinerseits, auch, als ein Bündel aus Triebstrukturen und anderen, unbewußten, Motivationen. Wie er warum welche Fährte bzw. Schreibstrategie verfolgt, ist nicht rundweg willengesteuert; wahrscheinlich ist der autonome Anteil an der Entstehung eines Kunstwerks sogar sehr gering, und zwar, insofern die Autonomie des Subjekts an sich schon illusionär ist.“ (S.14)
Was folgt daraus? Ganz einfach: wir sind die Objekte unserer Texte, wir sind, für den Text, die idealen Autoren, was ein Identisch-Sein von Subjekt und Objekt eine Spur wahrscheinlicher werden läßt. Oder?
Ich freue mich schon darauf, ein paar angestrichene Textstellen mit Ihnen zu vergleichen – ob ein paar gemeinsame darunter sind? Dauert allerdings noch ein Weilchen, habe eben erst mit der Lektüre begonnen.
Herzliche Grüße!
Phyllis
Liebe Phyllis,
ich habe auch eben erst mit der Lektüre begonnen, das macht das Schreiben darüber spannender, weil man nicht so sehr aus der Position des „Wissenden“ vom Ende her schreibt, sondern eher aus der des „zweiten Autors“. Selberdenken als unmittelbares Mitdenken, was natürlich das Risiko beinhaltet, auch mal ordentlich daneben zu liegen. Am Ende werden unsere angestrichenen Textstellen zu mindestens der Hälfte übereinstimmen, würde ich wetten wollen, wettete ich!
Das „ordentlich daneben liegen dürfen“ sollte als Workshop (oder gar Stipendium?) für ermattete Gemanistikstudent:innen ausgeschrieben werden …