Wer ist dieses Ich im Text? Eine uralte Frage, die sich für das Internet nicht neu, aber anders stellt. (Eine Frage stellt sich, ist einfach da und will beantwortet sein.) Alban Nikolai Herbst stellt in seiner Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens fest, die Chattersprache im Netz bediene sich frühkindlicher Objektivierungen, sage nicht ich, sondern er oder sie, wie dies kleine Kinder tun, bevor sie sich selbst als Individuum begreifen lernen. (S.20) Macht uns das Internet und die in ihm stattfindende Kommunikation wieder zu Wesen, die im Spiegel (des Internets) nicht sich selbst, sondern ein Du erkennen? Sind alle „Internetbenutzer“ gleichgeschaltete Dus statt autonomer Ichs, vor allem im Bereich der Chats? Findet hier ein Regreß statt, eine Einigung auf den gemeinsamen Nenner einfacher Sprachmuster ohne erkennbare Individualität? Herbst betont, der Weblog wisse immerhin den Regreß besser als der Chat zu verschleiern, ja die stattfindende Objektivierung habe sich auf die nächste Ebene hinaufgezogen und sei selbstbewußt geworden, wenn auch das „versprachlichte Private“ hier wie dort betont werde. (S.20f.)
Insofern ist der von einem Individuum in gleichsam eigener Sache geführte Blog eine Art Auslagerung mehr oder weniger gut in Sprache verpackter Selbstentäußerungen, die auf der anderen Seite, beim Leser, ausgepackt werden. Der Leser hat nun ein bestimmtes Bild dieses bloggenden Individuums, weil er das fremde Subjektive nun, qua Sprache, besitzt. Das Du des Anderen erscheint. So what? Was tun wir mit diesem anderen, empfangenen Ich? Nähern wir uns ihm an, finden wir einen Bezug zu ihm?
Die Teilhabe am Leben des Anderen gründet sich auf emotionale Bezüge, auf Nähe. Dieser Andere muß nicht zwingend leibhaftig begreifbar sein – das kennen wir alle aus der Literatur, dieses Mitleiden mit dem Romanhelden, die Freude, die Trauer, die uns tatsächlich ergreift. Im Literarischen spricht man vom poetischen Ich (deren Geburt und Entwicklung ich in meiner Studie beschreibe), und selbstverständlich findet die Erschaffung eines solchen Ich durch Schrift statt, die der Autor setzt und der Leser belebt (siehe dazu Erich Kleinschmidts Studie zur Autorschaft). Der Schein eines Ichs, der Schein des subjektiven Anderen kann auch im Netz, im Weblog erzeugt werden, folgerichtig am ehesten im literarischen Weblog. Herbst sieht das Subjektive eines Weblogs als den Schein des Subjekts, als seine verdinglichte Illusion. „Darum“, so schreibt er, „nun die Literarisierung.“ (S.21)
Dem von sich in die unendlichen Weiten, Herbst spricht vom hochentfremdeten Zusammenhang des binären Netzes, hinausgeschickten objektivierten Privaten drohte ohne Zweifel profane Zurichtung und Entseelung, wäre die Form nicht eine künstlerische. Das Private müsse als Material künstlerischer Formung begriffen werden, nur so bestehe die Chance, Zwischenräume für ein neues Subjektives zu schaffen. (S.21) Die Rettung des Hinausgeschickten vor der entseelenden Kraft des Mediums im und durch das Medium allein durch literarische Gestaltung? So wie der Autor ja auch im klassischen Text seine künstlerisch erschaffene Figur erst auf halbem Wege dem Leser überläßt, sprachlich ausgearbeitet und damit faßbar? Tut der Autor also nichts anderes als im Printmedienbereich, nämlich Geschichten zu erzählen, die durch das Erzählen eben nicht mehr privat sind, sondern öffentlich? Imgrunde ist es so! Und es bedeutet, so dürfte Herbst verstanden werden wollen, Widerstand gegen die Verselbständigung der Kommunikation als Kommunikation, in der der Mensch nur noch die entindividualisierte Rolle des Zuträgers spielte und der „Maschine“ die Macht überließe.