„Berliner Manuskripte“ heißt die Veranstaltung, zu der es mich sonntagvormittäglich gezogen hat, dort lasen die Stipendiaten des Berliner Arbeitsstipendiums für Autorinnen und Autoren der Senatskanzlei Berlin – Kultur des Jahres 2011. Anwesend waren elf der 13, und um es gleich am Anfang zu sagen, es gab drei gute Lesungen, nämlich von Thomas Pletzinger, Dagmara Kraus und Ulrich Schlotmann.
Was tat ich dort, wo für mich doch im Moment nur mein Roman zählt? Nun, ich ärgerte mich, wie auch letztes Jahr schon. Ansonsten habe ich es nicht so mit dem Masochismus, das aber mußte ich mir antun. Sie ahnen es, liebe Leser:innen, auch ich habe mich für dieses Stipendium beworben, leider aber umsonst.
Immerhin wurde der dritte Teilabschnitt der Veranstaltung gekonnt moderiert, nämlich von Daniela Seel, auch gab es wieder Croissants, Saft, Kaffee und Sekt – letzteres Getränk ließ ich stehen, man gönnt sich ja sonst nix. Bevor ich mich nun aber wieder an meinen eigenen Text mache, stelle ich mir die Frage, warum höre ich bei acht von elf Texten kaum zu und denke an etwas anderes? Das mache ich ja nicht mit Absicht, es passiert. Kürzlich las ich in Michael Lentz‘ ‚Textleben‚: „Der Stoff stößt einem zu.“ (S.51) Spürt der Leser, der Zuhörer, in diesem Fall ich, ob der Autor sich einen Stoff (einfach nur) ausgesucht bzw. ausgedacht hat, oder ob ihm der Stoff zustieß? Gibt es also einen erkennbaren Unterschied zwischen Gebrauchsprosa und Leidenschaftsprosa? Ich denke schon. Lentz schreibt, „auf der Suche nach einem geeigneten Stoff ist man schon in der falschen Richtung unterwegs“ (ebd.), und das kann ich nur bestätigen, aus leidlicher Erfahrung. Mein jetziges Romanprojekt allerdings fuhr am 25. September 2008 im provisorischen Freß- und Getränkeautomatenraum der Staatsbibliothek Unter den Linden in mich, das war eine klassische Erleuchtung an profanem Ort. Seitdem lebe ich mit den Menschen aus meinem Roman zusammen, ich erfahre immer mehr über sie, je mehr es in mir schreibt. Es ist verrückt, aber so läuft es nun mal.
Dass so etwas geschieht (die Romangestalten „in einen fahren“ und nicht mehr abzuschütteln sind von da an, so viel gegenwärtiger oft als die Nachbarn mit ihren Terriern und Unkrautvernichtungsmitteln), kann man (d.h. ich) ja auch (fast) gar keinem erzählen, den oder die ich in den Räumen treffe, die „wirklich“ genannt werden. Aber ein Trost ist´s mir zu lesen, dass anderen so was auch passiert. Ob deshalb etwas entsteht, ob das, was „in mir schreibt“, was taugt, das weiß ich trotzdem nicht. Nur dass ich es nicht lassen kann.
Gutes Gelingen ihnen. Und angenehme Geselligkeit im Kreis derer, mit denen sie in dieser (Zwangs?-)Gemeinschaft leben. Man sucht sich die so wenig aus, wie die Familien.
Es geht mir in doppelter Weise wie Ihnen, es fahren diese Romangestalten in mich, und es ist mir ein Trost, daß anderen dies – zum Glück – auch passiert. Als Schreibender muß man allerdings auch, damit das Geschriebene möglichst etwas taugt, manchmal etwas grob mit seinen Gestalten umgehen, auch mit denen, die Unglück und Verderben keineswegs verdient haben. So gesehen ist die Geselligkeit nicht immer eine angenehme, denn Schriftsteller müssen, davon bin ich überzeugt, „Charakterschweine“ sein, allerdings nur beim Schreiben, nicht im richtigen Leben.