Als wenn es jener Praktikant, von dem ich gestern sprach, geahnt hätte! Heute (am 10. Mai 2012) findet sich in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Setz einen Frosch auf einen Stuhl eine Klage die heutigentags fehlende Leselust betreffend. Hannelore Schlaffer sieht zwar nicht den Untergang des „Lesens und des Sich-Informierens durch Buchstaben“ an sich gekommen, wohl aber den des Lebensstiles des intensiven Lesens von Literatur, der nur in einer spezifischen Umgebung gedeihe. Sind wir alle zu bewegungs- und reiselustig, um überhaupt auf die Idee zu kommen, lange und eigensinnig in die großen Werke der Literatur hinabzutauchen? Sind die Kinder, wie Schlaffer anmerkt, überförderte Wesen, die von den Eltern durch ein Erziehungsprogramm geschleust werden, damit auch ja keine geniale Anlage unentdeckt bleibe?
Nun ja, das mag alles so sein, doch wäre nicht einzuwenden, daß auch in Zeiten, in denen die Jugend sehr viel las, überwiegend Schmöker verzehrt wurden und keineswegs durchgängig Literatur hoher Qualität? Und ist nicht das sogenannte Bildungsbürgertum eher von zwar zitatensicherer, dies hebt Schlaffer positiv hervor, dennoch aber nur oberflächlicher Kenntnis von Literatur geprägt gewesen? Ob man nun, so will es mir jedenfalls scheinen, seine Rede aber mit Sprüchen aus dem goetheschen Faust oder aus Asterix würzt, ist recht unerheblich, kommt nur der entsprechende Sinn, am besten generationsübergreifend, beim Anderen an. Zitate sind eben Duftnoten, die man setzt, um sein Revier anzuzeigen, das man keinesfalls mit jedem Dahergelaufenen zu teilen bereit ist. Wer in einer Runde aber etwa von der Blauen Blume spricht und der Notwendigkeit, den Weg nach innen zu gehen in ein romantisch-erotisches Wohlgefühl hinein, findet Resonanz jedoch keineswegs nur bei Lesern des Novalis, denn Ideen sind nicht nur an große Literatur gebunden und werden nicht nur in dieser verhandelt, sondern sind als Ideen im Menschen an sich angelegt, sie sind virulent und suchen sich ein zeitentsprechendes Medium. Was die Menschen dann aus dem zeitlosen Stoff des menschlichen Mit- und Gegeneinanders machen, der ihnen ja so oder so als Erzählung nahegebracht wird, ob sie ihn überhaupt angemessen aufzunehmen wissen, ist eine Frage, die aber tatsächlich viel zu tun hat mit dem persönlichen Lebensstil.
Ob Muße als Voraussetzung von Lesearbeit überhaupt noch möglich ist, muß letztlich jeder selbst entscheiden und gegen andere Interessen auf dem „Markt“ durchsetzen, gegen die eigenen ebenso wie gegen die von Eltern, Schule, Arbeitgebern oder die der „Freizeitindustrie“. Lesen ist und bleibt aber trotz allem eine so intime Angelegenheit, daß es kaum vorstellbar ist, niemand, der es einmal nur erlebt hat, wolle sich dies nicht wieder und weiterhin erkämpfen. Vielleicht sollte man auf Büchern den Warnhinweis aufbringen Lesen macht süchtig – schon wäre die Jugend gewonnen!
schön gesagt, jede zeit hat ihre eigenen strategien und gelesen wird ja immer noch, nur anders.
obwohl ich natürlich schon sagen muss ein wenig stimmt das schon was frau sowieso in der süddeutschen verbreitet. wo ich früher einige wenige sachen ausgiebig von a- z auslas, da bleibt heute oft nur ein drin herum- quer und rein lesen, verschiedenartigster bücher. manchmal stört mich das, diese unkonzentriertheit auf längere buchlektüre am stück…….ich weiß nicht ob das eine nebenwirkung des i- net/blog- lesens ist, aber ich denke schon.
warum dies so ist, schwierig , dieses intensieve konzentrierte? vll ist es so wie frau schlaffer sagt; die angst etwas zu verpassen lässt mich hierhin, dorthin und dahin zappen und das nicht nur virtuell sondern auch im realen leseleben…..andererseits kenn ich die phasen auch noch aus dem vor- digitalzeitalter. man stößt beim lesen auf etwas und sucht dann hier und da und dort neues buch, neuer abschnitt, und so weiter und so weiter . man öffnet eine tür und betritt eine welt voller neuer türen, die geöffnet werden wollen……dies war der reiz des lesens doch schon immer….
Nun ja, meine Strategie gegen Ablenkung und für konzentriertes Lesen war schon immer die Ritualisierung des Lesevorganges, das Herausheben desselben aus dem Alltag. Dies vor allem, weil ich Konzentration als solche auch erst mal lernen mußte, so als junger Mensch. Natürlich aber hat Frau Schlaffer nicht ganz unrecht mit ihrer Einschätzung, doch am Ende kommt es wohl immer auf den Einzelnen an, was er oder sie zu „leisten“ bereit ist, um ein Buch ganz und gar lesen zu können, woraus sich dann wieder die Neugierde auf andere Bücher (oder ganz allgemein Texte) ergibt. Der Reiz des Lesens muß stärker sein als der sogenannte innere Schweinehund, und wenn das so ist, dann tun sich ja tatsächlich Welten auf, Tür um Tür sozusagen!
ritualisiertes lesen? so täglich nach dem erwachen und vor dem stuhlgang oder bei selbigem eine stunde lesen. oder in der mittagspause 30 minuten zeit abknapsen, sich in den park verpissen und lesen. lesen als ritual, warum nicht. früher bedurfte es dessen zwar bei mir nicht, aber ein bissel struktur scheint gar nicht mal schlecht.
früher hab ich zum lesen immer die wartezeiten genutzt, in bussen und bahnen, zwischen den veranstaltungen, in den pausen. oder ich bin zum lesen in die dafür vorgesehenen lesehallen gegangen, hat auch was von ritus, irgendwie.
naja schauen wir mal…
Immer nach der Schule, statt Hausaufgabenmachen, dann während der Lehre immer nach dem Arbeiten, damals immer mit Tee und Schokolade. Man gönnt sich ja sonst nix. Heute habe ich kein so strenges Ritual mehr, weil mir kein strenger Rhythmus vorgeschrieben wird, doch ich behandle mein Lesen immer noch als eine Hauptsache.