Ich habe mir sicherheitshalber mal beides vorgenommen: viel netter zu sein und viel weniger nett. Je nachdem, wer sich wie, wann, wo und warum anheischig macht, mir auf die Nerven zu gehen. Ich halte das für ziemlich vernünftig, denn bisher war ich einfach immer zu nett, und das ist ein Fehler. Wer von allen gemocht werden will, zieht nur überflüssiges Gesocks an. Also nicht etwa, daß gerade ich von allen je gemocht werden wollte, mitnichten, aber ich wollte eben allen die Chance dazu geben. Vorbei! Arschlecken zwofuffzig, wie man früher so schön sagte in den braungoldenen fünfziger Jahren der westdeutschen Nachkriegsspießerdiktatur, von Ostdeutschland mal ganz zu schweigen. Auch beides vorbei, in gewisser Hinsicht jedenfalls. Heutzutage aber geht die Bedrohung der Freiheit nicht allein vom Staate, sondern von einem vorgeblichen Instrument derselben selbst aus, nämlich dem Internet, in das alle vermeintlich frei eintreten, aus dem sie aber womöglich nie wieder austreten können. Die größte Sekte der Welt. Stellen Sie sich das Internet einfach als Malstrom vor; wie sagte man früher so schön: Sie baden gerade Ihre Hände drin – während Sie nun jetzt gerade ganz und gar drin stecken, bis Oberkante Unterlippe, mindestens.
Viele Menschen sind jedenfalls schon so süchtig, daß sie sich von ihrem Dealer einiges gefallen lassen, von den Erzpuritanern bei Youtube ebenso wie natürlich besonders von den Werbefritzen, die wohl eines der schlimmsten Geschwüre der Menschheit überhaupt darstellen. Eine Welt ohne Werbung wäre eine freie Welt, schiene mir, und ja, es geht um Befreiung von der Internetsucht, auf daß wir wieder die Maschinen beherrschen, und nicht umgekehrt sie uns. Doch wie sähe eine moderne Maschinenstürmerei aus? Ich habe da so meine Ideen, aber eingedenk meiner Entscheidung, weniger nett zu sein, sage ich nix dazu. Wäre sowieso Blödsinn gewesen, bei den Portokosten heutzutage. Also weiter im Takt.
Immer herrlich, wenn Sie so richtig aufräumen in der Welt. Und bei den Werbefritzen, meinem absoluten Lieblingsfeindbild Nummer eins, klinke ich mich erst recht ein. Ich war gerade im postkommunistischen Lemberg, einer Stadt, wo auf den Plätzen noch Tauben in Trauben frei herumfliegen (man fühlt sich gleich in so alte s/w Fotografien versetzt) und nicht jeder Quadratzentimeter freier Fläche mit irgendeinem Werbemüll zugepflastert ist. Balsam für die Augen. Dass die Welt dadurch freier würde ist natürlich Quatsch, schließlich gab’s in der DDR auch keine Werbung. Es schafft einfach so eine ruhige Konzentriertheit auf sich und die eigenen Belange. Das ist schon ne Menge.
Ja, wenn man sich manchmal wieder so alte Filme gönnt, aus den 60er-Jahren in schwarz-weiß, in denen selbst Paris fast werbefrei wirkt, dann kann man nur bedauern, in einer mit Werbung völlig zugemüllten Welt zu leben. In der DDR gab es übrigens durchaus Produktwerbung, aber nur sehr, sehr wenig, dafür aber um so mehr Propaganda für die kommunistische bzw. sozialistische Sache. Wollten nicht die Amerikaner sogar mal Werbung auf dem Mond machen? Für ein zuckriges Koffeinkaltgetränk?
Der Mond als nächtens prima leuchtende, aber gänzlich werbefreie Fläche dürfte in der Tat manchem Werbefuzzie ein Ärgernis sein…
Das gäbe dann Krieg auf allen Ebenen, ganz, ganz sicher!