Oscar Wilde trifft Samuel Beckett

„Du mußt beides tun, einerseits Deinen Stil leben und zugleich jeden, der will, in die banale Alltäglichkeit dahinter blicken lassen. Nur so entkommst Du den Klischees und, vor allem, den Symbolen.“ So etwas hatte ich ihn, den Freund, noch nie sagen hören, ich sah ihn skeptisch an, wie er da so saß, lächelnd am Kaffeehaustisch. „Hätte“, fuhr er fort, „Dorian Gray in Oscar Wildes‘ Roman das alternde Bildnis seiner selbst der Welt zugänglich gemacht, also zugegeben, seine Seele verkauft zu haben, er wäre nicht seiner Alterslosigkeit und seines Glanzes wegen bewundert worden, sondern geliebt seiner Grausamkeit wegen, so wie die Racheengel geliebt werden.“ „Gut“, erwiderte ich zögernd, „doch eine Figur mit dem sprechenden Namen Gray wie Grau muß einem Extrem zustreben, um sich selbst zu entkommen. Dem Mittelmaß zu entkommen. Zwingend.“ Der Freund nickte zustimmend, sagte aber nichts. Schweigen trat ein. „Samuel Becketts Figuren“, erwiderte ich schließlich, „werden von ihren Körpern verraten, doch am Ende ist, wiederum in den Anfang hinein, alles Erzählung, sie bleibt, die Worte bleiben, denn so lange es Worte gibt, wird erzählt werden müssen, mit dem und gegen den Zerfall, in einem Circulus Vitiosus.“ Wieder Schweigen, länger noch dieses Mal. „Ja“, hob der Freund endlich an, „da haben diese beiden irischen Schriftsteller etwas Wesentliches gemein, so verschieden sie sonst auch sein mögen.“ „Wirst Du etwas darüber schreiben“, fragte ich. „Nein“, sagte er aufstehend, „ich werde jetzt gehen.“ Dann zerstob der Freund vor meinen Augen zu einer Leere, die die seine war, nur Worte blieben zurück.

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