Das wirkliche Leben im Falschen

Das wirkliche Leben im Falschen – wer kennt das nicht! Besonders einfühlsame, hilfsbereite, im besten Sinne erwachsene, gebildete, intelligente Menschen kennen das und sind sich zugleich ihrer Ohnmacht bewußt. Sie hätten alle Voraussetzungen für eine Führungsposition, zum Wohle der Verwirrten, zum Allgemein- und auch dem eigenen Wohle, doch sie nehmen solch Position nur selten und nur unter besonderen Umständen wahr, eben weil sie weder bevormunden noch unterdrücken noch gängeln oder lügen und betrügen wollen, weil eben das ihrem Wesen und ihrer Grundüberzeugung widerspricht, selbst wenn sich damit Gutes erreichen ließe. Sie müssen also in jedem Fall eigene Wege finden, die ihnen entsprechen und nicht nur den schon ausgelatschten keine Spuren hinzufügen. Dafür haben sie sich Sinnsprüche erfunden, steter Tropfen höhlt den Stein, so etwas in der Art – zur Beruhigung. Die Angst, im Vollrausch der (wenn auch nur begrenzten) Macht zu einem schlechten Menschen zu werden und Schaden anzurichten, sitzt jedenfalls tief und verhindert, wenn nicht generell, so doch viel zu oft, die Tat. Stattdessen verrichten diese Menschen nicht selten wichtige soziale oder künstlerische, aber kaum auffällige Arbeit, schlecht- oder sogar unbezahlt, während die stark auftretenden Schwachen eiskalt ihre Macht ausbauen und ihre Konten füllen, sich wenn nötig zusammenrotten, Seilschaften bilden, das Wohlwollen anderer ebenso ausnutzen wie Gesetzeslücken und die allgemeine Gleichgültigkeit. Das alles wäre zu beklagen, sicher, doch warum überhaupt Dinge ansprechen, die sich nicht ändern lassen!? Was kratzt es die Eiche …, Sie wissen schon: Sinnsprüche. In Die Liebe in Zeiten der Cholera fügt Gabriel García Márquez immer wieder Bilder ein, die als Gegensatzpaare funktionieren, meist bezogen auf zwei Arten von Menschen, solche, die gut scheißen und jene, die schlecht scheißen, solche, die vögeln und die, die das nicht tun, naja, solche Dinge eben, die aber keineswegs einem Schwarz-Weiß-Denken entspringen, sondern – dem guten Leser – viel Platz zum Leben dazwischen lassen, einem Lebendigsein trotz aller Falschheit. Aber lassen nicht literarische Texte ohnehin immer viel Platz zum Leben? Gute ja, bis zum letzten Loch gefüllte aber eher nicht, würde ich sagen – ich will ja schließlich nicht von der prasselnden Autor:inn:enphantasie gesteinigt werden, und da fällt mir ja gleich wieder ein Sinnspruch ein, der mit den schlechten Lesern, die ein Trost sind für schlechte Autoren, aber ich will’s mal gut sein lassen – schlechte Leser empfinden diesen Text hier spätestens jetzt ja ohnehin als langweilig, als das Gegenteil der Dienstleistung, auf die sie ein Recht zu haben glauben, so eine Art literarische Ganzexistenzmassage mit Penetration. Grad darüber, quasi andersherum gedacht, über das absolute Recht des Autors, der Autorin, gute Leser zu haben, sollte ich aber vielleicht mal einen Text schreiben, und wenn der nur den einen Sinn hätte, schlechte „Kunden“ auf immer zu vergrätzen. Grad und besonders in diesem Jahr 2014 habe ich ja, neben den guten, besonders viele Leser:innen gehabt, die in ihrer Ablehnung meiner Texte mehr von sich offenbarten, als ihnen lieb sein kann, als sie selber womöglich zu begreifen vermögen. Das mag auch daran liegen, daß ich nie in meinem Leben nach einer Muse verlangt hätte, daß mir dies seit jeher allenfalls als eine Mode aus dem quasi langen 19. Jahrhundert erscheint – zwei Mal wurde ich dieses Jahr, Anfang des 21. Jahrhunderts, damit konfrontiert, doch gefälligst gefördert und gefordert werden zu wollen, wortgleich, ich hab’s schriftlich, von Frauenseite, doch was andere Autoren als Glück zu begreifen vermögen, ist mir das Gegenteil erwachsener Anteilnahme, es ist devot und anmaßend zugleich, eine Melange, die mir zuwider ist. Reife Menschen mit einem stabilen Selbstwertgefühl sind nicht Muse, meiner bescheidenen Ansicht nach. Sicher, das Verhältnis Künstler – Muse hat große Kunst ermöglicht, das ist nicht zu bestreiten, man denke nur an Amedeo Modigliani, dessen arme Verlobte und Muse Hébuterne nach seinem Tod Suizid verübte, folgerichtig und aus Liebe zwar, aber ohne die Verzweiflung in ihrem Dasein leben zu können. Das arme Ding! Andererseits braucht die Kunst, und besonders die Literatur, womöglich Opfer und Täter als ihr eigentliches Lebenselixier, und manchmal frage ich mich, wie viel Unglück, Angst, Wut, Schwermut, Schwäche, Getriebensein und, ja, auch verzweifelter Mut allein in meiner (von schlechten Büchern inzwischen befreiten) Bücherwand steckt, wie viel Aufopferung, nicht nur der Autor:inn:en selbst, sondern auch die der Musen, Freunde, Partner, Eltern, Geschwister, völlig Fremder vielleicht! Auch wie viel Krankheit, Irrtum, Wahnsinn, und alles nur, um das zu tun, was dem Menschen ursprünglich zu eigen ist, nämlich zu erzählen, „Wahres“ und Erfundenes, aus dem eigenen Leben (als Lebens-Roman sozusagen), aus dem Leben anderer, aus einem „rein“ erfundenen Leben, das nie war und nie wäre, würde es nicht erzählt werden wollen. Allerdings, und eben das frage ich mich auch nicht selten, wäre es da für mich nicht angemessener, die tätige Teilnahme an meiner Arbeit (über die „normale“ etwa in einer Lebenspartnerschaft hinaus) dann doch einzufordern, vehement einzufordern, gegen meine eigene Überzeugung? Wirkt nicht alles andere halbgar, lauwarm, nicht richtig gewollt, unentschlossen? Ja, allerdings, auf manche, die nur mit kräftiger Unterstützung von Freunden, Musen, Familie als Künstler zu existieren vermögen, wirkt das so, doch ich werde den Teufel tun, die Verseilschafteten von ihrem Irrtum zu befreien – es ist wie in Sachen Liebe: wer nicht auch allein glücklich sein kann, der kann es auch nicht mit einem anderen zusammen. Annehmen, Hilfe annehmen, Unterstützung – das allerdings muß ein Künstler trotzdem können, inmitten des Falschen, inmitten des bellum omnium contra omnes, des Krieges aller gegen alle, denn eben dies ist letztlich ja immer genau sein Thema, ist das, wovon erzählt wird: Krieg. Von Frieden keine Spur.

Inmitten lesen! Norbert W. Schlinkert

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2 Antworten auf Das wirkliche Leben im Falschen

  1. Marie-Louise sagt:

    Wollen Sie ernstlich behaupten, eine, beispielsweise, Alma Mahler Werfel hätte nicht gewusst, was sie tat, als sie sich ihre Männer nahm, sicher nicht aus Schwäche.

  2. Ich behaupte nichts dergleichen – Künstler und Muse sind eher beide Wollende und wissen hoffentlich, was sie tun, auf was sie sich einlassen, was aber, mehr habe ich gar nicht sagen wollen, einfach nie mein Ding war und auch nicht werden wird, weil es nicht meinen Vorstellungen vom Umgang miteinander entspricht. Und warum Alma Mahler Werfel tat, was sie nicht lassen konnte, kann ich auch nicht sagen, eine Psychologisierung der guten Frau dürfen gerne andere versuchen. Und überhaupt: wenn schon „Muse“, dann würde ich Lou Andreas-Salomé bei weitem vorziehen!

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