Lamentiert wird zurzeit andernorts, da bin ich ja fast froh, denn alles selber machen will man denn nun auch wieder nicht! Beklagt wird jedenfalls, bei der Kollegin Aléa Torik nämlich, daß es dem literaturschreibenden Menschen meist schlecht geht, beruflich, finanziell, psychisch, während von eben diesen Schreibenden allerlei andere Berufstätige leben. Sie schreibt das folgende, ich darf mal zitieren:
Es ist tatsächlich ausgesprochen obszön, dass so viele schreiben. Dass so viele zu den Fleischtöpfen streben, von denen es nicht wenige gibt. Aber es kommen eben immer nur ganz wenige in Frage. Es sind wenige hundert, die die Preise und Stipendien bekommen, die auf die großen Festivals eingeladen werden etc. etc. Es ist obszön, dass wir, die wir Hunderttausend Menschen in Lohn und Brot halten, selbst solche Hungerleider sind. Wir müssten aufstehen und klipp und klar sagen, dass wir das nicht mehr machen. Wir schreiben keine Texte mehr. Wir schicken nichts mehr an Verlage, wir bewerben uns nicht mehr auf Stipendien und lehnen Lesungen freundlich, aber bestimmt ab. Wir verweigern uns einfach. Wir schreiben nichts mehr, vielmehr veröffentlichen wir nichts mehr. Anders als bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa, wo wegen Lappalien gestreikt wird, geht es bei uns um die gesamte Existenz.
So also Aléa Torik in ihrem Beitrag, und zwar als Replik auf die wütende Aufforderung Bersarins an die Schriftsteller:innen, sich doch gefälligst zu reduzieren, was imgrunde natürlich ein Schrei nach Liebe, also nach Qualität ist. Aber würde eine Verweigerung, ein (Schriftsteller:innen-)Streik, etwas nützen? So wie ein Krieg auch nur Krieg genannt werden darf, wenn er grundsätzlich beendet werden kann, so ist ein Streik auch keine ewige Verweigerung, irgendwann bröckelt die Front, Streikbrecher nutzen die Lage, ihren Kram unterzubringen, und so weiter und so weiter – und am Ende wäre die Zahl der Schriftsteller:innen nicht nur nicht kleiner, sondern womöglich größer. Was also tun? Auf die verwirrte Leserschaft ist natürlich wie immer kein Verlaß, denn die sind wegen des Überangebots an Literatur ohnehin völlig überfordert (und dabei gäbe es hinter dem Überangebot noch ein weiteres und sogar noch größeres solches), so daß womöglich nur eine Lösung bliebe, die zum einen die pure Anzahl an Literaten reduzierte, aber diesen auch je einen Publikumserfolg bescherte, möglich gemacht nämlich, so jedenfalls meine Idee, durch den einfachen und effektiven Selbstmord eines jeden einzelnen Schreibenden, und zwar direkt nach Beendigung der ersten selbst als gut empfundenen literarischen Arbeit. Grund dafür ist in jedem einzelnen Falle die Erkenntnis, mit solch einem Text nie und nimmer Erfolg haben, sich also auch gleich umbringen zu können – was aber wiederum mit dem Trost verbunden ist, durch sein eigenes tragisches Ableben wenigstens dem Text allein, ihm als solchem eine gute Chance auf Veröffentlichung und Erfolg zu ermöglichen, denn, das weiß man, das Publikum liebt gute Geschichten, die in der Realität, also der Verzweiflung der Autoren wurzeln. Alles in allem entstünde so eine Win-Win-Situation, die Autor:inn:en nämlich zeigten, wie ernst sie es meinen mit ihrer Kunst, wie sehr das Schreiben ihr Leben ist, und zudem würden die so ins Licht gerückten Texten angemessen gewürdigt werden, und das sogar von einem Publikum, das eben genau diese Texte wirklich will. Nur um den Nachwuchs an literarisch schreibenden Menschen müßte man sich womöglich ein wenig Sorgen machen, aber das Problem lösen wir dann auch noch, später irgendwann.
Ich bin natürlich ein kreativer und ausgesprochen findiger Kopf, der dem Pessimismus der Intelligenz, die sich oft in Wut und Polemik entlädt, den Optimismus der Tat entgegenhält. Der guten Tat versteht sich. In einem früheren Jahrhundert, als solche Aktivität und Engagement sich noch in einer breiten Bewegung der Massen trugen und entluden, hätte ich es unter diesen Umständen gewiß zu größerem gebracht, hätte womöglich eine Karriere als Kultur-Kader einer kleineren Sozialistischen Volksrepublik gemacht. Bulgarien oder Albanien vielleicht. Aber von der Sprache her vermutlich doch eher Berlin, Hauptstadt der DDR. Nun aber gibt es für unsereins nichts mehr zu tun, als zu schreiben und zu nörgeln. Doch um die Frage zu klären „Was tun?“ (W.I. Lenin) und um Utopien oder schlichter und eine Nummer kleiner gefahren Vorschläge zur Verbesserung der allgemeinen Lage der schreibenden Klasse zu unterbreiten, möchte ich Sie, werter Herr Schlinkert, für morgen auf einen kleinen Artikel auf meinem Blog (Ost-Block sozusagen) aufmerksam machen, der die Aporien des Monetären aufzulösen sich anschickt und vorläufig oder aber endgültig und gewiß diesen Titel tragen wird: „Über eine Maßnahme wie dafürhin alles Leid und Klagen der Schriftstellerinnen und Autoren über das spärlich Materielle des Dichterlebens überflüssig gemacht werden könnte“. Es wird ein guter Text. Er wird zur Befriedigung aller ausfallen.
In der Tat, lieber bersarin, aus uns allen hätte was werden können, Hofschreiber, Zeremonienmeister, was auch immer, wenngleich das Nichtswerden und das Nichtsgewordensein und Nichtsmehrwerdenkönnen auch überaus anstrengend ist.
Bin gespannt auf Ihren Artikel! Sitzen wir womöglich im selben Boot, ohne es zu bemerken?
Lieber Norbert,
Recht hast du, der Nachteil des Schriftstellerstreiks wäre, dass nach seinem Ende nicht nur die wieder zu schreiben anfangen, die zeitweise aufgehört hatten, sondern auch die schreiben, die das als Möglichkeit gesehen hatten, überhaupt erst damit anzufangen.
Bersarin erkennt richtig, dass all die Literatur ein Schrei nach Liebe ist. Aber auch er schreit ja, wenn er um Ruhe bittet. Alle schreien nach Liebe, aber kein will sie geben. Keiner will mal für einen Moment die Klappe halten, alle wollen nur schrei(b)en.
Und Recht hast du ebenfalls, dass man sich nach einem gelungenen Buch umbringen sollte. Besser wird’s nicht. Wozu also noch den Markt weiter zumüllen, die Wälder abholzen etc. Selbstmord ist dem Bekanntheitsgrad sicher förderlich. Auch die Kritiker müssten sich umbringen, aber nicht erst, wie weiland geschehen, am Ende des Kritikerlebens, wenn das Pulver verschossen ist und das Geld ausgegeben, sondern gleich zu Anfang, eine Rezension und – Zack – Rübe ab, aber besten noch vor der ersten Rezension.
Ich finde deinen Beitrag einen sehr gelungenen Text. Schlussfolgerung? Ich habe da ein sehr schönes Küchenmesser, das ich dir leihen könnte, für deinen eigenen Abgang. Ich würde es, nachdem du es dir in die Brust hinein gerammt hast, wieder aus dir herausziehen, wenn es dich nicht stört. Oder wie würdest du das anstellen wollen? Schriebest du einen Abschiedsbrief und wenn ja, an wen? Aber wo bei anderen Berufsgruppen eine ganze Hundertschaft Polizisten angeritten kommt, um die Tat aufzuklären, kommt bei dir nicht mal einer, der die Leiche wegfegt.
Und da Bersarin morgen auch einen gelungenen Text schreibt, könnt ihr dann ja gemeinsam abgehen, vielleicht am Kleinen Wannsee, noch einen Brief scheibend, „Am Morgen meines Todes …“, so überschrieb Kleist, bis zum letzten Moment der Dramatik verpflichtet, seinen Abschiedsbrief. Nein schreibt besser nichts! Ich habt alle beide das euch zugestandene Limit erreicht. Und während du und Bersarin, wenn die Selbstmordwelle kommt und der große Ozeandampfer der Literatur untergeht, in einem Boot sitzt, sitze ich für mich allein in einem Einzelboot. So hatte ich das auch gebucht.
Aléa Torik
Liebe Aléa,
sag’s nicht weiter, aber mein Text beinhaltet natürlich einen Rettungsanker für unsereiner, der für die vielen in Leipzig und Hildesheim oder auch sonstwie herangereiften Schriftsteller:innen überhaupt nicht erkennbar ist, nämlich dieser Aspekt, daß man sich „direkt nach Beendigung der ersten selbst als gut empfundenen literarischen Arbeit“ doch bitte gefälligst und zum eigenen Vorteil und damit Wohle selbst zu meucheln habe – aber wer von uns ist schon jemals ganz zufrieden mit seiner Arbeit? Dafür sind wir doch gar nicht erzogen, nicht konditioniert worden, fernab von den Brutstätten! Aber wie gesagt: pssst! (Alles wird gut!)
„Wohl sind die Menschen ausnahmslos unterm Bann, keiner zur Liebe schon fähig, und darum meint ein jeder sich zu wenig geliebt.“ (Adorno)
Es bleibt nur: Schreiben.
Allerdings sitze ich mit niemandem im Boot. Ich befinde mich auf einem Gang beim Maschinenraum oder auf dem Sonnendeck des Panzerkreuzers Potemkin.
Richtig, Sie haben ja schon ein Boot! Und was für eins! (Panzerkreuzer haben Sonnendecks? Oder nur das Potemkinsche?)
Ja, das Schreiben bleibt, respektive: das Geschriebene!
Ein wenig Hoffnung läßt Adorno ja durchaus durch sein „schon“, so als müsse und werde auch da noch etwas geschehen. Muß auch!
Drüben bei Bersarin schrieb ich zum Thema übrigens noch dieses hier:
Die Scheißwehleidigkeit der Schriftsteller ist in der Tat unerträglich, vor allem weil diese Horden von Schmarotzer:inne:n daraus nicht einmal, wie die ebenfalls jammernden Musiker, ein ordentliches Lamento machen können – Lametta machen sie daraus, und selbst davon war früher mehr. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, wie elegant ich die beiden aktuellen Themen Literatenarmut und Freitod in einem Text verwob? – allerdings ohne die Hoffnung, damit, wie einstens Goethe, eine Karriere zu begründen. Man kann ja von Goethe halten, was man will, aber als armer und noch völlig unbekannter Literat einen Roman, also den Werther, zu schreiben, in dem sein Alter Ego sich leidenschaftlich umbringt, ist genial, vor allem auch, weil er damit eine Selbstmordwelle auslöste, die manch Konkurrenten dahinraffte. Goethe hat sein eigenes Massaker überlebt, mit blutigen Händen, und hätte Aléa Torik sich selbst im eigenen Roman in die Tiefe und damit in den Tod gestürzt, nur um dann eben doch weiter Romane zu schreiben, wer weiß, welche Karriere sie dann noch gemacht hätte. Hat eigentlich Walter Benjamin nach seinem Tod noch weiter geschrieben? Sehen Sie, da läge die Lösung: man muß als Autor auf der einen Seite tot sein, um auf der anderen trotzdem weiterzuschreiben. Wer das nicht hinbekommt, soll auch nicht bezahlt werden!
Und auch das hier schrieb ich noch drüben bei Bersarin, wobei ich mich im Nachhinein über die Sachlichkeit dieser meiner Aussage wundere – wie auch immer:
Imgrunde klagt ja kein Künstler primär über Geldsorgen, sondern über fehlende Beachtung und fehlende Wertschätzung. Wirklich arm ist ein Künstler nur dann, wenn er weder ausreichend Geld für die Bedarfsbefriedigung noch, daraus folgend, ausreichend Zeit hat, seinen Beruf auszuüben – aber dann kommt er auch nicht mehr dazu, zu klagen. Klagen tun also die, denen es noch gut genug geht, in ihrer dem Dasein abgetrotzten Arbeitszeit auf die schlechten Bedingungen hinzuweisen, unter denen sie arbeiten, und eben das kann man ohne jedes künstlerische Niveau tun (und dann am besten gleich Funktionär werden) oder eben auf möglichst hohem Niveau, essayistisch, mit kleinen oder großen Geschichten, mit Filmen, Fotos, Gemälden, Theaterstücken, Tänzen, Liedern, Opern, Performances und so weiter. Man kann es aber natürlich auch ganz sein lassen, das Klagen meine ich.