Träschsch – Fortlaufende Miniaturen um Anna, auch Emma (VI)

Träschsch ist ein alter Text, ein Extrakt aus Der Bildermacher, begonnen 1996 und seitdem in Arbeit, in progress. Ganz anders etwa als Stadt, Angst, Schweigen ist Träschsch aber kein „Fließtext“ wie eben jener, sondern ein gleichsam atemloser, ein in unruhigem Wechsel rhythmisierter Text, ein Gebilde mit Brüchen und Rissen, ein Ich, das schreibt.

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Es regnet. Ich lösche das Licht. Der Wald erscheint. Grau in grau. Undeutlich. Verschwommen. Wie oft, sagte ich, treffe ich Anna, die falsche Anna, die am Ende nur imaginierte? Es ruiniert mich. Anna wird es bemerken. Ihre Haut ist wie Seide. Ich nehme eine Flasche Wein und öffne sie. Die Etiketten habe ich abgelöst. Das war viel Arbeit. Sie sind rot, alle Weine in unserem Keller sind rot, das reicht. Sagte ich, es regnet? Habe ich das Licht gelöscht? Mein Wagen springt nicht an, wenn es regnet. Bei Regen, ausgerechnet bei Regen muss ich mit dem Rad zur Straßenbahnendhaltestelle. Bei Anna, der falschen Anna, die, die ich Anna nur nenne, wozu das noch betonen, bade ich dann. Ich bezahle die ganze Nacht. Sie ist umgezogen, privat umgezogen. Sie sagt, wir könnten uns also immer bei ihr in der Wohnung treffen. Die Konstellation sei im Augenblick günstig, wer weiß, wie lange noch. Ob ich das begreifen würde? Ich verstand durchaus. In dieser Nacht erstarrte sie kurz vor dem Höhepunkt, meinem Höhepunkt, der Glanz ihrer Augen verlor sich, sie glitt ab von mir, kniete neben mir und schrie mich an, sie wolle mein Geld nicht, sie wolle mit mir eine Vereinigung, eine Vereinigung? sagte ich, ja, eine Vereinigung! sagte sie, sie wisse, dass ich mein letztes Geld ausgäbe für sie, das sei nicht nötig, sie bräuchte mich, ob ich das verstünde? Aber nein, die alte Geschichte, sagte ich, ich bräuchte sie, sie wisse das, nicht umgekehrt, worauf sie sagte, ich verstünde nichts! Ihre Wohnung – mit viel Geschmack eingerichtet und, wie ich sah, mit viel Geld. Fühl dich wie zuhause, sagte sie. Ich sagte, das sei doch alles nur die alte Geschichte. Sie sagte nichts und sah mich an. Mein rechtes Hosenbein von Kettenfett beschmutzt. Seitdem treffen wir uns in ihrer Wohnung. Die Tage legt sie fest. Strikt. Dadurch gerät meine Suche nach Anna aus der Bahn. Einmal wöchentlich gehe ich zu ihr. Sie nimmt kein Geld. Sie ist falsch.

Ich schließe das Fenster und sehe mich wieder an im Fensterglas. Ich bin im Bild. Auf dem Bildschirm davor die unendlichen Weiten. Ich setze mich. Ich beginne zu schreiben. Es ist Echtzeit. Im Grunde ist es langweilig. Ich gehe nach unten. Ich betrachte die Reihen der Tagebuchblätter. Ich bin wütend. Ich schreite sie ab: Korridortür zum Kamin, Kamin zur Terrassentür, Terrassentür zum Tisch, Tisch zur Korridortür usw. usw. usw. Lassen! Ich hebe ein Blatt auf. A ist ein unglaublicher Spinner und er beendet nichts richtig, vom Vögeln einmal abgesehen. Der Finne hat recht. Ich setze mich. Oben wartet eine Arbeit, die ich beenden werde. Beenden durch Finden. Beenden durch Löschen. Nein, ich habe die beiden Finnen nicht umgebracht. Wieso denn zwei Finnen, plötzlich, jetzt? Ich habe sie in meiner Kühltruhe gefunden. Das ist eine ernste Sache. Die Kriminalpolizei einschalten, das könnte ich tun. Heute gefunden, sofort angerufen. Keine Fragen zu Anna beantworten. Von Anna nicht reden. Ich gehe in den Keller. Die Truhe ist abgeschaltet. Ich öffne sie. Sie ist bis zum Rand vollgestopft mit Büchern. Hast du das etwa vergessen, fragt mich eine Stimme. Es ist Anna. Wir wollten sie doch verkaufen. Es ist Anna. Wo bist du gewesen? Im Bad, sagt sie. Ich stürme an ihr vorbei, halte ein, gehe zurück, küsse sie, berühre mit beiden Händen ihre Brüste, greife sie. Sie schaut mich an. Ihr spöttischer Blick. Die Brustwarzen werden hart, die linke über dem Herzen eine Nanosekunde früher. Sie trägt einen Rock. Meine linke Hand löst sich und schiebt sich zwischen ihre Beine. Sie sagt nichts. Warm und weich, heiß und hart. Wir schauen uns an. Der Text! Der Text muss gelöscht sein! Bin gleich wieder da, murmele ich. Ich steige nach oben. Mit großen Schritten, zwei Stufen auf einmal. Ich gehe in mein Zimmer. Auf dem Bildschirm der Bildschirmschoner der unendlichen Weite. Ich drücke eine Taste. – A – Der Text erscheint. Anna! rufe ich, Anna. Keine Antwort. Ich laufe in den Keller. Anna. Sie ist nicht da. Ich suche das Haus ab. Anna. Die Kühltruhe ist in Betrieb. Ich öffne sie nicht. Sie bleibt geschlossen. Es ist Mitternacht, fürchte ich. Ich steige wieder hinauf. Nichts ist zu hören, nur das leise Plätschern des Regens, draußen in der Nacht. Ich trinke ein Glas. Rotwein. Ich verlasse das Haus. Ich starte den Wagen. Der Wagen springt an. Sagte ich nicht, er spränge nicht an, wenn es regnet? Ich fahre zum Waldrand. Ich nehme den Feldstecher zur Hand und betrachte mein Haus. Anna betritt mein Zimmer. Sie erscheint im Rechteck. Sie blickt zum Waldrand. Es ist dunkel. Sie sieht nichts. Sie verlässt das Rechteck, das Bild ist leer. Ich weiß, sie macht eine Kopie des Textes. Einen Ausdruck. Tu das nicht, Anna! Ich steige in den Wagen. Es regnet nicht. Der Wagen springt nicht an. Ich steige aus und gehe am Waldrand entlang. Ich muss Anna finden. Auch die Kopie muss gelöscht werden, es reicht nicht, den Text zu löschen. Ich lösche den Text, sie vernichtet die Kopie. Vernichte diese Kopie, Anna! Hörst du! Liest du es, das hier!? Anna!

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