Text-Ermordung ist gut. Verbrennen wäre super, aber wo denn heutzutage! Also zerreiße ich loszuwerdende Texte und schmeiße sie in zwei, drei Mülleimer, mehrere also, damit niemand kommt und sie wieder zusammenleimt. Im Rechner und auf irgendwelchen Sticks muss ich sie natürlich auch löschen, auslöschen, das versteht sich ja von selbst. Im Augenblick sind Teile meiner Kurzgeschichten und Erzählungen und einer meiner beiden unveröffentlichten Romane* kurz davor, exekutiert zu werden. Dereinst einen Nachlass zu hinterlassen halte ich für unanständig. Eine Verschmutzung der Zukunft aus der Gegenwart heraus. Nachlässe gehören verboten. Eine gute Möglichkeit der Vernichtung ist allerdings immer noch, Texte ganz einfach mal zu veröffentlichen, dem Zugriff zugänglich zu machen, der Kritik auszusetzen, sie den Leuten nicht nur um die Ohren zu hauen, sondern sie ihnen reinzuwürgen, bis sie nicht mehr geradeaus gucken können, sie ihnen also gleichsam ins Gemüt zu prügeln. Letzeres, das Hineinprügeln, geht so: Man nehme ein Wort und behaupte damit etwas, dann nehme man noch ein Wort und behaupte das Gleiche noch einmal, dann nehme man das nächste Wort und so weiter – am Ende steckt der Text tief und fest im Hirn des Textopfers, es muss ihn überall mit hinnehmen und kann in seiner Not allenfalls versuchen, ihn durch ein Wiederhinausreden loszuwerden, was aber dem Angeredeten nicht selten die Idee eingibt, den Text selbst lesen zu wollen, statt nur von ihm zu hören. Und dann geht’s wieder von vorne los, der Text findet ein neues Opfer, das dann wiederum nicht anders kann als … Sie verstehen! Am Ende haben sich schließlich so viele Menschen des Textes wieder entledigt, dass er vollständig verschwunden ist. So etwas beschreibt man in der Welt da draußen im allgemeinen als literarischen Erfolg oder als Bestseller. Am besten ist es aber in jedem Fall, um das nicht unerwähnt zu lassen, den Text erst gar nicht zu gebären, oder wenn er schon heraus muss, dies wenigstens rittlings über dem Textgrabe zu vollführen, so wie ich dies mit diesem Text tue, der sofort und ohne weitere Umstände durchfällt und somit, kaum geboren, auch gleich wieder vernichtet ist. Chapeau!
* Nachtrag 02. Dezember ’21: Der Roman Scheerbart/Hologramm ist nun in allen seinen mir verfügbaren Versionen digital vernichtet und zudem handgreiflich zerrissen und entsorgt, seine Zeit war, ohne dass er überhaupt eine Wirkmächtigkeit entwickelte, einfach um. Wer noch eine Version des Roman-Typoskripts besitzt, der ein oder andere Verleger hat wohl eine, möge sie bitte vernichten.