Treffen / Zwei / Sich

Norbert W. Schlinkert

Treffen / Zwei / Sich

Heft II

Übertragung der handschriftlich verfassten Erzählung in ein Typoskript

© 2025 Alle denkbaren Rechte weltweit und darüber hinaus beim Autor

– Eine Wüstenei –

[1] Ich spreche mit Ihnen. Stellen Sie sich vor, einen Durchgang zu passieren, einen Torbogen vielleicht. Stellen Sie sich vor, auf der anderen Seite zu sein. Sie wissen, sage ich, dass Sie nicht mehr zurückkönnen. Sie zeigen sich verwundert, ob wegen des Nichtzurückkönnens oder wegen mir, der ich so plötzlich wieder neben Ihnen stehe, weiß ich nicht. Ihr Blick wechselt zwischen dem Torbogen und mir hin und her. Das ist der Anfang der Geschichte. Ob ich mir Sie vorstelle oder Sie sich mich, weiß ich nicht. Auch Sie wissen es nicht. Am einfachsten ist es sicherlich, wir stellen uns uns gegenseitig vor. Vielleicht denken Sie das Selbe wie ich, ich weiß es nicht und sie auch nicht. [2] Wir werden uns verständigen müssen, so denken wir. Zu beiden Seiten des Torbogens ist Heide, Kraut und Moos. Nichts leichter als links oder rechts des Torbogens diesen zu passieren und ihn somit rechts oder links liegen zu lassen. Ich sehe es Ihrem Blick an, dies versuchen zu wollen. Kein Graben und kein Bach trennt das Diesseits und das Jenseits. Ignorierte man den Torbogen, so gäbe es weder Diesseits noch Jenseits. Ich denke wie Sie, wir haben beide recht, und dann sehe ich in Ihren Augen und den sich minimal verändernden Fältchen um die Augen herum, wie komisch Sie es fänden, ginge ich etwa links am Torbogen außen vorbei und Sie rechts, oder eben andersherum. Doch dann sehen Sie wie ich ganz leicht den Kopf schüttele und ganz leicht die Augen zukneife, so als wollte ich sagen, wie leid es mir tut, weder links noch rechts [3] am Torbogen vorbei gehen zu können noch den Torbogen durch ihn hindurch zu passieren. Es geht nicht, sage ich. Der Torbogen ist nichts weiter als ein verbliebener Rest der Mauer, die den einen Teil des Landes vom anderen Teil des Landes trennte. Reste der Mauer selbst sind mit bloßem Auge nicht erkennbar. Der Torbogen ist alt und verwittert, er hat die Form eines quadratischen, zweistöckigen Hauses aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, nur dass sich statt des Erdgeschosses mit einer Stube der Durchgang befindet. Die Torbögen, denn imgrunde handelt es sich ja eigentlich um zwei Torbögen, sind oben rund, wie es sich für Torbögen nunmal ziemt. Die Decke dazwischen ist kein Tonnengewölbe, sie ist eben und stellt die Zimmer[4]decke des darüberliegenden Zimmers von unten dar. Sie haben, sage ich, sicher nicht so genau auf diese Details geachtet, als sie durch das Torbogenhaus hindurchgingen, weil sie diesem Gang keine besondere Bedeutung beigemessen haben. Wohl haben Sie den Kopf etwas angehoben und etwa gedacht, die Höhe ist die, die nötig ist, damit Fuhrwerke und Kutschen unbeschadet hindurchfahren können mitsamt dem Kutscher. Von der einen Seite zur anderen Seite hindurch, mit Waren oder mit Reisenden. Ich sehe die Frage in Ihren Augen, ob eine Kutsche wieder hat zurückfahren können, hat zurückfahren dürfen zu der Zeit, als hier noch Kutschen fuhren und das Torbogenhaus Teil war einer Mauer, die die Landschaft teilte in ein Diesseits und ein Jenseits der Mauer. Wir müssen los, sage ich. Wir haben die Wahl und können sowohl nebeneinander gehen als auch hinterein- [5] ander oder versetzt. Wie wir wollen. Nur in Sichtweite müssen wir bleiben. Wollen wir uns etwas erzählen, so gehen wir nebeneinander. Das wird das Beste sein, denke ich. Ich sehe, Sie nicken. Sind wir zwischen zwei Toren, fragen Sie, ja sicher sind wir das, sage ich, und kreuzen sich die Wege, selbst wenn sie nicht sichtbar sind, so fragen sie, weil zwei weitere Tore zur Linken und zur Rechten in der Landschaft stehen, insgesamt also vier Stadttore einer nicht existenten überdimensionierten Stadt. Jetzt ist es an mir zu nicken. In der Tat sind wir, wenn auch die Mauern geschleift, abgetragen worden sind, innerhalb auf dem Gebiet einer urbanen Landschaft, die nunmehr eine Art Heidelandschaft ist, in die man durch vier Torbögen, oder Stadttore, gelangt. Ob wir wieder hinaus zu gelangen vermögen, wird [6] sich zeigen. Eine weitere Frage, sage ich, ist zudem unbeantwortet, nämlich ob die Mauer zwischen den einzelnen Torbögen oder Torbögenhäusern gerade ausgeführt worden ist oder ob sie etwa kreisförmig verlief. Auch Mischformen sind möglich, jedoch unwahrscheinlich, so scheint mir wenigstens. Nun schweigen Sie eine Weile im Rhythmus unserer Schritte, um schließlich zu erläutern, die Stadtmauer sei sicher rund ausgeführt worden, denn gewinnt man auch Raum durch eine gerade Ausführung, so ist die runde Form doch von Vorteil, weil keine toten, verlorenen Räume dort erzeugt werden, wo Mauern winklich aufeinander stoßen. Ich stimme dem zu. Wir schreiten weiter voran. In leichten Wellen dehnt sich die Heide bis zum Horizont. Hinter uns das Torhaus in einiger Entfernung. Vor uns hier und da einige Birken oder ein Birkenhain, [7] Stauden und Büsche. Die Wolken am Horizont täuschen ein Gebirge vor, doch da ist kein Gebirge, nur Wolken, mächtig, weiß und hellgrau, türmen sie sich. Der Himmel in einem dunklen Blau. Wir müssen weiter. Sie fragen mich, ob wir denn auf das gegenüberliegende Tor zugehen, ob nun geradeaus oder unmerklich in einem Bogen. Und könne es nicht sein, so fragen Sie weiter, dass wir ohne es zu bemerken die nicht mehr vorhandene Mauer passieren und so plötzlich außerhalb sind, so wie wir vor dem Passieren des Torbogens außerhalb waren. Ich sage nur, sein kann alles und dass wir weiter müssen, Obdach zu finden für die Nacht. Verließen wir aber den Bereich versehentlich und gerieten ins Außen, so können wir nur durch eines der Tore wieder ins Innere gelangen, sage ich, doch das ist, füge ich hinzu, keineswegs sicher. [8] Wir müssen weiter in die Wüstenei, sage ich, die Heide vor Augen, dort findet sich alles.

– Ein Pendel –

Ich spreche mit Ihnen. Stellen Sie sich ein Metronom vor, das uns, gingen wir ein paar Schritte um den [9] Block, begleitete. Da es nicht neben uns gehen oder über uns zu schweben vermag, wird es wohl am besten sein, es uns in Funktion vorzustellen, gewissermaßen in unserem Kopf tickend. Sagen wir mit 75 Schlägen in der Minute, das entspräche einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von etwa dreieinhalb Stundenkilometern, einem nicht übermäßig hohen Gehtempo. Jeder Schritt, wir sollten synchron gehen, entspricht einem Klack in unserem Kopf. Es sollte nicht lange dauern, uns daran zu gewöhnen, sodass wir schließlich wie automatisch mit jedem Klack einen Schritt setzen. Der Kopf wird umso freier sein, je besser wir den Rhythmus antizipieren. Sie geben mir, denke ich, sicher recht. Ich sehe Sie nicken, und nun sehe ich Ihnen geradezu an, wie Sie Ihr Metronum in Ihrem Kopf installieren. Ich tue es Ihnen gleich, sehen Sie. Zum Einstellen der Schlagzahl sollten wir uns allerdings auf den Weg machen. Das pendelt sich dann schon ein, Sie werden sehen. [10] Auf geht’s. Bevor wir jedoch in eine Landschaft geraten, schließlich gehen wir buchstäblich auf’s Geratewohl los, bewegen wir uns in eher unruhigem Umfeld, einem urbanen, sodass wir nach jeder Unterbrechung unseres Ganges froh sein dürfen, ein Metronom im Kopf zu haben, einen Rhythmus vorgegeben zu bekommen. Stehen wir an einer Fußgängerampel, so nicken wir uns kurz zu, bevor es weiterzugehen hat. Ich für meinen Teil sehe das Pendel, selbst wenn wir stehen, deutlich vor mir, so als schwebe es halb durchsichtig vor meinen Augen. Ergeht es Ihnen auch so, frage ich. Ja. Das freut mich. Endlich erreichen wir freies Gelände. Ein Damm führt durch eine weite Landschaft mit kleinen Gruben und Löchern, oft ist die Erde kohlenschwarz, manchesmal fettbraun und mit dicken Grasbüscheln bewachsen. Der Damm ähnelt in seiner Anlage einem Bahndamm. Wir gehen in unserem Rhyth- [11] mus schweigend, und sicher rechneten Sie damit, stur vorwärts zu schreiten und nicht damit, dass Ihr Nebenmann stehenzubleiben die Möglichkeit hätte. Das Metronom in seinem Kopf ausschalten könnte. So bleibe ich also stehen, das Klacken, der Takt in meinem Kopf endet im selben Augenblick, während Sie weiterschreiten, den Damm entlang. Das Pendel in Ihrem Kopf schlägt den Takt dazu. Unaufhörlich.

– Ein Fauchen –

Ich spreche mit Ihnen. Sie erinnern sich, wir trafen uns bereits einige Male an einem bestimmten Ort, dem Bahnsteig. Ein elektrisches Ungeheuer, kantig, dunkelrot mit schmutzig-weißem Brustring, fuhr ein jedes Mal, so wie auch jetzt in diesem Augenblick, mit einem ohrenbetäubenden Fauchen ein und stoppte, wie auch jetzt, seine Einfahrt auf unserer Höhe, sodass wir inmitten [12] des Fauchens kaum ein Wort wechseln können. Ich bin nicht sicher, auch wenn Sie mich ansehen und nicken, ob Sie mich verstehen. Womöglich lesen Sie von meinen Lippen ab. Ja oder nein, frage ich in das Brüllen und Fauchen hinein, doch Sie zucken nur mit den Schultern und verziehen keine Miene. In die Waggons steigen Menschen ein, auch wir, Sie und ich, sind Reisende, und wie die Male zuvor werden auch wir in den Zug einsteigen, uns dabei aber aus den Augen verlieren. Ich erinnere mich, Sie während der gesamten Reise gesucht zu haben. Sie nicken. Ohne ein weiteres Wort gehen wir gemeinsam ein paar Meter und steigen ein. Ich zuerst. Dieses Mal, sage ich, bleiben wir zusammen und steigen gemeinsam wieder aus. Am Zielort der Reise. Sie nicken und scheinen sogar zu lächeln. Dann aber suche ich Sie abermals und kann Sie nicht finden. Wo nur sind Sie geblieben, frage ich mich. [13]

– Die Treppe –

Ich spreche mit Ihnen. Gehen wir ein paar Schritte. Ich würde vorschlagen, wir gehen die Treppe hinauf bis zur Kirche der Heiligen Jungfrau. Sie lächeln. Also los. Obgleich auf beiden Seiten des die Treppe mittig teilenden Geländers ausreichend Platz ist für zwei nebeneinander Gehende, gehen Sie nun links des Geländers die Treppe hinauf, ich hingegen rechts. Eine Absprache oder eine Verständigung mit den Augen fand nicht statt. [14] Ich sehe und erkenne, dass wir synchron die Treppe hinaufgehen, und eben dies teile ich Ihnen mit, worauf Sie mir einen leidvollen Blick zuwerfen. Ja, sage ich, die Treppe ist steil, und sicher wäre es besser gewesen, auch Serpentinen anzulegen, die die Treppe durchschneiden würde. So hätte man die Wahl. Platz wäre ausreichend gewesen, denn nach meiner Kenntnis baute man zunächst die Treppe, dann die Kirche der Heiligen Jungfrau, während die Häuschen links und rechts der Treppe Jahre später folgten. Welche Häuschen, fragen Sie sich, ich sehe es Ihnen an, da sind keine Häuschen, denken Sie, also gut, sage ich, Sie haben recht, also keine Häuschen, ich habe mich getäuscht, sondern steile Wiesen mit Sträuchern, Büschen und den Trampelpfaden all der Wochenendausflügler, die hier, beschützt von der Heiligen Jungfrau, picknicken und ihren Übermut nähren angesichts der im Tal liegenden Stadt, die ihnen den Übermut die [15] Woche über schon wieder austreiben wird. Jetzt aber liegt, wie Sie sehen, nasser Dunst über den Wiesen. Kein Mensch zu sehen und die Kirche der Heiligen Jungfrau im Nebel verborgen. Doch selbst wenn der Nebel dort oben sehr dick sein sollte, so ist es doch nur leichtes Wasser. Geradeaus gehend erreichen wir nach wenigen Metern die Pforte der Kirche der Heiligen Jungfrau, sodass wir die schwere Kirchentür aufziehen werden können, um ins Innere zu gelangen, schwach erleuchtet durch in den Nischen stehende Kerzen. Denken Sie nicht auch, dass sie angezündet worden sind mit Einbruch der Dunkelheit? Spätestens mit Einbruch der Dunkelheit! So frage ich Sie, ich sehe Sie nicken, während sie stur, und ich möchte hinzufügen tapfer, Stufe um Stufe gleich mir in die Höhe steigen, während der Nebel immer dichter [16] zu werden scheint, so als kletterten wir auf unserer Treppe in eine Wolke hinein, in der die Kirche der Heiligen Jungfrau, Sie lächeln wieder, Sie müssen das Selbe denken wie ich, schwebt, eine schwebende Kirche, stellen Sie sich das vor. Doch ich fürchte, statt einer solchen wunderbaren Angelegenheit werden wir nichts weiter finden als ein sogenanntes Gotteshaus und in ihm nur die üblichen Dinge, einen Altar, einen Beichtstuhl, einige figurative Darstellungen Marias, Bänke, dazu ein Weihwasserbecken und ein Taufbecken, ein mehr oder weniger großes Holzkreuz mit dem Gekreuzigten, und ja, sicher werden zwischen den vorderen Bänken und auf den Stufen zum Altar Kokos- oder Sisalläufer zu finden sein, die kleine faserige Fehlstellen aufweisen, die Gleichmäßigkeit der Bindung störend, ohne dass jemand, der Pfarrer, der Küster, auch nur im entfentesten daran denkt, die Läufer dieser kleinen Fehler wegen auszutauschen. Sie werfen die Stirn in Falten, wie ich sehe, und ich hoffe doch sehr, eben weil Sie mir zustimmen müssen. Jetzt legen Sie, weiter tapfer Stufe um Stufe nehmend, den Kopf schief in die Luft, [17] das Kinn in meine Richtung gereckt, und nun weiß ich noch weniger, ob Sie mir in der Sache der beschädigten Läufer, seien sie aus Sisal, aus Kokos, nun zustimmen oder nicht. Aber da ist mir plötzlich, als seien Sie mir ein paar Stufen voraus, als erreichten Sie das Ende der Treppe v0r mir, als schritten Sie in diesen hellichten, dicken Nebel hinein, um in ihm zu verschwinden, noch bevor ich die letzte Stufe erreiche. Hören Sie mich, rufe ich, ich spreche mit Ihnen. Der Nebel aber verschluckt ein jedes Geräusch.

– Die Kirche –

Nicht mehr mit Ihnen zu sprechen, fällt mir schwer. Nehmen wir, ich sage: wir, einmal an, Sie wären vom Nebel tatsächlich, wie man so sagt, verschluckt worden und ich hätte am Ende der Treppe auf Sie gewartet. Unmöglich, dass Sie von mir unbemerkt die Treppe hinunter verschwunden sind. Wahrscheinlich sind Sie in der Kirche der Heiligen Jungfrau, haben sowohl die Zeit als auch mich vergessen und betrachten hingebungsvoll die Gemälde, die Skulpturen und die Altäre. Ich sollte entweder ebenfalls in die Kirche der Heiligen Jungfrau eintreten, oder Sie am Portal erwarten. [19] Ich gehe, watteweich ummantelt, und ich spüre, wie der Nebel mich durchnässt, sich mir zu eigen macht, so denke ich, Schritt für Schritt auf die Kirche der Heiligen Jungfrau zugehend, lautlos schreitend, ohne etwas anderes zu erwarten als: Nichts. Gerade eben noch sehe ich meine Hand vor Augen. Wüsste man es nicht besser, so müsste angenommen werden, der Nebel sei aus sich selbst heraus matt erleuchtet. Ich gehe. Dann endlich stoße ich mit dem Fuß gegen eine Stufe. Ich steige die Stufen hinauf und trete schließlich, eine weitere erwartend, einmal ins Leere. Ich gehe einige Schritte, eine weitere Treppe folgt, dann sehe ich, in trübem Licht gut zu erkennen, die schwere, zweiflügelige Tür, die Pforte zur Kirche der Heiligen Jungfrau. Ich blicke zurück und sehe nichts als Nebel, vor mir jedoch in aller Deutlichkeit das jahrhundertealte Holz der Türe. Ich lege [20] meine Hand auf den Türgriff aus Messing. Später dann spreche ich mit Ihnen. Wo in aller Welt, frage ich, waren Sie, ich konnte Sie in der dunklen Kirche, in der keine Kerze brannte, nicht finden. Nicht hören, nicht riechen, nicht sehen. Ein ewiges Licht auf dem Altar in einer Ampel mit rotem Glas, purpurrot, ein kleiner roter Lichtpunkt in der Ferne zunächst, reichte nicht aus. Mit Mühe fand ich endlich zur Eingangstüre zurück und stieß mehrmals gegen etwas, ich ertastete das Taufbecken, lief geben einen Pfeiler, gegen eine Bank, um am Ende erleichtert die Tür ins Freie aufstoßen zu können, wo ich Sie schließlich fand, vor dem Portal in fast völliger Dunkelheit stehend. Ich trat sehr nah an Sie heran. [21]

– Die Sterne –

Wir befinden uns, sage ich, jetzt auf dem Platz vor der Kirche der Heiligen Jungfrau, hoch über der Stadt, von der aber nichts zu sehen und zu hören ist, so als sei sie nicht existent. Sie nicken mir zu und zeigen Ihr Einverständnis, dann weisen Sie mit einem Heben des Kinns nach oben, und tatsächlich, obgleich wir im dicksten, schwärzesten Nebel stehen und uns gegenseitig kaum erkennen können, funkeln über uns die Sterne. Der Nebel gibt den Blick frei ins Unendliche, und eigentlich, so sage ich, bräuchten wir nicht mehr als eine Leiter, um zumindest mit dem Kopf im Unendlichen zu sein, zu stecken, jetzt lächeln Sie amüsiert, oder der Nebel müsste sich nur ein wenig senken, sage ich, worauf Sie mir begütigend zunicken und mir, so scheint mir wenigstens, die Hand auf die Schulter legen. Ich spüre das Gewicht Ihrer Hand, spüre, wie Sie den Druck auf meine Schulter erhöhen, dass Sie [22] immer ein wenig fester drücken, während Sie mir zugleich ins Gesicht grinsen, ja, das tun Sie, Sie grinsen mich an, schon stehe ich bedenklich schief vor Ihnen, schon spanne ich die Muskulatur des linken Beins übermäßig an, um nicht einzuknicken, Sie jedoch pressen Ihre Hand immer stärker auf meine Schulter, bis schließlich das linke Knie wegknickt, ich stürze und Ihnen zu Füßen auf dem Boden liege. Über mir Ihr Gesicht, über Ihnen die Sterne, wie sie da funkeln, und dann wird mir schwarz vor Augen, so denke ich, oder nebelgrau, als habe jemand die Sterne ausgeknipst. Was wollen Sie, frage ich, doch da ist niemand, nur Nebel, Nässe und ein Nichts. Als man mich aufhebt, hören Sie mich, ich spreche mit Ihnen, blieb unter mir sicher ein großer nasser Fleck in Form meines liegenden Körpers zurück. Alles andere, die gesamte in trübem Tageslicht daliegende Fläche zwischen der Kirche der Heiligen Jungfrau und der zur Stadt hinunter führenden Treppe, muss wohl schon abgetrocknet gewesen sein, so wie kurze Zeit später dann [23] auch mein Fleck verschwunden gewesen sein muss. So stelle ich mir das vor. Oder berichtete es mir jemand? Ich kann mich nicht erinnern. Schließe ich aber die Augen, so erscheinen mir immer noch die Sterne. Hören Sie mich? Ich spreche, doch Sie antworten nicht. Dabei haben wir, seit wir uns das erste Mal trafen, einiges gemeinsam erlebt. Sie schürzen die Lippen, als relativierten Sie meine Aussage, und tatsächlich sehe ich Sie mit dem Kopf wackeln. Ich sage Ihnen etwas: die Sterne dort droben, zu denen zu sprechen doch der reinste Unsinn sein muss, sie geben mir Antwort. Da staunen Sie, und ich sehe, dass Sie Anstalten machen, mit den Fingern zu schnippsen, und tatsächlich tun Sie es, lächelnd, es macht Schnipp, im selben Augenblick erlöschen alle Sterne, es ist finster, die Nacht ist schwarz, und dennoch werde ich weiter zu Ihnen sprechen. Hören Sie mich? So sagen Sie doch etwas! [24]

– Die Gänge. Oder: Pssst –

Sie machen sich einen Spaß daraus, zwar nichts zu sagen, aber laut und vernehmlich Pssst zu machen. Nicht hier im Krankensaal, so nenne ich das 4-Bett-Zimmer, in dem ich mit fünf weiteren Patienten liege, sondern draußen im Gang, irgendwo in der grünlichen Finsternis, erhellt allein von den Notausgangsschildern. Pssst. Immer wieder Pssst. Zuerst dachte ich, einer meiner Mitpatienten mache das Geräusch, doch nein, alle fünf schnarchen. Ich allein bin wach, ich allein höre Sie. Ich steige aus dem Bett und stehe barfuß im geliehenen blau-braun-beige-karierten Schlafanzug auf dem kalten Linoleum-Fußboden. Meine Zehen richten sich unwillkürlich auf. Und da ist es schon wieder. Pssst. Das Erste, das Sie zu mir sagen, ist also eine Aufforderung, nichts zu sagen. Ich schlüpfe in die Anstaltspantoffeln aus billigem Filz und gehe in den Gang hinaus. Links oder rechts. Ich [25] sehe jeweils eine zweiflügelige Schwingtür. Die nach rechts hin scheint ein wenig zu schwingen. Nachzuschwingen. Oder täusche ich mich? Überall leises Schnarchen. Die leichten Fälle, die zur Beobachtung eine Nacht im Krankenhaus zu verbleiben haben, schnarchen unbeobachtet vor sich hin. Ich wende mich nach rechts. Wenn ich nicht zurück ins Krankenhausbett will, so muss ich eben gehen, denke ich, und so schlurfe ich den Gang entlang, ergreife mit beiden Händen die vertikal angebrachten Türgriffe, schiebe die Tür auf und gehe hindurch. Pssst macht es. Ich erschrecke. Unter der Nase, auf der Oberlippe, spüre ich einen Luftzug. Aha, denke ich, die Schwingtüren bewegen sich leicht im Luftzug und produzieren dieses Pssst, das ich immerzu höre. Rätsel gelöst! Doch da macht es plötzlich Pssst Pssst Pssst, das sich anhört wie Nein Nein Nein, und so muss ich, statt ins Krankenhausbett zurück, doch weiter. [26] Ich gehe den Gang entlang. Alles ist in grünliches Licht getaucht, gebettet, und wie in dem Gang, an dem mein Krankenzimmer liegt, stehen auch hier alle Türen offen. Imgrunde, denke ich, könnte es sich auch um Schweineställe handeln, so sehr grunzt es aus den Zimmern. Ha! rufe ich ob dieses Gedankens, und da macht es auch schon wieder Pssst. Ich fahre zusammen. Was tun? Zurück ins sichere Bett? Doch was heißt schon sicher? Ich sehe mich um. Alles wie gehabt, der Gang, auf der einen Seite Türen, auf der anderen Seite matte Fenster, unter ihnen die mächtigen Heizkörper wie altertümliche Schriftzeichen, die immer nur das Eine sagen: Pssst. Ja, flüstere ich, die Heizkörper sind’s, die Pssst machen. Das ölige Wasser in ihnen, mal kalt, mal warm, die Rohre, gewinkelt und gestreckt, Klappen und, wer weiß, Ventile, Ventile!, alles verbunden und verknüpft mit einem Kessel. Einem Heizkessel. Hossa! rufe ich und meine Heureka, Pssst macht [27] es wieder. Pssst, Pssst, Pssst. Ich muss weiter. Doch wie gerne spräche ich jetzt mit Ihnen. Oder überhaupt mit jemandem. All die flinken, teils hübschen, teils hässlichen Krankenschwestern sind allerdings wie weggezaubert, auch die Krankenpfleger, für die das Selbe gilt: so oder so. Dabei sollte doch irgendwo so eine Art Staionszimmer sein, wo mindestens ein Mensch quasi Wache halten müsste. Schließlich sind doch wir alle, die Schnarchenden und ich, zur Beobachtung hier. Ich schleiche weiter vorwärts im grünlichen Licht, das allein von den Fluchtwegeschildern über den Schwingtüren ausgeht, und schon stehe ich vor der nächsten dieser Schwingtüren, schiebe sie auf und trete mutig in den nächsten Gang, der nach links rechtwinklig vom bereits durchschrittenen abgeht und am Ende wiederum eine Schwingtüre aufweist. Rechter Hand die [28] offenen Türen zu den Zimmern, aus denen es wie gehabt herausschnarcht. Ich gehe ein paar Schritte. Plötzlich macht es Dong, der Ton kommt eindeutig aus dem Heizkörper neben mir, gefolgt von einem Pssst, dann noch einmal Dong, dann Pssst, dann Dong, Pssst, Dong, Pssst, Dong, Pssst. Am Ende wieder Stille. Ich muss weiter. Es  wird wohl, denke ich, ein Innenhof vorhanden sein, die Gänge müssen ein Rechteck, ein Quadrat bilden, es umschließen, wenngleich hinter den Fenstern nichts zu erkennen ist, während sich im Fensterglas matt, grünlich und zerfurcht mein Gesicht abbildet, ein nächtlicher Wanderer, der die offen stehenden Türen der Krankensäle schlurfend abmisst, durch Pendeltüren geht, nach links dem nächsten Gang folgt, stur, in seinem Krankenhausmantel, ein Ohr an jeden Heizkörper legt, die allesamt lauwarm sind, die allesamt ein feines Rauschen von sich geben. Dann aber lege ich mein Ohr an [29] den nächsten Heizkörper – und zucke zurück. Heiß ist er, und da macht es auch plötzlich wieder Pssst, es macht Dong, und dann sehe ich doch tatsächlich direkt gegenüber eine Tür, die geschlossen ist. Sie glauben ja nicht, und jetzt spreche ich tatsächlich mit Ihnen, obwohl Sie nicht da sind, wie schwer es mir fällt, diese Tür zu öffnen. Meine Hand zittert. Sie liegt zitternd auf der Türklinke. Was, denke ich, erwartet mich im Zimmer, im Saal hinter dieser Tür? Schlafende Patienten in ihren Betten? Leere Betten? Oder ein ganz und gar leerer Raum? Meine Hand umschließt die Klinke, langsam drücke ich sie nieder. Ein leichtes Knarzen. Im selben Moment denke ich, womöglich ist die Tür verschlossen. Aber nein, leicht lässt sie sich aufdrücken, dunkel ist es, und meine Angst wird größer und größer mit jedem Zentimeter. Soll ich rufen, Hallo, ist das Jemand, [30] oder doch besser stille sein? Ich tue einen Schritt in den Raum, vorsichtig, dann noch einen, doch da ist kein Raum, kein Zimmer, kein Saal, das aber bemerke ich erst im Fallen oder glaube es im Fallen bemerkt zu haben, nachdem ich erwacht bin aus meiner Bewusstlosigkeit. Aber was heißt schon Bewusstlosigkeit? Ich bin eine Kellertreppe hinuntergestürzt, blutete aber nicht und hatte auch keine Beulen davongetragen. Ich stehe also auf, streiche mir über diesen Krankenhausbademantel, ja klopfe wie wild darauf herum, bis aller Staub verschwunden sein muss. Ich stehe im grünlichen Licht zweier Notausgangsschilder, eines direkt über mir, ein anderes am Ende des backsteingemauerten, engen, tonnengewölbten Ganges über einer Tür. Da bin ich wohl, sage ich, hören Sie, im Keller gelandet. Keine Antwort, natürlich nicht. Stattdessen Stille. Aber [31] immerhin kann ich mit Ihnen sprechen, wenn ich will, kann sagen Ich spreche mit Ihnen, und selbst wenn Sie nicht antworten, so habe ich doch einen Adressaten für meine, nun ja, Geschichten. Weiterhin Stille. Dann jedoch leise, und irgendwie zischend, ein Pssst. Es scheint aus dem Bereich der Tür am Ende des Ganges zu kommen. Doch wie still es hier ist, denke ich, und wie leise dieses Pssst. Ich erinnere mich an ein Fauchen, Sie und ich standen inmitten eines grässlichen Fauchens. Und standen wir nicht auch einmal unter dem Sternenhimmel, so frage ich Sie. Es ist still hier im Gang mit dem grünlichen Licht, bis dann aber wieder ein Pssst erklingt, etwas lauter nun, so scheint mir, und ungeduldiger. Pssst. Die Türe oben am Ende der Treppe, sehe ich, steht offen. Bin ich wirklich die Treppe hinuntergefallen, frage ich mich und taste noch einmal an mir herum. Kein Blut, keine Beulen. Die Treppe hinauf, dann nach links oder rechts, [32] das ist imgrunde egal, wenn die Gänge einen Innenhof umschließen, einen viereckigen Innenhof, vier Seiten, vier Gänge, um so wieder zu dem Gang zu gelangen, an dem mein Zimmer liegt, der Schlafsaal, in dem mein Bett steht, in das ich mich zu legen und zu schlafen habe, bis das morgendliche Wecken alle aus dem Schlaf reißt. Zurück also oder weiter in den Keller hinein? Wie zur Antwort höre ich ein Pssst, gefolgt von einem dumpfen Dong, Pssst, Dong, Pssst, Dong, Pssst. Ich muss los. Wieder also öffne ich eine Tür, vorsichtig, doch es eröffnet sich nur ein weiterer enger, schmaler Gang in grünlich totem Licht. Gehe ich ihn entlang, am Ende ist wieder eine Tür zu erkennen, bewege ich mich allerdings fort vom vertrauten Viereck. Andere Kellergänge, direkt unter den oberirischen Gängen oder ein Gang quer unter dem Innenhof, scheinen nicht vorhanden oder zumindest von hier nicht zugänglich zu sein. Umkehren oder weitergehen, so frage ich mich nochmals. Gehen, entscheide ich endlich, so ich also gehe, Gang um Gang, Tür um Tür, immer geradeaus, [33] ohne jede Abzweigung. Muss ich nicht längst, überlege ich schon bald, den Bereich des Krankenhauses verlassen haben? Wie lange gehe ich bereits hier die Gänge entlang? Sucht man mich da oben, hat man die offenstehende Tür zum Keller entdeckt und mir jemanden nachgeschickt? Erwartet man mich am Kopfende einer Treppe, die mich wieder an die Oberfläche bringt? Diese Fragen muss ich mir stellen.

– Der Himmel –

Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht! Dabei wissen ja grad Sie, ob ich mich täusche oder ob ich mich nicht täusche. Mich falsch erinnere oder mich richtig erinnere. Doch kann man, kann ich mich falsch erinnern? Sich selbst täuschen oder getäuscht werden? Immerhin sitze ich, das ist gewiss, in einem bequemen, weißlackierten und mit Sitz- und Rückenkissen aus[34]staffierten Gartenstuhl in einem Innenhof auf saftig grüner Wiese. Sie sitzen mir gegenüber. Ich betrachte Ihre Handgelenke und suche Spuren einer Fesselung, an die ich mich deutlich erinnere. Doch nichts. Das vierstöckige Haus um uns herum mit all seinen blinden Fenstern, ist das nicht das Krankenhaus, in dem ich lag, nachdem man mich bewusstlos aufgefunden hat? Ich erinnere mich an den Krankensaal mit den schlafenden, schnarchenden Mitpatienten. Schliefen und schnarchten sie nicht immerzu? Wie die Schlaf- und Schnarchpuppen? Schließlich fand ich Sie, der Sie mir jetzt gegenübersitzen, in einem Kellergang mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt. Der Schlüssel baumelte an einer Schnur von der Decke, unerreichbar für Sie. Sie nicken und lächeln mich an, als sei das Ganze ein Spiel gewesen, das Herauslocken aus dem Krankensaal, dieses Pssst, dem zu folgen ich mich gezwungen sah, auch wenn ich dann nur dem Gang folgte, den Gängen, in denen dieses Pssst irgendwie [35] präsent war, und dann auch dieses Dong, das mir jedoch, im Gegensatz zum Pssst, eindeutig aus den Heizkörpern zu kommen schien. Und fand ich Sie schließlich nicht auch fixiert an einen solchen Heizkörper, dem einzigen in all den Gängen dort unten im Keller, dehydriert und verzweifelt? Ihr Mund mit den blutigen, rissigen Lippen stieß immerzu Pssst aus, Pssst, Pssst, Pssst, während Sie mit den stahlumschlossenen Handgelenken gegen den Heizkörper schlugen, der eine heftige Hitze ausstrahlte. Dong, Dong, Dong. Sie nicken mir wieder lächelnd zu, Ihre Lippen sind verheilt, in Ihren Augen ist keine Spur mehr von Wahnsinn zu entdecken. Ich frage mich nun, während Sie den Kopf in den Nacken legen und das Himmelsrechteck mit den weißen Wölkchen auf blauem Grund betrachten, ob Sie überhaupt wirklich wissen, wie wir aus dem Kellerlabyrinth herauskamen, nachdem ich Sie befreit hatte von Handschellen und Heizung. Ich hatte und habe da so meine Zweifel, kann aber nicht Sie, das muss ich jetzt wohl einsehen, ja, lächeln Sie nur, [36] als Zeugen aufrufen, sondern muss mich selbst besinnen auf die Abläufe. Sicher scheint mir, dass ich, Sie hinter mir herschleifend, den Rückweg wählte, zur Kellertreppe hin, die ich hinuntergefallen war und die ich nun wieder hinaufzusteigen mir vornahm, notfalls huckepack mit Ihnen auf dem Rücken. So ging ich im grünlichen Schein der Notausgangsschilder voran, während Sie mir schlurfenden Schrittes folgten, mit hängenden Armen und dem Kinn auf der Brust. Erinnern Sie sich? Ich frage Sie! Denn statt das Himmelsrechteck zu betrachten, sollten Sie mir helfen zu klären, wer Sie in den Keller brachte und an den Heizkörper fesselte. Sind auch Sie, so wie ich, vor der Kirche der Heiligen Jungfrau in Bewusstlosigkeit gefallen, dort, im Nebel und zugleich unter den Sternen? So sagen Sie doch etwas! Sie sagen nichts. Stattdessen heben Sie langsam den rechten Arm und zeigen mit dem Zeigefinger [37] auf einige Vögel, die vom Wind getrieben durch das Bild gleiten, das sind sicher Möwen, denke ich, doch warum sehen wir sie von oben, nicht von unten, so frage ich mich, und da entdecke ich einen weißen Streifen im Blau, und das ist nicht der Kondensstreifen eines Flugzeugs, sondern das Kielwasser eines Schiffes, das als kleiner weißer Punkt sich langsam, ja, wie langsam nur, bewegt, bis es schließlich aus unserem Rechteck verschwunden ist. Die Möwen aber gleiten weiter durch das Bild, hin und her und in großen Kreisen, und fast meine ich, ihre Schreie zu hören. Wieder lächeln Sie mir zu, stehen dann auf, greifen in eine Schale und werfen irgendwelche Stückchen in die Luft, Brot wahrscheinlich, und die Möwen schnappen es sich im Flug und drehen ab. Schon greifen Sie wieder in die Schale, doch die meisten Stückchen fallen ins Wasser, denn mit einem Male sind alle Möwen verschwunden und [38] das Brot ist für die Fische. Was geht es mich an, denke ich, lege den Kopf in den Nacken und betrachte die weißen Wölkchen und den blauen, südlichen Himmel, denn das ist er doch, nicht wahr, frage ich Sie, südlich? Sie blicken mich an, lächeln Ihr Lächeln, schauen nach oben, so als müssten Sie zunächst prüfen, wovon ich denn spräche, dann aber endlich nicken Sie mir zu, worauf ich aufatme, mich schüttele, mich entspanne und endlich in Schlaf falle, denn als ich erwache sind es wieder die Sterne, die über mir glitzern und blinken. Wo aber sind Sie?

– Das Meer –

Wenn es nicht das Meer ist, das nach Fisch riecht, dann ist es das Schiff, das nach Meer riecht. Ein umgebauter Fuschkutter, so scheint mir, etwa zwölf Meter, so Pi mal Daumen, in der Länge. Deutlich hörbar der Dieselmotor, deutlich spürbar, denn kaum stehe ich, durchzieht mich ein Vibrieren von den Fußsohlen bis zum Schädeldach. Ich gehe ein paar Schritte, schwankend, plötzlich ist es mit einem Male nahezu stockfinster, [39] und dann sehe ich Sie als einen vagen Schatten im Steuerstand am Steuerrad. Ich stolpere eine Stufe hinauf, die Tür steht offen. Wohin fahren wir, frage ich, und ich spüre, dass Sie wohl lächeln müssen. Die Wellen klatschen an den Schiffsrumpf, ein leichtes Heben und Senken, wir sind, denke ich, auf großer Fahrt. Vor uns nichts als Schwärze mit nur einem einzigen hell leuchtenden Stern am Himmel. Die Venus? So frage ich mich. Fahren wir also nach den Sternen, sage ich, und dann sehe ich Ihren Schatten zur Seite treten und spüre selbst das Steuerrad in der Hand, wie es sich leicht, ganz leicht hin und her bewegt, her und hin, hin und her. Das Meer, denke ich, das ewige Meer.

***

© und alle denkbaren Rechte weltweit und darüber hinaus bei Norbert W. Schlinkert 2025

Dieser Beitrag wurde unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert