In meinem ersten Beitrag „Ankerlichten“ in Zeiten der Corona fragte ich (mich), in welcher Form und Art und Weise ich Ausschnitte aus meinem sich in finaler Bearbeitung befindlichen Roman „Ankerlichten“ in die Prenzlauer Berge stelle. Wie Sie sehen, beschäftige ich mich, bevor ich zum Text komme, jeweils kurz mit der Situation, in der wir alle feststecken, der Corona-Krise. Was tun, was lassen? Interessant ist, dass urplötzlich nun doch offiziell dazu geraten wird, Masken zu tragen zum Schutz vor Ansteckung, was nun heißt, dass es zuvor auch ratsam gewesen wäre. Es sieht also schlicht so aus, dass der Ratschlag zuvor nicht gegeben wurde, weil nicht ausreichend Masken zu bekommen waren, was dann wiederum bedeutet, dass offizielle Stellen ihrer Vorsorgeverpflichtung nicht nachgekommen sind. Wäre, sagt der Zyniker in einem jeden Menschen, ja auch zu teuer gewesen. Also Masken auf, mindestens zum Schutz anderer, falls man selbst Virenschleuder ist, aber sicher auch zum eigenen Schutz, denn jedes Tröpfchen, das nicht meine Schleimhäute befällt, zählt! Beim Einkaufen, beim Entgegennehmen von Paketen etc. trage ich selbst ja schon längst Maske bzw. ein Tuch vor dem Mund, wodurch ich noch vor einer Woche scheele Blicke erntete. Zum Tun gehört für mich allerdings auch, mich nicht gehen zu lassen, vor allem, da ich heuschnupfenbedingtes Asthma habe, so dass ich mindestens einmal die Woche im Havelland und auf dem Barnim Rennrad fahre, zurzeit noch kurze Strecken von ca. 80 km, bald dann so etwa 100 bis 120 km, denn nichts weitet mir die Brust mehr und verhilft mir mehr zum Atmen als Rennradfahren, beständiges, gleichmäßiges Fahren über drei, vier, fünf Stunden hinweg. Eine etwaige Beschränkung dieser Möglichkeit müsste ich umgehen, mit guten Gründen, denn tatsächlich komme ich in meinem Sport mit keinem Menschen in Kontakt, allenfalls entgegenkommende Radfahrer sind auf den Fernradwegen kurz mal direkt neben mir. Also Atem anhalten! So, nun aber zu meinem Text, ein Ausschnitt aus dem aus guten Gründen recht kurzen dritten Kapitel:
NACH BRESLAU
Die aus Schwerte in Richtung Südosten abreisenden Calvinisten führten, ohne dass sie es ahnten, eine seltsame Fracht mit sich. Nur Dorothea wusste davon, denn sie hatte ihre dreizehnjährige Tochter auf dem Wagen der Breslauer versteckt. Sie war den Fremden bei deren Abgang gefolgt und noch eine ganze Weile bettelnd um sie herumgestrichen, ohne dass ihr jemand auch nur die geringste Beachtung schenkte. Alle waren sehr damit beschäftigt, so schnell wie möglich die Weiterreise vorzubereiten. Man war allgemein der Ansicht, in dieser verstockten Stadt nichts ausrichten zu können. Außerdem befürchteten sie einen baldigen Wintereinbruch in den Bergen, die nicht zu umgehen waren, es sei denn, man wählte den Weg über Paderborn, doch eben dort war ihnen auf dem Hinweg Prügel angedroht und schließlich der Wagen angezündet worden.
Als alles aufgebunden und verstaut war, nur die Pferde würden in wenigen Stunden noch anzuschirren sein, gingen die Breslauer zu ihrem Quartier. Dorothea, die sich zusammen mit den Kindern auf dem Friedhof hinter der Kirche versteckt hatte, hörte das Geschlurfe der Schritte. Sie weckte die neben dem kleinen Heinrich schlafende Emilia, nahm die Schlaftrunkene fest bei der Hand und schlich sich in der Dunkelheit vorsichtig bis zu dem Wagen der Fremden, der auf einem kleinen Hof stand. Niemand schien Wache zu halten. Sie drückte ihre Tochter zu Boden und hieß sie flüsternd, dort sitzen zu bleiben, dann tastete sie den Wagen ab, so als befühle sie ein ungeheures Tier, das jeden Augenblick zum Leben erwachen könne, fand endlich einen Verschlussriemen, öffnete ihn und griff hinein. Wachstuch lag obenauf, dann fühlte sie Decken oder Mäntel und darunter Gerätschaften, einen Topf, Radspeichen, Werkzeug, eine kleine Kiste und was sonst noch auf einem solchen Wagen zu finden ist. Behutsam schob sie alles ein wenig auseinander, hielt eine Weile inne, zog und drückte weiter, hielt wieder inne, bis sie endlich einen kleinen Hohlraum geschaffen hatte, in dem Emilia Platz finden würde.
„Komm, Emilia, komm, komm“, stieß sie flüsternd hervor, „komm!“ Sie packte ihre Tochter wie ein Karnickel am Nacken und schob sie auf den Wagen. Emilia ließ alles still mit sich geschehen. Wie oft hatte sie nicht schon davon geträumt, zusammen mit dem kleinen Bruder das Weite zu suchen und die Mutter in der armseligen Hütte zurückzulassen. Auch jetzt überlegte sie, wie sie es anstellen könnte, ihren Bruder zu holen, doch die Mutter hatte den Riemen wieder fest verzurrt.
Was die Männer wohl mit ihr tun werden, wenn sie sie entdeckten, fragte sie sich. Wegjagen, ganz sicher würden sie sie wegjagen. Dann aber würde sie zurück nach Schwerte gehen und Heinrich holen. Wenn sie den Weg fände. Oder sollte sie versuchen, bei ihnen zu bleiben, als Magd vielleicht. Die Mutter war auch Magd gewesen, beim Schichtmeister, daran konnte sie sich erinnern. Sie hatten in einem Verschlag neben dem Stall gelebt und jeden Tag zu essen gehabt.
Sie erwachte, als sie die Pferde schnauben hörte und die Stimmen der Männer. Es ging los. Ein Disput am Stadttor, Flüche und Verwünschungen. Der Wagen schaukelte hin und her und musste aus einem Schlammloch befreit werden. Lange ging es mit Hauruck vor und zurück. Endlich aber war die Ruhr überquert auf knarzender Brücke und der ansteigende Weg trocken. Der Zug der schlesischen Calvinisten war bereits mehr als eine Meile von Schwerte entfernt und schon tief in den Bergen, als einer der Männer Emilia entdeckte. Wortlos starrten sie alle das ängstlich zusammengekauerte Wesen an und beschlossen nach nur kurzer Beratschlagung, sie nach Breslau mitzunehmen. Gott war, daran glaubten sie unwiderruflich, weder ihnen noch diesem Mädchen Barmherzigkeit schuldig. Es lag nicht in ihrer Macht, über des Allmächtigen Gerechtigkeit zu befinden. Sie gaben ihr ein wenig zu essen und ließen es zu, dass sie fortging, wenn sie sich in Städten oder Dörfern aufhielten, fragten aber nicht einmal nach ihrem Namen und kümmerten sich auch sonst nicht um sie. Wenn einer der Männer sie eine Weile ins Auge fasste, zog sie sich auf den Wagen zurück, wo sie schlafen durfte. Der dritte Prediger hatte ihr einmal erzählt, böse Männer trieben Unzucht und übten Gewalt, wenn eine Frau ungeschützt sei, und so war sie vorsichtig. Doch nichts geschah, nichts Gutes und nichts Böses.
(…)