Novemberbrief 2009

Der November eilt mit Riesenschritten heran; sicher will er seine kalten Hände in den Achselhöhlen seiner Geliebten aufwärmen. Das kann ja heiter werden!

Wenn der erste November in Berlin ein Sonntag ist, dann ist das anderswo auch so – und es sieht auch überall nach Sonntag aus. Das hat mit dem ersten November überhaupt nichts zu tun.

Natürlich gibt es Unterschiede! Während zum Beispiel, sagen wir mal, in Dortmund die Menschen am Sonntag auf dem Westenhellweg flanieren gehen, dem berühmten alten Handelsweg, heute Fußgängerzone, spazieren die Hamburger an der Elbe oder der Außenalster entlang. In Berlin geht’s vielleicht zum Wann- oder Müggelsee, naja, und in Dortmund vielleicht ja auch zum Hengsteysee. Alles schön und gut, doch der Prenzlauer Berger geht in den Mauerpark flanieren! Ein paar hundert Meter Kopfsteinpflaster, eine hundebekackte Flachwiese, eine Aso-Schräge genannte Schrägwiese. Das war’s. Super, der Prenzlauer Berg!

Was so ein paar Grad ausmachen können! Selbst der härteste Prenzlauer-Berg-Darsteller sitzt jetzt nicht mehr locker rauchend draußen, sondern steht bibbernd vor der Tür, was natürlich immer noch eine Heldenleistung darstellt, wenn es drinnen einen Raucherraum gibt. Das ist so eine Art Aquarium, in das die anderen Gäste reinglotzen können, um sich zu erquicken. Dann doch lieber im Freien rauchen und heißen Qualm einatmen. Helden eben!

Als Kulturwissenschaftler ist man naturgemäß äußerst empfindlich, vor allem gegenüber der Kultur als solcher. Zum Glück reichen die finanziellen Mittel eines Kulturwissenschaftlers meist nicht aus, um am so genannten Kulturbetrieb teilzunehmen. Doch man entwöhnt sich mit der Zeit, wie ich selbst bestätigen kann. Spielt man eben den „kalten Beobachter“, so wie dies vor über 200 Jahren bereits Karl Philipp Moritz einem jeden anriet, der das Menschsein begreifen will, am ehesten noch das eigene.

Man macht es ja trotzdem! Daraus aber abzuleiten, man sei von diesem „dem“ abhängig, ex negativo determiniert, ist naturgemäß falsch, denn es gibt kein Leben ohne dem. In den Prenzlauer Bergen scheint vieles museal geworden zu sein, Informationssäulen, die sprechen können, stehen rum, und doch geht es weiter mit der eigenen Kunst und der eigenen Wissenschaft. Auch das Leben in einem Museum ist ein Leben, ohne dass man gleich Museumswärter sein muss; eher schon ein Mittelding zwischen Ausstellungsstück und Auskunftei. Doch auch das Leben in den Prenzlauer Bergen wird sich wieder ändern und irgendwann wird die Gegend wieder Sanierungsgebiet sein – auf welche Art und Weise auch immer. Wir werden sehen.

Der neunte November! War da nicht was? Ach ja, das ist der Tag, an dem Volksbelustigung durch Currywurst und Zuckerwatte ansteht, verbunden mit symbolträchtigen Aktionen, von denen man noch seinen Kindeskindern erzählen kann. Alle Journalisten auf Habacht-Stellung, es gibt was zu verdienen. Und zum Glück kommt die politische Klasse nicht auf die Idee, den neunten November wegen dieser anderen Sache in den Vordergrund zu rücken. War da was? Deutschland, einig Feierland.

Heute ist der elfte November, und heute schreibe ich nichts.

Spek-Ta-Ku-Lär! Was? Na alles! Natürlich besonders das ganz und gar Geistlose, der Mangel an Empathie und die durch und durch technokratische Weltsicht in den Spitzen von Politik und Wirtschaft, das materialistische Geizkragentum und die Gier, die Süchte, auch die nach Unterhaltung, all das ist spektakulär. Das andere nicht.

In alles steigt man heute früh ein, selbst in den Beruf. Die armen Kinder!

Über das Wetter zu schreiben ist kein Kampf gegen Windmühlen, es ist überhaupt kein Kampf! Jeder hat sein eigenes, ja man muss sogar sagen, dass das inwendige Wetter mit dem auswändigen Wetter korrespondiert, sogar eine klammheimliche Koalition eingeht, über die intensiv nachgedacht werden muss. Am besten laut.

Wie soll man da ruhig bleiben? Irland ist um die WM-Teilnahme betrogen worden! Der Schiedsrichter ahndet ein klares Handspiel von Thierry Henry vor dem 1 : 1 nicht, obwohl er es deutlich gesehen haben muss! Und wenn nicht er selbst, dann der Linienrichter! Warum, das wird wohl Spekulation bleiben. Weitere Äußerungen meinerseits verkneife ich mir besser.

Gut, dass die Iren zu den zivilisierten Europäern gehören, und von denen bräuchten wir weiß G“‘ mehr.

Nun gut, die Lage ist aussichtslos! Der verlorene Posten ist zwar gesichert, doch wenn selbst die Ratten das nicht einmal sinkende Schiff verlassen, ist ein Ausharren umso heroischer, selbst wenn oder gerade weil der frenetische Applaus ausbleibt – nur das dumpfe Anrollen der Wellen ist zu hören, wenn man darauf achten will. Bald werden auch die Prenzlauer Berge unter Wasser stehen, der erste Laden für Gummistiefel ist schon ausgemacht. Na dann, ahoi!

Wo wir schon einmal beim Thema sind: Wenn jetzt Alfred Biolek ausschließlich in den Prenzlauer Bergen wohnt und diese dann für sein New York erklärt, was bedeutet das dann für New York? Nichts? Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt!

© und alle denkbaren Rechte weltweit und darüber hinaus bei Norbert W. Schlinkert 2009

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