Und wenn das überhaupt garniemand liest? Diese blöde Frage mußte ja kommen, irgendwann. Auch dieses „garniemand“, als wenn einfach „niemand“ nicht reichen würde, war irgendwie vorhersehbar gewesen, es paßte zu ihm, so als ob er besonders betonen wollte, daß der Leser, den es ja angeblich nicht gibt, mit besonderer Böswilligkeit nicht vorhanden ist. „Glaub mir“, erwiderte ich mit allem Nachdruck, zu dem ich fähig war, „es gibt Leute, wenn auch wenige, die meine Texte lesen!“, worauf er sein ewiges „Jaja“ sagte, obwohl er doch wissen sollte, daß ihn dieses ewige „Jaja“ in Lebensgefahr brachte – nicht jeder kann sich so gut beherrschen wie ich. „Hör zu“, sagte ich also, „es ist schwer, sich gegen die Wahnsinnigen des Betriebs durchzusetzen, weil die auf eine gewisse Art und Weise gewalttätig sind und eben deswegen devot veranlagte Menschen als Helfer und Unterstützer finden, so wie es auch schwer ist, sich gegen die langweilig Angepaßten zu behaupten, denn die finden ihre Helferlein im eigenen, schwer kleinbürgerlichen Milieu.“ „Aha“, erwiderte er und zog beide Augenbrauen gen Himmel, „also deswegen liest keiner Deine Texte? Weil Du so etwas Besonderes bist? Da haben wir’s ja endlich!“ Ich holte tief Luft, Atemzug um Atemzug. „Erstens“, erwiderte ich schließlich ruhig, denn mir war etwas eingefallen, „gibt es Leser, die meine Texte lesenswert finden, und zweitens werde ich Dich jetzt töten, hier in diesem Text, den keiner liest, so daß Du weder noch gerettet werden kannst noch betrauert werden wirst.“ Er zuckte zusammen und riß entsetzt die Augen auf, ein, zwei Schritte zurücktretend, er wollte etwas sagen, doch es war zu spät, das Brotmesser stak zwischen seinen Rippen. Dort ließ ich es einige Augenblicke lang, um es schließlich aber langsam und genüßlich wieder herauszuziehen. Es machte ein kleines Geräusch dabei. Das bißchen Blut auf der Schneide spülte ich unter fließendem Wasser ab, während er, die Hände gegen die Brust gepreßt, auf die Knie ging und schließlich mit einer langsamen Vierteldrehung nach links auf dem Rücken zu liegen kam. „So“, sagte ich, „und jetzt beende ich diese kleine, ungelesene Geschichte mit einem Punkt.“ „Nein, nein“, stammelte er, „tu das nicht.“ Ich schwieg. „Und außerdem“, er holte noch einmal rasselnd Luft, „ist das ein absolut total beschissener Text.“ „Jaja“, erwiderte ich, „ein ganz und gar vollkommen beschissener Text ist das. Du hast ja sowas von überaus recht!“ Und dann setzte ich den Punkt.
Der Punkt am Ende der Geschichte
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