Dienen & Schreiben

„Das Dienen scheint vollkommen aus der Mode gekommen zu sein – jedenfalls die Art des Dienens, die ohne Leistungsdenken auskommt. So ist es kein Wunder, daß es das Wort Uneigennutz nicht wirklich gibt, es sei denn, es stünde in einem Text Robert Walsers, was ich jetzt aber unmöglich nachprüfen kann, das müssen Sie verstehen, seien Sie so gut.“ So beginnt ein Essay, den ich letztens schrieb, quasi aus dem Handgelenk heraus und in einem Rutsch. Er ist nicht sehr lang, etwa sechs Seiten, aber er hält, vielleicht eben wegen seiner Knappheit, seit Tagen meinen Ansprüchen stand, soll heißen, er amüsiert und überrascht mich auch beim x-ten Lesen immer noch. Das ist nicht selbstverständlich, jeder Autor hat so seine Textleichen im Keller, vor allem dann, wenn er, was er sollte, täglich schreibt. Ja, das Dienen, als eine höhere Form des Miteinanderseins und des Beisichseins, steht wohl heutigentags nicht mehr hoch im Kurs, Herr- und Knechtgedanken geistern herum und vor allem anderen die Frage des Geldes, wem was zusteht und wer was bekommt und ob dies zu viel oder zu wenig ist – das sind die Fragen, die quasi im Fordergrund stehen, der Mensch ist eben des Menschen Wolf. Dabei führen recht viele Zeitgenossen das Wort Dienen im Munde, sie dienen ihrer Partei, der Umwelt, ihrem Glauben, einer Idee und so weiter, doch warum nehme ich keinem dieser Menschen ab, nicht nur aber eben auch uneigennützig zu handeln – das ist die Frage, die ich mir stelle. Nicht etwa, daß ich denke, gleich alle sich engagierenden Menschen seien bösartige Egozentriker, keineswegs, Tatsache jedoch ist, sie ziehen alle in die Schlacht mit Andersdenkenden und Anderswollenden, was nicht zuletzt eine Aufrüstung des Selbst zur Folge haben muß, die wiederum sicher charakterprägend ist. Nun, jedenfalls schrieb ich den Essay, um mir eben darüber nicht sachliche, sondern poetische Gedanken zu machen, und das ist mir, zum eigenen Nutzen, wohl gelungen – ob der Text auch der interessierten Leserschaft dienen kann, wird sich dann zeigen, denn just in den nächsten Tagen werde ich ihn zu einem Essaywettbewerb schicken, auf daß er sich dort prächtig schlage.

Und nun zu etwas ganz anderem:

Das schöne Frollein auf dem Balkon, Norbert W. Schlinkert

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6 Antworten auf Dienen & Schreiben

  1. Iris sagt:

    Interessantes Thema, ganz im Ernst. Hat mich auch schon wiederholt beschäftigt. Meines Erachtens kann nur wirklich dienen, wer über ein Selbstbewusstsein verfügt, das ganz und gar unhierarchisch zu denken vermag, also weder diene_r_nd einknickt vor dem, dem er dienen soll/ will, noch herrschend sich überhebt.
    Viel Glück beim Wettbewerb!

  2. Ich bin in letzter Zeit wieder öfter auf das Thema gestoßen, (natürlich) auch verursacht durch die Zweit-Lektüren von Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘ und Manns ‚Zauberberg‘ und Robert Walsers ‚Jakob von Gunten‘, dazu kommt noch Döblins ‚Wallenstein‘, alles also Romane aus einer Zeit, in der das Dienen noch strikt geregelt war und auch in allen Schichten oder Klassen auf je eigene Weise erwartet wurde, unhierarchisches Denken also zugleich Widerstand bedeutete.
    Gibt es eigentlich mehr oder weniger aktuelle Romane, die sich diesem Thema explizit oder implizit auf hohem Niveau widmen?

    Und danke! – Glück kann ich gebrauchen, vor allem weil man dort nicht anonym einreicht – ich will zwar nichts gesagt haben, aber auch nicht den Naiven spielen.

  3. holio sagt:

    Herr und Knecht ist gar nicht so sicher verteilt im Gehülfen. Robert Walser lehnt sich immer auf.

  4. ‚Der Gehülfe‘ ist mir nicht mehr so gegenwärtig, aber ich glaube mich zu erinnern, daß besagter Gehülfe sein auflehnendes Verhalten immer wieder bedauert und sich dann wieder in seine Rolle fügt, sich dann wieder auflehnt und so weiter. Insofern erscheint mir die Rollenverteilung doch recht klar, so ähnlich wie in der commedia dell’arte, wo der ewig hungrige Diener ja auch immer revoltiert, ohne am Ende wirklich aus seiner dienenden Rolle herauszukommen.

  5. Iris sagt:

    Ihre Frage, ob es aktuelle Romane zum Thema gibt, hatte einen interessanten Effekt: Einerseits fiel mir auf Anhieb kein einziger dazu ein. Andererseits stellte ich nach einigem Nachdenken fest, dass das Dienen in seinen verschiedenen Ausprägungen in so gut wie jedem Roman zu finden ist. Weil es nämlich an ganz vielen Stellen im alltäglichen Miteinander eine Rolle spielt, so also auch in Romanen.

    Im Januar 2014 wird bei Suhrkamp ein Sachbuch zum Thema Dienen erscheinen: http://www.suhrkamp.de/buecher/vom_dienen-tilman_allert_17439.html Das klingt mir ganz interessant.

  6. Das stimmt natürlich, überall in Romanen gibt es das Dienen, von der Liebedienerei bis hin zum unterwürfigen Tun, und daraus entstehen Geschichten und Konflikte! (Ich zum Beispiel helfe gerne, wenn ich kann, bestimme aber auch soweit möglich die Bedingungen, weil es mir schon mehrmals passiert ist, daß ich wegen meiner Hilfsbereitschaft vom Hilfeempfänger quasi „zwischen den Zeilen“ veralbert wurde. Dann lieber nicht dienen!)
    Das mit dem Sachbuch hört sich spannend an, ein richtig schönes kulturwissenschaftliches Thema.

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