Lange Jahre habe ich jetzt fast ausschließlich deutschsprachige Literatur gelesen, mit den großen Ausnahme Sören Kierkegaard, Samuel Beckett und James Joyce, weil ich mich bei Übersetzungen oft nicht wirklich einlesen kann. Das hat den einfachen Grund darin, daß ich mich leider oft frage, wie das denn im Original klingt und wie stark die Bedeutungsverschiebungen sind und wie viel an Vieldeutigkeit und Sinn verlorengegangen ist. Während es ja durchaus einen „deutschen“ Beckett gibt, weil er selbst deutsch sprach und bei den Übersetzungen mittat, sind die meisten Autoren ohne Einfluß auf den fremdsprachigen Text. Im Augenblick lese ich von Louis-Ferdinand Céline Reise ans Ende der Nacht in einer sehr gut lesbaren Übersetzung, die die Brillanz des Textes sichtbar werden läßt, wie ich annehmen muß. Ich weiß noch, wie ich vor dreißig Jahren Sartre und de Beauvoir las und mich immer fragte, ob die Texte im französischen Original auch so steif sind. Manches Werk aber, das ich beim ersten Lesen nicht wirklich mochte, bereitete mir dann beim zweiten Lesen viel Vergnügen, das beste Beispiel ist Ein Porträt des Künstlers als junger Mann von James Joyce, das durch die neue Übersetzung von Friedhelm Rathjen sehr gewonnen hat, wie ich finde. Natürlich ist das dann trotzdem ein deutsches Buch, der Sound des Originals kann nicht getroffen werden, was sich beim Vergleich mit diesem sofort erschließt. Allerdings ist mir das Englische einigermaßen geläufig, während mir andere Sprache ziemlich fremd bleiben müssen, so etwa das Polnische. Eine schöne Sprache, wenngleich ich kein Wort verstehe, viel, viel weniger als beim Französischen oder bei den germanischen Sprachen. Trotzdem will ich mich bald ein wenig der polnischen Literatur-Avantgarde des 20. Jahrhunderts widmen und auch der Gegenwartsliteratur, ich erhoffe mir da einiges, vor allem da von der deutschsprachigen Literatur heutigentags nicht allzu viel zu kommen scheint, wenn ich mir die letzten Jahre so ansehe, denn seitdem alles auf jugendfrische Verkaufbarkeit gezüchtet wird, kommen nur noch Bildungsbürgerkinder auf die Idee, Bücher zu schreiben. Das aber liegt wohl auch daran, daß einfach zu viele Leser sich mit Mittelmaß zufriedengeben, was man ohne zu zögern als Kardinalfehler bezeichnen kann. Ein gewisser Manfred Hinrich sagte wohl einmal, Leser, die nicht lesen können, sind ein Trost für Autoren, die nicht schreiben können, was ganz sicher stimmt, denn eben darauf beruht seit zweihundert Jahren das deutsche Buchhandelswesen, was mir aber alles so lange herzlich egal ist, wie ich sehr gute und herausragende Werke noch finden kann, die dann aber im Falle fremdsprachiger Texte auch noch gut übersetzt, nachgedichtet sein müssen, was ja wohl nicht zu viel verlangt ist. Bisher jedenfalls habe ich, oft schon im Zustand der Verzweiflung, immer noch etwas gefunden, das es wert ist, von mir gelesen zu werden, und eben deswegen bin ich eigentlich guter Dinge und will mich auch gar nicht beschweren. Wo kämen wir da hin!
Kärrnerarbeit Lektüresuche
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Na, zu Thomas Bernhard natürlich. Der hat doch den Modus des Beschwerdeführers perfektioniert, in alle erdenklichen Verästelungen hinein ausgelotet und zur Kunst erhoben.
Man kommt, naturgemäß, immer zu Thomas Bernhard, weil man nicht an ihm vorbei kommt. Also muß man durch ihn hindurch, koste es, was es wolle, und es kostet in jedem Falle Nerven und abermals Nerven. Allerdings bewegt man sich bei ihm meist im Kreis und kommt also nirgends hin, außer unter allen Umständen in die Irrenanstalt, in deren Bibliothek nichts zu finden ist als die autobiographischen Schriften Bernhards, die zu lesen einem nicht erspart bleibt. Alles in allem ein großes Vergnügen also. Beschweren ist sinnlos.
Man bewegt sich im Kreis, denn seine Prosa ist der Minimal Techno der deutschen Literatur. Zu dem tanzt man sinnvollerweise in hermetischen Clubs, vorzugsweise ehemaligen Bunkern oder Geheimverliesen. Beschweren ist natürlich sinnlos, denn dass unser Dasein schon schwer genug ist, zeigt ja u. a. Bernhard bis zum Erbrechen.