Julibrief 2010

„Ich sach dann bescheid, wenn Juli is‘!“ Das schrieb ich vor wenigen Wochen, und was soll ich sagen, jetzt ist Juli. Und zwar überall auf der Welt, wahrscheinlich sogar in Nordkorea und Sachsen. Abgesehen von der Welt der Zahlen, 1,2,3,4,5,6,7,8,9 usw., Sie wissen schon, was ich meine, ist das vielleicht die einzige Gemeinsamkeit aller, abgesehen davon, daß alle Menschen essen und trinken und – Sie wissen schon. In den Prenzlauer Bergen ist der Juli zudem noch der Monat, in dem relative Ruhe eintreten wird, der Schulferien wegen. Dann machen nur noch die Arbeiter Krach, denn außer Kindermachen machen die immer dann ordentlich Lärm, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt, selbst wenn die rechtschaffenden Leute und die Intellektuellen der Prenzlauer Berge noch schlafen müssen. Natürlich darf man auch die schrecklichen Berliner Glocken nicht vergessen. Protestantisch schrill und eher antiintellektuell gestimmt, fügen sie den Preßlufthämmern noch eine besondere Note hinzu. Ist eben so, in den Prenzlauer Bergen, doch wenn Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen, ist das längst kein Thema mehr, der Tag ist gelaufen. Dann ist Ruhe im Karton, und Kindermachen fällt wohl auch aus.

Bei der Sache mit dem Kindermachen bin ich nicht mehr so sicher – aber warum so laut? Überhaupt ist der Sommer in die Prenzlauer Berge eingezogen, überall finden sich ausgetrocknete Reptilien auf den Wegen und an den Hauswänden, überall finden sich Menschen, die nur in der Wärme leben können und im Winter erstarrt in ihren Löchern liegen. Außerdem ist der Sommer natürlich die Zeit der Wiederholungen, selbst beim Fußball wiederholen sich Spiele mit nur geringen Abweichungen, etwa wie beim Theater, das Stück heißt Deutschland – Spanien 0:1. Schwer, da etwas Neues dagegen zu setzen, vor allem bei der Hitze. Nichts machen wäre eine Alternative, aber wer kann das schon! Ich jedenfalls nicht.

Denken an sich wird krass überbewertet, könnte man meinen, und so ist es auch. Menschen, die ihre Entscheidungen allein dem Kopf überlassen, müssen sich zusätzlich immer noch Gedanken machen, warum die Welt so ungerecht ist, sprich: unlogisch. Überhaupt, ist nicht die Logik und die unbedingte Folgerichtigkeit das Langweiligste ever, während jeder kleine Widerspruch die Magensäfte anregt und das Blut zu Kopf steigen läßt – gleichzeitig wohlgemerkt! Dennoch wäre es ungerecht, das Denken als zweitrangigen Reflex zu brandmarken, denn wer strikt selber denkt, dem grummelt es oft im Gedärm, so spannend ist das! Denke ich mir so.

Alles Erinnerte ist privat, es sei denn, es ist etwas von kollektiver Wichtigkeit geschehen. Wer nicht die Gabe des Vergessenkönnens besitzt, wird ewig nur Privates zu berichten und wenig Platz für die Gegenwart haben, in der ja immerhin etwas Wichtiges geschehen könnte, es sei zunächst auch noch so unscheinbar. Nehmen wir die Prenzlauer Berge: hier geht alles seinen Gang, und mehr kann man dazu schon nicht sagen, ohne Bösartigkeiten zu verbreiten. Von der Jetztzeit wird nichts bleiben, kein Film, kein Roman wird die Prenzlauer Berge des Jahres 2010 fassen können, es sei denn er thematisiert das Thema „Wenn erst einmal die letzte Baulücke geschlossen, die letzte Garage einem Spielplatz mit Tischtennisplatte gewichen ist, dann …“ Doch so ein trauriges Machwerk will keiner sehen oder lesen, da kann man sicher sein, und außerdem müßten ja nahezu alle Prenzlauer Berger es sehen oder lesen, denn was hätte so ein Werk sonst für einen Sinn? Eben!

© und alle denkbaren Rechte weltweit und darüber hinaus bei Norbert W. Schlinkert 2010

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