Wer feiert mit? Keener? Auch jut.
Noch ist einerseits Sommer, – schon ist andererseits der Herbstblues ausgebrochen – und das liegt beileibe nicht nur am Wetter, über das zu reden einen leicht schwer wahnsinnig machen kann. Nicht lange ist es her, es war am Siebten, da stand ich hoch oben über der Stalin-Allee, ganz oben in einem der Türme am Frankfurter Tor und sah über die ganze Stadt, nur die Prenzlauer Berge waren nicht zu sehen, und zu diesem Zeitpunkt war auch schon Herbst gewesen. Eine schöne Lesung – die Premiere – stand an, Ricarda Junge aus ihrem Roman Die komische Frau, und da habe ich die Bemerkung gestreut, von hier sähe Berlin ja wie eine richtige Großstadt aus. Da merkt man dann, wer aus Berlin kommt und wer zugezogen ist. Ein Ameisenhügel ist ja auch eine richtige Großstadt, aber die Bemerkung habe ich mir für die nächste Veranstaltung aufgehoben.
Im Grunde ist es völlig unmöglich, etwas Sinnvolles über die Prenzlauer Berge zu schreiben, es sei denn, man schreibt was für Wikipedia. Kann man machen, muß man aber nicht. Viele, sicher auch der ein oder andere Künstler, schreiben ja zum Beispiel lange Rezensionen auf Amazon (sprich: Ähmößon), über Bücher wie über Staubsauger, und das ist manchmal sinnreich, mal weniger. Schön einerseits, daß die Menschen glauben, es sei von irgendeiner Bedeutung, was gerade sie über dieses oder jenes Produkt „denken“, während andererseits ja fünf oder sechs schlechte Kritiken aus jahrelanger Arbeit eine Fehlinvestition machen können. Und da ja in den Prenzlauer Bergen sehr viele Künstler leben, sind die Einzelnen, die da Sterne vergeben, schon wichtig, denn irgendwie sind die das Volk, des Volkes Stimme, gleichsam die Familie Mustermann, die übrigens nicht in den Prenzlauer Bergen wohnt, sondern in Berlin-Mitte. Kurz gesagt, wer nicht zu jeder Tomatensauce und zu jedem Roman eine Meinung hat, zählt gar nicht mehr, nicht mal als einer oder eine aus dem Volk. Doch das muß nicht sein – irgendetwas kann jeder.
Soll ja eher lässig sein, das Leben in den Prenzlauer Bergen. Nun, wenn das eine Frage sein soll, dann muß man sagen: im Gegensatz zu Moskau, Peking oder Tokio ganz bestimmt! Andererseits ist es von hier nicht weit zu den unabsehbaren Weiten Marzahns, wo das Wort Lässigkeit einen anderen Geschmack bekommt, so daß für Berlin als Ganzes, gemeint ist der Bereich, von wo aus der Himmel über Berlin zu sehen ist, von einem Sowohl-als-Auch gesprochen werden kann. Was sagt uns das? Der Mensch ist nur da lässig, wo er spielt? Leider ja.
Die Prenzlauer Berge stehen bis zu den Knien im Wasser –könnte man meinen. Zum Glück tragen alle Kinder bunte Gummistiefel, mit denen sie übers Wasser laufen können, wenn sie mal nicht mit dem Auto von A nach B gefahren werden. Sehr praktisch. Arme Eltern, die es hier auch geben soll, tragen ihre Kinder derweil auf den Schultern und müssen sich bücken, sobald sie irgendwo hineingehen wollen. Wie demütigend. Da ist es wiederum von Vorteil, nicht zwecks Geldloswerdung in jede sich bietende Boutique gehen zu müssen, sondern nur gelegentlich mal rein in den Aldi. Während unser Außenminister also bald schon eine Zone von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten einrichten wird, um damit der Unterschicht die spätrömische Dekadenz auszutreiben, haben wir hier in den Prenzlauer Bergen alles im Griff – mit den paar armen Gebückten werden wir schon selber fertig.
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