Der Nobelpreis für Literatur ist ein politischer Preis, da sollte man sich nichts vormachen. Das hat gelegentlich zu skurrilen Entscheidungen des Nobelkomitees geführt, die im Nachhinein nicht kommentiert werden müssen. Auch ein gewisser Günter Grass bekam eines Tages diesen Preis. Nun hat Grass sein in unrhythmischer Prosa geschriebenes Gedicht ‚Was gesagt werden muss‘ in die Welt geworfen, und siehe da, das Allererste, was das Gedicht erblickt, ist die hellste aller jemals denkbaren Glühbirnen, die Weltöffentlichkeit.
Nun, das Allererste, was die Leser im Text sehen, ist: Günter Grass. „Warum schweige ich“ schreibt er in der ersten Zeile ganz gegenwärtig, obgleich er doch schon spricht, zu uns Überlebenden nämlich, die nicht vernichtet sein werden wie das iranische Volk, welches ausgelöscht werden könnte durch – doch da schweigt er wieder, weil er den Namen dieses Gefährder-Staates sich (hier noch) nicht zu sagen getraut, ganz im Gegensatz zu allen anderen, die den Namen Israel, in allen möglichen Kontexten, durchaus sagen können, wenn sie es für richtig halten. Das iranische Volk, so suggeriert der Autor im Folgenden, hat momentan offensichtlich nur das Problem, von einem Maulhelden unterjocht zu werden und im Verdacht zu stehen, eine Atombombe bauen zu wollen, was aber leider von jenem anderen Volk so ernst genommen wird, daß es womöglich gar nicht anders kann, als dieses Volk durch Atombomben zu vernichten, bevor nämlich die vermutete iranische Atombombe gegen Israel zum Einsatz kommt (und gleich noch alle umliegenden Staaten und die Palästinenser mitvernichtet). Herr Grass denkt, dies alles stünde ganz eindeutig zu befürchten, werde aber verschwiegen, so daß er nun, schon durch Schweigen schuldig geworden, sprechen müsse, endlich. Die Strafe dafür, nämlich als Antisemit beschimpft zu werden, ist er bereit zu empfangen, das Verdikt des Antisemitismus sei allgegenwärtig. Herr Grass vermutet, das wird hier deutlich, sicher überall Feinde, die ihn bekämpfen, vielleicht vernichten wollen, ihn, den Mahner, der mit letzter Kraft die Welt zu retten hat. Die Juden und deren Freunde dürfen also, aus Sicht des Herrn Grass, als gefährlich gelten. Hatten wir das nicht schon einmal?
So weit, so unklar. Weiterhin unklar dürfte auch sein, warum Herr Grass davon ausgeht, die Israelis würden die iranischen Atomanlagen ausgerechnet mit Atombomben angreifen, also bewußt nicht nur die Zerstörung dieser Anlagen beabsichtigen, sondern auch noch das iranische Volk gleichsam mitvernichten wollen. Woher hat der Grass diese Vorstellungen? Oder geht er davon aus, daß die zerstörten Atomkraftwerke diese Wirkung haben, daß es sich also womöglich um einen perfiden Vernichtungsplan handelt, der ganz böse die Kollateralschäden als irgendwie entschuldbare mit einberechnet? Klare Aussagen dazu finden sich im Gedicht jedenfalls nicht. Denn wenn auch die gegenwärtige israelische Politik tatsächlich kaum als gut und friedensstiftend zu bezeichnen ist, warum sollte Israel ein Volk auslöschen wollen, mal ganz abgesehen davon, daß das so einfach ja zum Glück nicht ist, nicht mal mit Atombomben? Der Schluß, der sich für ihn aus dieser kraft seiner Sehergabe erkannten Gefahr ergibt, ist: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“ (Man beachte das sprachlich und inhaltlich völlig unpassende Fragezeichen!, denn er fragt nicht, er sagt, gealtert und mit letzter Tinte.) Nicht die Machthaber im Iran sind also gefährlich und gefährden uns alle oder doch wenigstens andere Staaten, obwohl eben diese Machthaber Israel das Existenzrecht absprechen, nein, aus Sicht des Herrn Grass ist allein Israel der Weltfriedensgefährder. Es gäbe, so Grass weiter, „den Verursacher der erkennbaren Gefahr“, nicht etwa „die“ Verursacher!, der nun aufgefordert werden müßte, auf Gewalt zu verzichten – so als sei die von Grass wohl wenig ernst genommene Drohung der iranischen Machthaber, Israel zu vernichten, etwa nicht auch schon Gewalt und Gewaltandrohung! Nun ja, aus Sicht des Grass sind das ja nur Maulhelden, die man womöglich gewähren lassen sollte.
Kein Wort des Herrn Grass darüber, daß Atombomben seit den ersten beiden Einsätzen gegen Japan nie wieder tatsächlich benutzt worden sind, daß diese immer „nur“ als Drohpotential „eingesetzt“ wurden. Auch Israel droht mit seinem Potential auf allen Ebenen, nicht nur mit Atombomben, so wie dies jeder andere Staat, wenn er es muß oder zu müssen meint, auch tut. Dies ist in dieser Welt nun leider so, es gibt einen hochkomplizierten Gesamtzusammenhang, bei dem auch die Rüstungspolitik der westlichen Welt eine große Rolle spielt, was durchaus diskutiert werden muß, auch in bezug auf die Rolle Deutschlands, von dessen Boden wegen der Waffenlieferungen in alle Welt ganz real wieder Krieg ausgeht. Dies alles aber zu vereinfachen, auch dadurch, daß man keinen sachlichen Text schreibt und stattdessen zwielichtig herumraunt, und dann auch noch einen einzigen Schuldigen zu präsentieren, ist schon kurzsichtig und dumm genug – jedoch das Denkmuster zugrunde zu legen, die eigentliche Schuld träfe jetzt schon, durch die von Grass als gesichert angesehene Gefährdung des Weltfriedens durch Israel, die Juden, ist eindeutig antisemitisch. Wenn Grass statt Krawall und Skandal einen fruchtbaren Dialog hätte führen wollen, hätte er sich ausführlich, sachlich und sprachlich-stilistisch angemessen mit der Lage im Nahen Osten beschäftigt und dies zur Diskussion gestellt, statt seine „Wahrheiten“ hinauszuposaunen, noch dazu mit der Attitüde des von den Juden zum Opfer gemachten Deutschen, der nun, eigentlich zum Schweigen verdammt, unter Schmerzen die Wahrheit herauspreßt. An und auch für sich sollte ein Schriftsteller wissen, wie gefährlich allein Worte sind und auch immer schon waren, woraus sich denn eine Verantwortung ergibt, die Günter Grass wohl nicht wahrnehmen will oder kann – er möchte lieber um sich wüten, um bloß nicht vergessen zu werden, koste es, was es wolle.
Über ein triviales „Gedicht“ (Inhalt längst bekannt), das bestenfalls geeignet ist, von der eigentlichen Kriegsursache abzulenken, diskutiert die ganze Welt.
Doch ein wissenschaftlich einwandfreier Artikel, der den Kern des Problems anspricht, wird vom „Normalbürger“ gar nicht erst zur Kenntnis genommen:
http://www.deweles.de/files/krieg.pdf
Wer die tiefere Ursache – nicht nur – für dieses irrationale Verhalten verstehen will, muss tatsächlich bei Adam und Eva anfangen:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html
Viele, die sich jetzt zu Grass und seinem Vorstoß äußern, haben sich sicher nie ernsthafte Gedanken über die angesprochene Thematik gemacht, denn das bedeutet Arbeit, für die es keine Belohnung gibt. Ja, die Frage stellt sich, wer liest schon ernsthafte Abhandlungen über die politische Lage? Ich selbst bin auch kein Politologe, doch die gefährlichen Zwischentöne in dem grassschen Text entgehen mir durchaus nicht, auch wenn diese gerne von denjenigen Zeitgenossen übersehen werden, die es am liebsten einfach haben und schlichte Wahrheiten lieben. Grass hat mit seinem „Gedicht“ viel böses Blut in Wallung gebracht, viel Dummheit offenbart – schön wäre es, wenn es jetzt wenigstens eine Debatte gäbe, in der Fachleute das Sagen haben.
»Ich sehe keine Reime.«
(M. Reich-Ranicki)
Genau, keine Reime. Wildes Umbrechen und Flattersatz allein reichen eben nicht, um ein Gedicht herzustellen, Reim hin oder her.