Zum Drunter und zum Drüber des Urheberrechts

Die Zeiten, in denen die staatliche Gemeinschaft Sorge dafür trug, daß alle Bewohner dieses Landes Zugang zu Kunst, Wissen und Kultur haben, sind vorbei. Nicht etwa, daß das alles immer wunderbar funktionierte, denn keine westliche Gesellschaft sieht so sehr auf die Herkunft wie die deutsche, wenn es um Zugänge zu höherer Bildung geht, die in den besagten vergangenen Zeiten zugleich den Zugang zu höherem Einkommen garantierte. Einrichtungen wie Stadtbibliotheken und Volkshochschulen lassen sich aber getrost als Folge dieser Sorge betrachten. Nun, die aus diesen Bibliotheken und Volkshochschulen bestehenden Kulturlandschaften haben sich verändert, sind aber immer noch lebendig, denn ziemlich viele Menschen möchten an diesen Orten immer noch etwas sehen, lesen und lernen. Die in diesen Einrichtungen zur Verfügung gestellten Medien sind gemeinhin gut durchdachte und sorgsam hergestellte Produkte, die auf dem Markt frei verkauft werden, entweder an Einzelpersonen oder an Institutionen. Letztere stellen diese Werke dann denjenigen Menschen gegen kleine Gebühr zur Verfügung, die sich das Buch, die CD oder die DVD nicht leisten können oder möchten. So weit, so gut, so bekannt, so eingeschliffen, so langweilig. Klar ist, es gibt einen freien Zugang zu Kunst, Kultur und Wissen, er ist aber weder kostenlos noch ohne eigene Anstrengung zu haben, so wie dies im Leben generell gilt für alles, was der Mensch braucht und haben will.

Was hat das Ganze nun mit dem Urheberrecht zu tun? Ganz einfach: der Urheber eines künstlerischen Werks, einer ausgeführten Idee sozusagen, hat das Recht, mit seinem Werk in den Markt einzutreten und es dort anzubieten. Will es niemand kaufen, so kann das die mannigfachsten Gründe haben, doch bleibt der Künstler nicht erfolglos, so verkauft er entweder das Original, weil es per definitionem nur ein einziges Stück geben kann, oder er verkauft eines von vielen Originalen, von Kopien, weil es kein materielles Original gibt (allenfalls ein Manuskript, ein Mutterband oder ein „Erstexemplar“). Alle Kopien beruhen aber auf einer Idee, die, wie man so sagt, in ihrer Verwirklichung eine gewisse Schöpfungshöhe haben muß, um etwa als Kunstwerk zu gelten. So weit, so gut, so einfach, so bekannt.

Was aber geschieht nun, wenn dieses Kunstwerk, etwa ein Roman oder ein Lied, nicht mehr zwingend als ein mit Materie verbundenes Gut auf den Markt gebracht wird, wenn es also immateriell als solches ebenso vollkommen ist wie materiegebunden, die erzählte Geschichte auf dem Bildschirm ebenso berührend ist wie zwischen zwei Buchdeckeln? An sich dürfte dies keinen Unterschied machen, denn niemand hat zuvor ein Buch mit dem Bewußtsein gekauft, gebundenes Papier zu erstehen, sondern er oder sie zahlte für die Geschichte, so daß am Ende der Urheber seinen Teil bekam, wenn auch vielleicht nicht den wirklich angemessenen – doch das ist eine andere Diskussion. Ist also etwas verlorengegangen, ist die Geschichte unlesbar geworden, der Film unsehbar, die Musik unhörbar, nur weil das bisher verwendete Trägermaterial unnötig geworden ist? Nein, keineswegs. Wechsel hin zu neuen Formen der Darreichung oder der Speicherung hat es schließlich immer gegeben.

Neu ist nur, daß sich die Werke nun viel leichter klauen lassen, und da kommt die staatliche Gemeinschaft wieder zu ihrer Rolle, denn diese hat zur Hauptaufgabe, die Staatsbürger und überhaupt die Bewohner zu schützen, auch davor, beklaut oder beraubt zu werden. Auch neu ist es, daß die Räuber sich keineswegs mit ihrem Raubgut dünne machen und sich der staatlichen Gewalt entziehen, nein, sie behaupten nun, das kulturelle Gut mit eigenem Recht ohne Bezahlung genommen zu haben, weil es einen uneingeschränkten Zugang zu Wissen und Kultur geben müsse, vielleicht nicht in allen Bereichen, im Internet aber schon. Sie stürmen also nicht die Konzerthallen oder Museen, wohl aber die Hallen der immateriell speicherbaren und (auch) immateriell darbietbaren Kunst. Sind dieses Menschen, Banditen, Räuber und Piraten, verrückt geworden? Ebenso gut könnte man behaupten, aus einem Haus mit offen stehender Türe alles straffrei mitgehen lassen zu dürfen, weil dasjenige, was so ein Haus beherbergt, nun mal ganz allgemein nützlich ist und imgrunde jedem Menschen zusteht. Was einfach zu klauen ist, so die dem zugrunde liegende Ansicht, ist gemeinfrei. Natürlich würde die Polizei in einem solchen Falle eingreifen, nicht mal völlig unbrauchbar gewordene Gegenstände dürften mitgenommen werden und natürlich auch keine Kunstwerke, ob nun einmalige oder die als Kopien vorhandenen.

Im Internet soll dies nun alles anders sein, denn die Fünfte Kolonne* der Internetriesen Google, Facebook und so weiter will geschütztes Gut benutzen dürfen, ganz ungeachtet der sogenannten Schöpfungshöhe und der für die Herstellung des Produktes aufgewendeten Arbeitsleistung, frei nach dem Motto, wer nachts mit seinen Klunkern durch die Gegend läuft muß sich nicht wundern, wenn er überfallen wird – der Räuber kann da nix zu! Also weg mit dem Recht am geistigen Eigentum, sofern es sich als leicht entwendbar herausstellt, oder wenn das den gewählten Vertretern des aus Piraterie Nutzen ziehenden Volkes nicht gelingen sollte, dann muß dem Künstler wenigstens das Recht an seinem Werk nach ein paar Jahren genommen werden, denn daß jemand aus seiner Arbeit so lange Nutzen zieht wie diese Künstler, das hat die Weltgeschichte ja noch nicht gesehen! Sollen die doch am Ende froh sein, wenn ihre Werke von Internetfirmen, die sich um alles kümmern, verbreitet werden, denn so haben ja alle was davon. Oder? Oder doch nicht?

* Niki Stein, Regisseur und Drehbuchautor, schreibt: „Warum eigentlich hat sich diese neue, junge Partei so auf uns Urheber eingeschossen? Warum bekämpfen die Netzaktivisten nicht die Netzmonopolisten Apple, Google, Facebook und Amazon, die längst ihre Vorlieben und Freunde, ihr Seh- und Leseverhalten gespeichert haben, die totalitäre Giganten geworden sind in einer Welt, in der die Herrschaft über Information ein ähnlich großes Erpressungspotential besitzt wie die Atombombe?“

Der lesenswerte Artikel von Niki Stein findet sich in der FAZ.

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