Angstblüte der Blütenträume

Die Rückentwicklung des Menschen zu einer gewöhnlichen Tierart beginnt mit der Angstblüte der menschlichen Kultur. Das ist natürlich Unsinn, läßt sich aber trotzdem sauber belegen mittels der Deutung aller vorhandenen Spuren. Jetzt, am Ende des sehr kurzen 21. Jahrhunderts, wäre der richtige Zeitpunkt, sich dieser Aufgabe zu widmen. Doch so wenig wie eine Behörde sich selbst abschafft, so wenig werden die für diese Aufgabe Befähigten ihr eigenes Ende auch noch beglaubigen wollen, vor allem natürlich deshalb, weil ihnen niemand glauben wird. Außerdem geht es selbstverständlich trotzdem weiter mit dem Planeten Erde und allem, was sich über, auf und in ihm befindet, selbst die Menschheit als solche wird weiterhin anzutreffen sein, auch wenn alle denkbaren Katastrophen sich ereignen, oder sagen wir: fast alle. Eine dieser Katastrophen ist das Chaos als eines bestehenden und sich aus sich selbst heraus fortsetzenden Zustandes, wobei Chaos ja eigentlich eine klaffende Leere ist, annäherungsweise also so etwas wie eine absolute Leere, die so grade eben keine absolute ist, eben weil sie sich zwischen Etwas befindet. Sie wissen, was ich meine, das ist alles nachzulesen in den menschheitsgeschichtlich gesehen verhältnismäßig neuen Büchern der frühen griechischen Antike oder auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte.

Spannend, wenn auch ebensolcher Unsinn, ist der Gedanke, daß wir Heutigen in der Zeit leben, in der die Anzahl der jetzt lebenden Menschen die Zahl der bereits toten Menschen übersteigt. An die Seelenwanderung glaubende Mathematiker machen sich bereits schlimme Sorgen deswegen, aus welchen tiefwissenschaftlichen Gründen auch immer, während sich ungläubige Komiker eben darüber lustig machen oder wenigstens lustig machen könnten. Positive Fatalisten, die immer auch Voluntaristen sind, entspinnen hingegen weiterhin die schönsten Blütenträume, wunderbare Geschichten zum Hineintauchen und Darübernachdenken, und dies in jeder nur erdenklichen und damit durchführbaren Form. Für jeden ist etwas dabei, an jede Art Phantasie ist etwas Phantastisches andockbar. Die Produktion von Blüten dieser Art, selbst wenn dies der Angstblüte sterbender Bäume noch so nahekommt, ist nicht mehr zu stoppen, und das schon seit dem Augenblick, als die erste Seele in den ersten Menschen gefahren ist. Der Mensch, mit Möglichkeitssinn ausgestattet, ruft seither seine Fragen in das Chaos hinein, so wie diese:

A Dream Within A Dream (Edgar Allan Poe)

Take this kiss upon the brow!
And, in parting from you now,
Thus much let me avow:
You are not wrong, who deem
That my days have been a dream;
Yet if Hope has flown away
In a night, or in a day,
In a vision, or in none,
Is it therefore the less gone?
All that we see or seem
Is but a dream within a dream.

I stand amid the roar
Of a surf-tormented shore,
And I hold within my hand
Grains of the golden sand –
How few! yet how they creep
Through my fingers to the deep,
While I weep – while I weep!
O God! can I not grasp
Them with a tighter clasp?
O God! can I not save
One from the pitiless wave?
Is all that we see or seem
But a dream within a dream?

Irgendwann aber, in ein paar Milliarden Jahren, frißt uns das All, weil es unsere einzige Sonne auslöscht. Das ist dann das Ende aller Blütenträume, nach allem, was sich denken läßt. Wetten würde ich darauf aber nicht – mit wem auch?

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2 Antworten auf Angstblüte der Blütenträume

  1. kienspan sagt:

    „…und dies in jeder nur erdenklichen und damit durchführbaren Form.“
    Das ist richtig und wichtig. Das Neue muss solange versucht und unternommen werden, bis es gelingt. Nach einem gescheiterten Versuch darf nicht das Vorhaben aufgegeben, sondern müssen die vor und während des Versuchs gestellten Fragen überprüft werden. Sie kennen die Frage: „Wer soll das bezahlen?“ Das ist die übelste Ausrede, um ein denkbares Vorhaben erst gar nicht zu beginnen.

    Der Vergleich mit der Angstblüte sterbender Bäume ist wunderschön. Im Sterben existiert eine Lebenskraft, die auf Fortbestand gerichtet ist – nicht auf den eigenen zwar, wohl aber den der Möglichkeiten. Das war bisher so und wird auch so bleiben, denn der Mut zum Denken kann nicht ausgerottet werden.

  2. Es heißt ja auch, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, abgeleitet von jenem berühmten „sapere aude!“ Am besten kommt man als junger Mensch von selber drauf. Nichts dürfte allerdings schwieriger sein als Selberdenken, wie immer wieder zu sehen ist, denn natürlich hat das Denken auch mit Emotionen zu tun, nicht zuletzt mit der Angst, unbedarft Grenzen zu überschreiten. Angst und Mut sind so wohl auch die Keimzellen der Kunst, selbst wenn sie von manchen Zeitgenossen als überflüssiges Beiwerk angesehen wird, für das nun wirklich kein Geld mehr da ist. Zum Weitermachen gibt es aber nie eine Alternative, so lange der Mensch Mensch ist.

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