In meinem Bücherregal befinden sich wesentlich mehr tote als lebendige Dichter, Autoren, Schriftsteller – wie auch immer. Alles gut abgehangen, von der Literatur der antiken Welt bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Natürlich lese ich gelegentlich auch etwas frisch Geschriebenes, oft von Autoren, die ich persönlich kenne, doch eigentlich suche ich eher die Zwiesprache mit den Verblichenen. Mit den Unverblichenen kann ich ja auch auf andere Weise kommunizieren, doch die Nähe zu einem Robert Walser ist leibhaftig nicht herzustellen, so daß ich ihn lesen muß, sozusagen zwangsläufig. Ehrlich gesagt kann ich die augenscheinlich oftmals nur aus sich selbst schöpfende, jetzige Autorengeneration nicht begreifen, obwohl ich mich mit einigen Vertretern derselben über das Thema unterhielt. Eine Autorin, die das Schreiben in Hildesheim studiert, berichtete mir staunend darüber, wie sehr viel mehr etwa diejenigen über die ganze Literatur wissen, die nach einem Studium der Literaturwissenschaft noch eines des Kreativen Schreibens obenaufsetzen. Das Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig ist immerhin so aufgebaut, daß es Seminare gibt, die die Kenntnis exemplarischer Werke vermitteln. Richtig so, obgleich das Selberlesen naturgemäß wesentlich mehr bringt als das Vermitteltbekommen. Kein Wunder also, wenn Werke aus der Mitte des 19. Jahrhunderts von vornherein als schwierig angesehen werden, obwohl die deutsche Sprache schon vor 150 Jahren eher mehr als weniger der heute gesprochenen entspricht. Dazu kommt noch, daß ja die Themen der Moderne auch schon in anderen „Modernen“ literarisch verarbeitet wurden, es ist also noch immer das selbe Menschlich-Allzumenschliche, das seit jeher von der Kunst und eben auch der Literatur aufgegriffen wurde. Warum also die wenig ausgeprägte Neugierde gegenüber der „älteren“ Literatur, warum verzichten so viele Menschen darauf, diese Schätze zu heben? Ich fürchte, es liegt einfach daran, daß das Heben von Schätzen Arbeit bedeutet, bevor es dann zu einem Abenteuer werden kann und sich schließlich in einem Bücherregal manifestiert, in dem mehr lebendige Gedanken stecken, als man jemals wird erfassen können. Also mal flugs an die Arbeit.
Regal der toten Dichter
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