Die dunkle Seite des Mondes

Manchmal das Gefühl, wir alle über den Bedarf hinaus gezeugt. Da fehlt natürlich habe ich und sind und worden, aber in Zeiten wie diesen muß man sparen, wo man nur kann. Ich spare mir, nur so als Beispiel, das Schreiben von Kurzgeschichten, lange schon, obwohl ich das gut kann und es in der sogenannten Literaturszene unmißverständlich heißt: Schreib gefälligst Kurzgeschichten, die Du dann gefälligst in Literaturzeitschriften zu veröffentlichen hast, bevor Du es wagst, das Wort „Roman“ auch nur in den Mund zu nehmen, nimm in den Mund, was Du willst, nicht aber dieses Wort, denn kein Dichter kommt aus dem Nichts, also diene Dich gefälligst mit gefälligen Kurzgeschichten in genau der richtigen Länge hoch, das ist wie in der Partei, da kommt auch keiner der Funktionäre aus dem Nichts, selbst wenn er oder sie dauerhaft Gefahr läuft, in eben dies zu stürzen, was? – ob es in der Literatur nicht in erster Linie um Texte ginge und eigentlich überhaupt nicht um die Person? – ja, sag mal, lebst Du auf der dunklen Seite des Mondes, liest Du denn nicht die allerallerneuesten Romanproduktionen der neuesten Nachwuchs- und auch sonstigen Autoren? – da geht es doch fast nur allein um den Dichter und die Dichterin selbst, ihre Geschichten und Krankheiten, ja vor allem um Krankheiten und natürlich auch den Tod, ergo muß es ja wohl um den Dichter gehen, denn wen sollte man denn sonst da vorne auf die Bühne setzen, wie? – das Lesen an sich ist die Hauptsache? – da ist Dir wohl das Hirn eingefroren, da auf dem Mond!, was? – Geschichten willst Du erzählen, die erfunden sind!, mit erfundenen und dennoch lebendigen Figuren, ja, leck mich am Arsch, Du bist ja nun echt von vorgestern, wie? – das Originalzitat heißt eigentlich leck mich im Arsch? – ja nun, das kann man der deutschen Schülerschaft ja wohl nicht zumuten, muß selbst so ein Darksider wie Du einsehen, überhaupt die Jugend, wie will man denn die zum lesen bringen, wenn Du denen so einen Wälzer in die Hand drückst, da kriegen die doch Angst, überleg doch mal, die Aufmerksamkeitsspanne ist heutigentags exakt auf Kurzgeschichtenlänge, da gibt es Zahlen, belastbare!, was denkst denn Du, warum es an den Unis immer weniger Vorlesungen gibt? – und überhaupt, der Text hier nähert sich auch schon der kritischen Grenze, ist besser, Du hörst auf, bevor es zum Äußersten kommt, was? – Du hast grad erst begonnen? – ja, leck mich …

Nächtliche Küchenszene mit Beschwörung des Autors, Norbert W. Schlinkert

Dieser Beitrag wurde unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert