Der Geist der Literatur

Wenn man Célines Reise ans Ende der Nacht gelesen hat, ist man überwältigt. Ein grandioser Roman, kein bißchen verdorben durch literaturwissenschaftliches Denken und Machen – nee, das ist richtige Literatur! Nicht so eine Harmoniesauce, so ein Marktanpassungsgeschreibsel. Letztens erst machte sich jemand ein wenig darüber lustig, daß ich nur selten aktuell erscheinende Romane läse, was natürlich stimmt, aber auch heißt, daß ich aus dem „Aktuellen“ eben nur das wirklich Gute heraussuche. Kann man mir wohl nicht verübeln, und außerdem habe ich alle Argumente auf meiner Seite, daß nämlich erstens alles, was ein Mensch liest, durch sein Lesen aktuell ist, und zweitens – habe ich jetzt vergessen. Was Céline betrifft, so ist augenfällig, wie sehr er Samuel Becketts Prosa beeinflußt hat, darüber ließe sich einiges schreiben, absolut, und natürlich könnte ich das tun, wenn auch nur auf Grundlage der Übersetzungen ins Deutsche. Das wäre sehr, sehr interessant, würde aber wohl kaum jemanden interessieren außer mich selbst, und ich sehe es ja schon. Schade natürlich, aber so ist das nun mal in einer Zeit, in der das Sterbeglöckchen der Geisteswissenschaften schon unablässig leise vor sich hinbimmelt, selbst in Deutschland, dem geisteswissenschaftlichsten Land der Welt. Bald ist es also vorbei damit, obwohl ja deren Aufgabe noch garnicht erfüllt ist. Der Geist selbst immerhin, der bleibt, und manchmal zeigt er sich sogar, vor allem zwischen den Jahren. Huuuuuh.

Der Geist der Literatur, Norbert W. Schlinkert

Dieser Beitrag wurde unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf Der Geist der Literatur

  1. Shhhhh sagt:

    Mich würde das auch interessieren. Céline zu lesen habe ich übrigens ebenso genossen und mich stört auch nie, wenn die Bücher schon eine Weile liegen.
    Außerdem habe ich mir angewöhnt, zwei Empfehlungen abzuwarten, die unabhängig voneinander den gleichen Autor empfehlen, bevor ich ihn überhaupt anlese. Als ANH dann irgendwann einmal erwähnte, mit Céline sei sicher nicht gut Kirschen essen gewesen, war es dann soweit, die erste Empfehlung kam bereits von Charles Bukowski. Wegen dem habe ich mich auch an Camus getraut und es nicht bereut.

  2. Dann sind wir ja schon zwei, die das interessiert, das mit Céline und Beckett. Aber machen muß es trotzdem ein anderer, am besten ja auch jemand, der die Texte im Original lesen kann, also in französisch und, was die frühen Beckett-Texte angeht, in englisch. Selbst wenn es eher um Motivforschung geht, so ist doch eine umfassendere Bildung als die meine einfach besser.
    Was das Entdecken (mir) neuer Texte angeht, da bin ich nicht ganz so streng wie Sie, manchmal reicht mir auch schon eine einzige begeisterte Empfehlung, wodurch das Risiko, das „Falsche“ zu kaufen, allerdings tatsächlich ein wenig steigt, wie ich feststellen mußte. Fehlkäufe lege ich dann aber immer in den Durchgang zur Straße, dann hat vielleicht noch ein anderer was davon.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert