Miniaturen XIX: Die Feinen und die Groben und der Platz dazwischen

Immer wieder höre ich den Begriff des Kulturellen Kapitals durch die aktuellen Diskurse geistern, was mich zusehends daran erinnert, dass ich manch Buch und Werk noch nicht eingehend gelesen oder studiert habe, selbst wenn ich weiß der Teufel seit 45 Jahren nahezu täglich lese und demzufolge hunderte von Romanen und dutzende Werke der Fachliteratur las. Zuletzt erst habe ich mit übergroßem Gewinn Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss gelesen und werde es hoffentlich auch noch einmal lesen können, so wie ich das Werk Wolfgang Koeppens alle paar Jahre wieder lese, wenn die Zeit reif ist. Doch zurück zum von Pierre Bourdieu geprägten Begriffs des Kulturellen Kapitals, der mir bereits während meines Studiums um die Ohren sauste. Doch da ich nicht Soziologie, sondern Kulturwissenschaft, Ästhetik und Theaterwissenschaft studiert habe, blieb keine Zeit übrig, mich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen eingehend zu beschäftigen. Vielleicht auch tat ich es nicht, weil es mich persönlich zu sehr erschüttert oder entmutigt hätte, so ich demzufolge das Thema des Kulturellen Kapitals gleichsam von Grund auf beackerte, indem ich den Anton Reiser (1785–1790) von Karl Philipp Moritz und auch das weitere Werk des Autors eingehend studierte, was sich teilweise in meiner Dissertation Das sich selbst erhellende Bewußtsein als poetisches Ich von 2011 niederschlug. Nun aber ist wohl die Zeit gekommen, mich aktuell und direkter auf meine Lebenszeit bezogen mit der Thematik zu beschäftigen, indem ich mir (endlich) Bourdieus La Distinction. Critique sociale du jugement (1979) vornehme, allerdings, Stichwort Kulturelles Kapital, auf deutsch unter dem Titel Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (1982). Und wer da nun behaupten wollen würde, das sei ja nun auch schon ein älteres Werk, dem möchte ich sagen, dass ja auch ich schon ein älteres Werk bin und zur der Zeit der Veröffentlichung von Bourdieus Studie aber 15 Jahre alt war und ganz sicher noch ein recht bescheidenes Kulturelles Kapital mein eigen nennen konnte, just aber eben damit begonnen hatte, es, trotz all des Ressentiments meiner Umwelt, lesend und denkend und handelnd ernsthaft zu begründen, ohne dass mir das Ganze in meiner puren Wissenslust vollkommen klar gewesen wäre. So also werde ich mit der Erinnerung an die Zeit der späten 70er-Jahre das Werk mir jetzt vorzunehmen haben, und zwar auch einfach deshalb, weil ich es kann.

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