Asozialitätskunst

Ich habe an dieser Stelle schon des öfteren meine Ansicht kundgetan, wie bereichernd es sein kann, Romane nach zehn oder zwanzig oder noch mehr Jahren noch einmal zu lesen. Schließlich ist man nicht mehr der Selbe wie anno dazumal, denn man hat ja im besten Falle eine Menge hinzugelernt, durchs Leben selbst und wohl auch durchs Lesen. Momentan lese ich (wieder) Aus Dalkeys Archiven von Flann O’Brien und muß konstatieren, welch wunderbares Buch das doch ist, nicht zuletzt auch, weil der Autor darin mit seinem berühmten Kollegen James Joyce nicht gerade zimperlich umgeht, ist er, O’Brien, als Satiriker, der er auch ist, doch jedem Personenkult abhold. Das ist mir sehr sympathisch. Auch mit De Selby ist er übrigens nicht zimperlich, das kann ich Ihnen sagen! Manchmal werfe ich allerdings den Roman auch mitten im Kapitel zur Seite und lese in etwas anderes hinein, was so rumliegt. Bei Rainald Goetz las ich gestern oder vorgestern „Ich wollte sagen: daß bestimmte Textformen die zugespitzteste und vielleicht einzige Asozialitätskunst sind, die es überhaupt gibt. Schrift. Wenn man wüßte, seit wann es den Begriff SCHRIFTSTELLER gibt, wüßte man schon ein bißchen mehr.“ (Rainald Goetz: Abfall für alle. Roman eines Jahres. st 3542. S.127.) Starker Tobak das! Behauptet der das so einfach! Recht hat er natürlich, und zwar zumindest unter der Voraussetzung, daß ein in seinem Text anwesender Autor und ein diesen Text lesender Leser zusammen einen asozialen Haufen bilden können, sozusagen auf Du und Du – ja sind die Beiden nicht wirklich eine womöglich bösartige Verschworenheit gegen alles andere, eine Weg-von-der-Welt-Verkapselung, stellen sie nicht tatsächlich einen Komplott dar, leisten sie nicht in der Tat Widerstand? Indem sie in der Welt eine Welt bilden, allein durch Phantasie und Vorstellungskraft? Meint das der Goetz? A dream within a dream, a world within the world? Oder hieße Asozialitätskunst, sie käme gar nicht erst beim anderen Menschen an?, wobei ja diese schriftlich dargereichte Überlegung eben darüber jetzt immerhin bei mir angekommen ist, der ich sie hiermit dem nächsten Leser darreiche. Seltsam? Aber so steht es geschrieben …“

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