Zum Vortrag, der dann schlussendlich am 14.09.2015 gehalten wurde! => => =>
Ich werde am 14. September einen Vortrag über Heinrich Schirmbecks Roman Ärgert dich dein rechtes Auge (1957, Neuauflage 2005) halten, und zwar in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt („Ärgert dich dein rechtes Auge“, Schirmbecks Roman im Blick der Vergangenheit und Zukunft. ULB, Vortragssaal (UG 1), 20:00 Uhr)
Dazu fortlaufend einige erste Notizen, alles mitunter noch etwas durcheinander, zu kompliziert oder zu unpräzise oder was auch immer – work in progress also …
III) Der Roman Ärgert dich dein rechtes Auge bezieht sein Spannungsmoment aus allen möglichen Formen vermeintlicher oder echter Gegensätze – es geht um Gut und Böse, Gott und Teufel, Licht und Finsternis, die Gegensätze der politischen Systeme in Ost und West, um Kunst und Kommerz, Literatur und Propaganda, Mensch und Maschine, und so weiter und so weiter. Die jeweiligen Positionen werden im Roman zumeist von einzelnen Personen vertreten, die quasi als Sprachrohr einer Idee auftreten und diese wortreich argumentativ verbreiten und verteidigen, dies alles in einer Atmosphäre, die wie die am Vorabend eines Dritten Weltkrieges erscheint, so wie etwa Musils Mann ohne Eigenschaften und Thomas Manns Zauberberg die Stimmung am Vorabend des Ersten Weltkriegs aufzeigen. Insofern ist Schirmbecks Roman in gewisser Weise heute als eine Art historischer Roman zu lesen, eben weil er Mitte der 1950er Jahre auf der Höhe und inmitten seiner Zeit angesiedelt war, weil der Autor mit den Konflikten seiner Zeit rang und nicht zuletzt auch mit der Frage, inwiefern sich die Literatur selbst direkt in das einzumischen habe, was gemeinhin als Politik bezeichnet wird; dies allerdings nicht im Sinne der Aufbereitung der Vergangenheit, das spielt gewissermaßen nur eine Nebenrolle im Roman, sondern im Sinne der Analyse einer immer deutlicher technisierten Gegenwart, eine Analyse, die mitunter eine, wie hier geschehen, düstere Prognose der gesellschaftlichen Zukunft beinhaltet.
Es lohnt sich somit, einen Blick auf das zu werfen, was der, neben dem Ich-Erzähler, zweite Literat des Romans, Maxim Bernstein genannt und ebenfalls ein Alter Ego des eigentlichen Autors, zu sagen hat, ausdrücklich als Dichter mit einer Rede auf einem Kongress. Diese Rede gipfelt in er Überzeugung Bernsteins, Dichtung müsse Nachahmung des Heldischen sein, denn „alle große Dichtung bei allen Völkern und Kulturen sei Heldendichtung gewesen, Bericht, Glorifizierung, Mythisierung heldischer Ereignisse“. (S.364f.) Es brauche also eine neue Dichtung des menschlichen Heroismus, des Opfers, des Wagnisses, der Prüfung, der Bewährung, denn der soziale Organismus entarte, die Moral zersetze sich, die Ordnung löse sich auf, weil die alten Drachen tot seien, die Augen einer neuen Generation aber noch nicht klarblickend genug, diese neuen Drachen zu erkennen, nämlich die Maschinen, die Elektrogehirne, die Atomkraft und den Strahlentod. (S.365) Dies habe zur Folge, dass auch der Dichter konkret zu handeln habe, und selbst wenn dies vordergründig Verrat bedeute, so müsse dies doch um einer höheren Treue willen getan werden. Der Dichter sei zum Sehen geboren, er müsse den Helden auf seinem dunklen Wege erkennen und ihm die Fackel voranhalten, so etwa im Falle des us-amerikanischen Ehepaars Rosenberg, die mit ihrer Spionagetätigkeit für den Osten doch immerhin dazu beigetragen hätten, zwei gleich starke Drachen hervorzubringen, die sich mit ihrem Atomwaffenpotential gegenseitig in Schach halten würden. (S.366f.) Womit wir wieder beim Thema des Gleichgewichts der Kräfte wären, eine Thematik, die uns auch heute angesichts des fahrlässig vom Westen mitverursachten Krieges in der Ostukraine und militärischer Bestrebungen in Ost und West wieder ins Haus steht.
Mögliche Stichworte für Weiteres: Kybernetik, Pascals Rechenmaschine, Dualismus, Spaltung, Teufel, Leukotomie/Lobotomie, Mensch-Maschine, Licht als Welle und Teilchen, Teilchenbeschleunigung, Unschärferelation, Werbung, Propaganda, Psychoanalyse, Boheme, L’art pour l’art, das Absurde, Existentialismus, Feminismus, Mechanopathie, Tanz, Eros, Suizid, Todesstrafe, Spionage, Gleichgewicht der Kräfte …
Wäre gerne nach Darmstadt gekommen. Muss aber Nacht schichten.
Wieso gibt es keine Live-Schalte, Herr Schlinkert?
Wünsche Ihnen, dass es Ihnen nicht ergeht, wie es mir immer erging. Vorträge zu halten haben meinen Mundraum immer zuverlässig in eine Wüste verwandelt.
Bin eben zurück, ich habe den Nachtzug von Frankfurt nach Berlin-Gesundbrunnen genommen – Live-Schalte wäre nicht schlecht gewesen. Der Vortrag lief meines Erachtens sehr gut, richtig viel Leute waren nicht da, diese aber sehr interessiert und vor allem auch sehr aufmerksam – wo hat man so etwas heutzutage noch, da draußen in der Welt.
Ich stelle den Vortrag in den nächsten Tagen auf meine Seite, erst einmal aber muß ich die Fahnen durchsehen, also den Erstsatz meines bald erscheinenden Buches, denn von nix kommt ja nix – oder so.
Ach ja, das mit der Wüste im Mund stimmt – muß eben bewässert werden.
Nachtrag: Hier der Vortrag!