Larifari oder: Vergessen und Genießen

Ich bleibe dabei: die beste Kunst entsteht immer dann, wenn ein Krieg unmittelbar vor der Tür steht. Oder aber in der Nachkriegszeit. Allerdings entsteht manches Kunstwerk eines Krieges wegen auch nicht, man denke nur an die vielen toten Dichter, die dem Ersten Weltkrieg auf allen Seiten zum Opfer fielen. Andererseits hat dann nachfolgend auch noch die Spanische Grippe ihre Opfer gefunden, wobei eines aber auffallen muss, dass nämlich eine Pandemie künstlerisch nie wirklich fruchtbar gemacht worden ist. Da will niemand ran, wie es scheint. Der Krieg gebiert Geschichten, die Pandemie gebiert Tote. So ist das. Immerhin aber kann aktuell der leisen Hoffnung Ausdruck verliehen werden, dass ein Dritter Weltkrieg nicht unmittelbar bevorstehen kann, sieht man sich nur die Larifari-Literatur an, die momentan von den großen Verlagshäusern auf den Markt gespült wird. Aber warum das wieder und wieder beklagen? Nun gut, Jon Fosse ist da eine Ausnahme, und zwar lange schon bevor der Bildungsbürgermob ihn entdeckte und ins Bücherregal versenkte, und neugierig wäre ich in der Tat auf Vatermal von Necati Öziri, aber 25 € sind mir zu viel und außerdem befürchte ich, dass die Lektorensippe den Roman marktgerecht homogenisiert und auf Linie gebracht hat. Am besten ist es immer noch, sich seine Romane selbst zu schreiben und sie dann so erfolgreich wie möglich wieder zu vergessen, um so, unter dem Vorwand der Überarbeitung, den Roman als den eines Fremden lesen zu können. Kann ich nur empfehlen! Ist zwar einerseits viel Arbeit, macht arm und versaut einem die Rente, andererseits aber eine doppelte Bereicherung, die der gemeine Literaturmarkt in dieser Weise nicht zu bieten hat. Jaja, gewieft muss man sein!

 

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Verschlagwortet mit , | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XVIII: Je mehr ich weiß …

Je mehr ich weiß, desto weniger will es mir gelingen, eine eindeutige, fixe Position zu gewinnen. So in etwa ging es mir mein Leben lang bei allen möglichen wichtigen und unwichtigen Angelegenheiten, am Ende ist man oft der Dumme oder der einzig Ausgegrenzte, der einzig Hinausgeschmissene. Man müsste, so ist zu lernen, eine Machtstellung gewinnen, damit einem zugehört wird, man ausreden darf, aber eben eine solche Machtposition verträgt sich meiner Ansicht nach eben nicht mit einer liberalen und unvoreingenommenen Herangehensweise. Ich stamme ursprünglich aus einem Milieu und einer Weltgegend (Kleinbürgertum und Ruhrgebiet), wo eine solche Haltung zu nichts führen kann, außer dazu, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Deswegen bin ich, der ich aus finanziellen und zeitlichen Gründen zurzeit nicht aktiv mittun kann, positiv überrascht über die Resolution der Mitgliederversammlung des PEN Berlin vom 15. Dezember 2023 mit dem programmatischen Titel Gegen gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb. Und weil es so selten ist, dass ich einem fremdverfassten Text vollends zustimme, hier die vollständige Resolution, veröffentlicht auf der Website des PEN Berlin:

Gegen gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb

Am 7. Oktober 2023 hat die Hamas mit ihrem Angriff auf Israel eine neue, besonders blutige Welle der Gewalt in Israel und Palästina ausgelöst. Ein friedliches und gerechtes Miteinander scheint derzeit in weiter Ferne.

Dieser Konflikt polarisiert Menschen weltweit, auch und gerade hier bei uns in Deutschland. Nicht bestritten werden kann, dass der Auslöser der aktuellen Eskalation der durch nichts zu rechtfertigende Terrorangriff der Hamas war. Das ändert nichts daran, dass der Konflikt verschiedene Gruppen unserer Gesellschaft auf unterschiedliche Weise berührt.

Sich entschlossen und unzweideutig gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in diesem Land einzusetzen, ist für uns alle essentiell und wichtig. Der Schutz vor Gewalt und Diskriminierung, der Schutz der Religions- und Meinungsfreiheit ist als Staatsauftrag im Grundgesetz verankert. Er darf nicht exklusiv formuliert werden. In früheren Jahrzehnten haben gerade jüdische Vertreter wie Ignatz Bubis diese universelle Verpflichtung auf die Würde aller Menschen immer betont. Unsere Sorge gilt zurzeit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Wohlergehen aller hier lebenden Menschen. Sozialer Frieden schützt am wirkungsvollsten vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also auch vor Antisemitismus.

Eine offene Gesellschaft muss es ertragen, dass es unterschiedliche Deutungen desselben Geschehens gibt, die unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse unvereinbar erscheinen. In Deutschland leben nicht nur gut 200.000 Jüdinnen und Juden, sondern etwa gleich viele Menschen palästinensischer Herkunft sowie Millionen Menschen mit muslimischem, arabischem oder nahöstlichem Hintergrund. Die Mehrheit dieser Menschen solidarisiert sich mit dem palästinensischen Anspruch auf Selbstbestimmung, aber nur eine Minderheit von ihnen sympathisiert mit terroristischer Gewalt.

So wie viele Jüdinnen und Juden um Angehörige in Israel trauern, so trauern viele Palästinenser derzeit um Angehörige im Gazastreifen oder sorgen sich um sie. Der Ausdruck dieser Gefühle ist legitim. Hassreden und Hetze oder die Verherrlichung von Gewalt müssen verurteilt und abgewehrt werden. Keinesfalls aber dürfen Trauernde gegen Trauernde, Wütende gegen Wütende, Verzweifelte gegen Verzweifelte gehetzt oder ausgespielt werden.

Für uns Schreibende ergibt sich daraus eine besondere Verpflichtung: Größtmögliche Toleranz gegenüber anderen Meinungen, Standpunkten und Perspektiven. Und besondere Sorgfalt in der eigenen Wortwahl. Das erfordert die Mäßigung, nicht jeder als falsch empfundenen Aussage, nicht jeder schiefen Formulierung sofort geharnischt entgegentreten zu wollen. Es erfordert, einzelne Worte nicht zu roten Linien zu machen, an denen sich angeblich Gut und Böse scheiden. Es erfordert die Geduld, zuzuhören und manchmal die Selbstbeherrschung, lieber nicht zu antworten. Ein friedliches Zusammenleben kann nicht gelingen ohne die Bereitschaft zur Toleranz. Demokratischer Dialog bedeutet, die Meinung des anderen für legitim zu halten, auch wenn man sie nicht teilt.

Zur offenen Gesellschaft gehört eine vielfältige Kunst- und Wissenschaftsszene, die auch Projekte und Forschungen zulässt, die nicht allen gefallen. Wir treten daher illiberalen Tendenzen im Kulturbetrieb entschieden entgegen. Meinungs- und Kunstfreiheit bedeuten dabei kein Recht auf Widerspruchsfreiheit; ein zivilisierter Dialog steht nicht im Widerspruch zu harter Kritik. Jedoch gibt es einen kategorialen Unterschied zwischen Kritisieren und Absagen. Theaterstücke, Ausstellungen und Konferenzen abzusagen, Literatur- und andere Preise abzuerkennen oder auszusetzen, beschädigt die Betroffenen und beendet jede Auseinandersetzung.

In diesem Sinne wollen wir als PEN Berlin uns auch in Zukunft für eine offene, faire, tolerante und angstfreie Debatte in diesem Land einsetzen. Wir wollen Verantwortung übernehmen für die Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens. Daher müssen wir gerade jetzt als Schreibende zusammenstehen und zusammen bleiben, trotz, nein, gerade wegen aller Unterschiede in Meinung und Perspektive. Der Terror zielt darauf ab, demokratische Gesellschaften in verfeindete Stämme zu spalten. Es liegt auch an uns, dieser Spaltkraft zu widerstehen.

 

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Verschlagwortet mit , | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XVII: Die Lektüre danach

Es gibt sie noch, die Bücher, die ich zum ersten Mal lese. Dieses Jahr etwa Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss, eines der besten Bücher, die ich je las. Dann aber, nach dem Ende der Lektüre die Frage, was nu‘? Nach dem ersten Teil und nach dem zweiten Teil des weissschen Buches hatte ich zwischendurch andere Romane gelesen, Flugasche von Monika Maron und noch einen anderen Roman, der mir jetzt aber nicht mehr einfallen will. Und nun also, um die obige Frage gleich mal zu beantworten, lese ich Der Fuchs war damals schon der Jäger von Herta Müller. Der Roman gefällt mir überhaupt nicht, aber ich werde ihn zuende lesen, denn dass es mir nicht gefallen kann, liegt hauptsächlich am bedrückenden Inhalt und nur gleichsam nebenbei an der Schreibweise, die Müller hier wählt, eine Art poetisierter Realismus, der mir nicht durchgehend zugänglich ist. Zugänglicher ist mir der Band Mein Vaterland war ein Apfelkern. Ein Gespräch mit Angelika Klammer, in dem Müller eindringlich die Verfolgung durch die Securitate beschreibt, der sie in Rumänien ausgesetzt war. Wie auch immer, noch bevor ich Müllers Roman beendet habe, lese ich nun schon, und zwar auch zum ersten Mal, Jakob der Lügner von Jurek Becker, und was ich nach wenigen Seiten sagen kann, ist, dass der Beginn des Romans, der Einstieg ins Geschehen, geradezu perfekt ist, ergo ich entsprechend erwarte, einen sehr guten Roman lesen zu dürfen. Jetzt kann man natürlich sagen, Becker schreibt eben gefälliger als Müller, allerdings kriecht das Grauen bei Becker dem Text aus allen Poren, eben weil der Text so einnehmend ist, während bei Müllers Roman der Text so spröde protokollpoetisch ist, dass man sich hineinzuarbeiten hat, weil der Text das fordert. Das Grauen will erarbeitet sein, ohne dass Tröstendes aufscheint, eben weil es in der damaligen Wirklichkeit Rumäniens unter Ceaușescu kaum Trost hat geben können, aber das trifft mit Sicherheit auch auf die Situation der Juden im Ghetto zu, die Becker beschreibt, während, um auf den Anfang zurückzukommen, in Peter Weiss‘ Ästhetik des Widerstands das Tröstende immerhin einen dünnen, mitunter kaum erkennbaren roten Faden ausmacht. So weit.

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Verschlagwortet mit , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XVI: Chinesen unter sich

Wie nur habe ich das angestellt? Nämlich, so vor zwei Jahren etwa während der Corona-Pandemie, Gedichte zu schreiben, und zwar viele, obgleich ich zuvor so gut wie nie Gedichte schrieb, gereimte Spaßgedichte mal ausgenommen. Ich hatte nämlich nie in meinem Leben als Schreibender und später dann als Schriftsteller den Eindruck, es nicht ebenso gut können zu können wie berühmt gewordene Zeitgenossen oder solche, die es hätten werden müssen ihrer Werke wegen. Beim Gedicht hingegen hatte ich Hemmungen, die aber, so weiß ich heute, rein auf Leseschwierigkeiten beruhten. Ich war zu sehr Prosaleser, Gedichte machten mich ungeduldig, ich drang nicht vor zu ihnen. Das nun ist anders jetzt, zumindest phasenweise. Und so schreibe ich auch phasenweise Gedichte, die ich dann nach einer Weile entweder ausreichend mag und in meine Sammlung nehme, oder eben nicht mag, dann werden sie ausgesondert, wenn auch nicht verworfen. Eines meiner neuesten Gedichte ist das folgende, und ich bin gespannt, ob ich es mögen werde.

Chinesen unter sich

Was gilt, so sagt der Chinese,

ein Chinese in China,

nichts, will ich sagen,

gilt ein Chinese in China,

sage es aber lieber nicht,

denn was weiß denn ich,

was so ein Chinese gilt,

in China oder sonstwo,

von China weiß ich nichts,

sage ich zu dem Chinesen,

und was gilt denn überhaupt,

ob nun China oder nicht,

ein Mensch,

frage ich zurück,

ernte aber nichts weiter

als ein chinesisches Lächeln

aus dem Land desselben.

 

 

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XV: Ich bin nie da, da bin ich nie!  

Wenn mich nicht alles täuscht, so findet dieser Tage wieder einmal diese Frankfurter Buchmesse statt, angefüllt mit allen möglichen Verlagsmenschen und allen möglichen Schriftstellern und natürlich den Massen an Schlachtenbummlern. Nur ich bin, obwohl Bücher von mir wahrscheinlich schon da sind, nie da. Die Zeit könnte ich mir nehmen, sicher, aber wer bezahlte mir die ganze Schohse und was brächte es überhaupt, wenn ich mir den ganzen Rabatz antäte? Womöglich träfe ich sogar Bekannte oder Freunde dort, ergo man an irgendeinem Stand herumstände, irgendeine Plörre Wein tränke, Hände schüttelte, dummes Zeug redete und sich wichtig fühlte. Wenn es wenigstens Bier gäbe an den Ständen der Verlage, statt immer nur Wein und Wodka und so’n Zeugs! Aber da sindse streng konservativ in ihren Verlagskreiseln, besoffen wird sich mit Wein und Hintergekipptem, da kennen die nix! Aber wie gesagt, ich bin nie da, da bin ich nie!

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Verschlagwortet mit | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XIV: Jon Fosse

Dieses Mal kein lächerlicher Bänkelsänger, kein Rechtsradikaler, kein Stellvertreter ganzer Erdteile, keine Regionalschriftstellerin, nein, dieses Mal haben die Herrschaften des Nobelpreiskomitees es zum Glück geschafft, einen echten Dichter und Schriftsteller mit dem Nobelpreis für Literatur zu ehren: Jon Fosse. Ärgern dürfte man sich beim Rowohlt Verlag in Reinbek, denn der auf Deutsch Heptalogie betitelte Roman Septologien ist leider noch nicht vollständig erschienen, während er in der englischen Übersetzung lange schon vorliegt – zurzeit muss man den dritten Band (A New Name – Septology VI-VII) auf Englisch lesen, will man den Roman beenden. Peinlich, peinlich, eine Bloßstellung sondergleichen! Hätte man denn nicht noch ein Jahr warten können! Aber egal, Jon Fosse ist nach Urzeiten endlich mal wieder ein würdiger Preisträger. Hauptsache! Das wohlhabende bürgerliche Lesepublikum (die Rowohlt-Hardcover sind schwer überteuert) wird sich natürlich jetzt wie immer eindecken mit der neuesten Nobelpreisware, wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass Jon Fosse viele neue Leser hinzugewinnt, denn dafür ist, so schlicht seine Prosa und seine Arbeiten für die Bühne zunächst erscheinen mögen, sein Werk zu anspruchsvoll, zu schwierig, zu tiefgreifend, zu melancholisch – und wenn der Bürgerliche etwas nicht aushält, dann das! Egal.

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Verschlagwortet mit , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XIII: Unfassbar!

Ich fasse es nicht! Und zwar wortwörtlich genommen, denn in der Tat rinnt mir zurzeit alles, was ich schreibe, wie Wasser durch die Finger. Schlimm? Nee, gut so, denn aus diesem Umstand ist Fassbares geworden, nämlich die Wiederaufnahme meiner bildnerischen Tätigkeit, die seit über zwanzig Jahren weitgehend ruht. Was daraus werden wird? Keine Ahnung, ich sichte erst einmal und stelle den Fokus auf Materielles, auf Kleinteile, Schnipsel und so weiter, so wie ich während der Pandemiezeit den Fokus auf Gedicht und auf Poesie gestellt habe. Das funktioniert immer. Apropos Poesie: da war doch was!

Norbert W. Schlinkert. Poesie (1996)

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XII: Lassen oder Nichtlassen

Aber Du schreibst doch noch, so fragte mich vor einer ganzen Weile der Verleger Ingo Držečnik, worauf ich mit einem Ja, klar antwortete. Wie ich auf diese Frage bisher ohnehin immer mit einem Ja geantwortet habe, vielleicht weil das aufatmende Goutieren so etwas wie Anteilnahme ausdrückte und zugleich eine Erleichterung zeigte, zur Deinstallation des Schriftstellers Norbert W. Schlinkert augenscheinlich nichts beigetragen zu haben – denn wenn er, so denkt sich das so ein Verleger, trotz meiner Absage und der vielen vielen anderen Absagen, die doch ein Schriftsteller dieser Kategorie erhalten muss, immer noch schreibt, so bin ich als Verleger erstens nicht schuld an was auch immer und außerdem dürfte das Weiterschreiben ja auch, zweitens, wenigstens keinen Schaden anrichten. Alles gut also, sage ich, denn eben dies will ich als Schriftsteller ja nun auch überhaupt gar nicht, nämlich Schaden anrichten, wir uns also einig sind, auch wenn ich diese Frage jetzt nicht mehr mit einem Ja, klar, sondern mit einem Ja, aber beantworte.

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen XI: Nichts is‘ nich‘

Es ist ja keineswegs so, dass sich etwas aus dem Nichts schaffen ließe. Das mutmaßlich von Hegel, Schelling und Hölderlin stammende sogenannte Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus behauptet das zwar einerseits sehr schön, andererseits stimmt es nicht. Auf der Website des PEN BERLIN las ich soeben den Nachruf auf Sibylle Lewitscharoff, in dem auch ihre komplexe Familiengeschichte erwähnt ist, was ja immer einschneidende Ereignisse meint, die direkt oder indirekt mit geschichtlichen Geschehnissen zusammenhängen. So etwas findet sich bei den allermeisten bedeutenden Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die Werkerschaffung aus einem innigen Nichts, aus einem Gewust von Gekränktsein oder Anderssein ist die Ausnahme, so scheint mir. Oder sollte es womöglich so sein, dass das Interesse an mit Kollektiverfahrung verwobener Literatur einfach ungleich größer ist? Ergo auf fruchtbareren Boden fällt und so besser vermittelt werden kann? Oder sind diese Fragen überflüssig und können weg? Ich weiß es doch auch nicht!

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Hinterlasse einen Kommentar

Miniaturen X: Das forcierte Schreiben, das sich zugleich der vorhandenen Sprache vermählt

Nicht nur die Frage, was sich schreiben lässt, treibt mich um, sondern auch, wie es sich schreiben lässt – oder ließe. Aktuelles der Kollegen und Kolleginnen ist mir zurzeit wenig zugänglich, das mag an mir liegen, an der Qualität der Schriften, an meiner immer auch von Zufällen bestimmten Auswahl, was auch immer. Ausnahmen gibt es. Allerdings besteht meine Lektüre seit einiger Zeit schon ganz wesentlich aus der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, Jahnn, Koeppen, Nossack, Weiss, Reimann, Bernhard usw., vor allem Weissens Die Ästhetik des Widerstands treibt mich zurzeit um, nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch die Frage betreffend, wie mit der deutschen Sprache umzugehen sei, ästhetisch umzugehen sei. Weiss ist bezüglich dessen das beste Beispiel für eine Spannbreite, die sich selten bei Autoren findet, denn sein Das Gespräch der drei Gehenden von 1963 ist sprachlich und inhaltlich etwa kaum zu vergleichen mit seinen Dramen oder besonders der Ästhetik des Widerstands, obgleich er weder hier noch da etwas erkünstelt oder erzwingt. Dabei ist immer, bei aller Quälerei um den Ausdruck und die Textgestalt, zu berücksichtigen, dass die Sprache dem Schreibenden per se voraus ist, sein muss, es also auch immer um die Frage geht, wohin einen die Sprache führt, mitnimmt, obleich der Autor ja zugleich etwas völlig Neues schreibt. Einem Jon Fosse etwa scheint in seinem Norwegisch eben dies, das forcierte Schreiben, das sich zugleich der vorhandenen Sprache vermählt, wunderbar zu gelingen, vor allem in seinem Roman Septologien. Auch Knut Hamsun war in dieser Disziplin ein Meister. Wie aber gelingt dies? Wie ist die Schönheit der (deutschen) Sprache mit jedwedem Inhalt kompromisslos in Einklang zu bringen? Viele Autoren scheinen sich darum wenig oder nicht zu kümmern, entweder weil sie sprachlich beschränkt sind oder weil sie Herr der Sprache zu sein glauben – beides führt zu unerquicklichen Ergebnissen, bestenfalls zu glanzvollem Mittelmaß. Was also tun, rufe ich mir zu, um überhaupt noch schreiben zu können? Ich werde noch drauf kommen, glauben Sie mir!

Veröffentlicht unter NACHRICHTEN aus den PRENZLAUER BERGEN! | Hinterlasse einen Kommentar