Zettelei

Gestern kam ich auf die glorreiche Idee, meine Bücherwand neu zu ordnen und nach Möglichkeit überflüssigen Ballast loszuwerden. Zehn, fünfzehn Bücher kommen da immer zusammen, so auch gestern, die ich dann Oxfam spende oder in den Hofdurchgang stelle. Komischerweise wirkt plötzlich die ganze Wohnung viel strukturierter, obwohl ich sonst nichts verändert habe. Die ganze Angelegenheit hat jedenfalls insgesamt so etwa sieben Stunden gedauert, wovon sicher eine draufging für das Klebezettelrausklauben bzw. das Klebezettel-vorne-ins-Buch-Kleben, wenn sie denn, die Zettel, beschriftet und mit Seitenzahl versehen waren. Nur in einem Buch ließ ich die Zettel drin, nämlich in diesem hier abgebildeten:

Klossowskis Zettel, Norbert W. Schlinkert

Das liegt daran, daß ich Nietzsche und der Circulus vitiosus deus einmal vor etwa zehn oder elf oder zwölf Jahren, was weiß denn ich, während der sommerlichen Semesterferien durcharbeitete, mit der nicht unerheblichen Folge, von Klossowski, mehr als von jedem anderen, die Freiheit des (wissenschaftlichen) Denkens und Schreibens gelernt zu haben, einfach durch’s Lesen! – also bleiben die Zettel drin! Eigentlich habe ich sogar erst damals mit dieser Zettelei begonnen, denn ich wollte in ein so schönes und sauteures Buch einfach nicht hineinkritzeln, während ich seitdem in dutzende von Büchern nicht nur registerartige Einträge in rot hineingeschrieben habe, das mache ich seit Jahrzehnten, sondern sie nun meist auch noch mit beschriebenen Zetteln befrachte – diese mußten, wie gesagt, also raus aus fast allen Büchern, die fressen nämlich Papier, um vorne und nötigenfalls auch hinten ins Buch eingeklebt zu werden. Beim Wiederbearbeiten oder einfach beim Wiederlesen geht nichts über diese Art von Register! Ein Buch ist eben wie eine Hobelbank, denn die will auch aufgeräumt sein. Am Ende war ich dann zufrieden mit meiner Arbeit, trank ein Bier und machte noch ein Gruppenfoto mit dem Klossowski-Buch, aber, da ich nunmal sehr bescheiden bin, ohne mich:

Bücher, die mit mir arbeiten, Norbert W. Schlinkert

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6 Antworten auf Zettelei

  1. bersarin sagt:

    Nein. Ich kann eine Bibliothek nicht ausmisten wie die Ställe des Augias (es wäre bei mir eine ähnliche Arbeit), ich wüßte nicht, was bleiben und was verschwinden soll. Ich gehe die Bücher in den Regalen manchmal durch – auch die schlechten –, sehe die Titel, erinnere mich an die Lesesituation bei ganz besonderen Büchern, zu anderen fällt mir nichts mehr ein. Es sind dies spannende Assoziationsmomente inmitten der Nacht. Aber dennoch: alle diese Bücher bleiben; selbst Helene Hegemann, die zwei Bücher von Ch. Bukowski und von Norbert Bolz. Ach, im Gegenteil: es kommen immer mehr Bücher hinzu. Heute beim Lesen eines Textes zur mittelalterlichen Philosophie lese ich in der Literaturangabe: Peter Brown: Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit im frühen Christentum. Klingt interessant: Kaufen, den Kauf aufschieben, gar nicht kaufen, ausleihen? Es kostet ja nur 39,- EUR. Anruf beim Buchhändler Und zack: es ist bestellt.

    Und so vergrößert sich die Bibliothek, und irgendwann wird die Konstruktion des Altbaus versagen. Das sind die Momente, in denen der Materialismus den Idealismus überholt und die Realität ins Denken, geradezu in den Körper einfährt. Sollte irgendwann aus dem Westen Berlins die Nachricht vom einstürzenden Altbau zu ihnen durchdringen: dann bin ich es, der darunter begraben liebt. Ein wenig wie Peter Kien in „Die Blendung“. Nur war es dort das Feuer.

    Die Zetteleien und Verzettelungen, auch die Unterstreichungen – wenngleich bei mir nicht mit Leuchtstift gezogen – kenne ich gut. Im Grunde müßte man solche durchgezettelten Bücher zweimal haben. Einmal vorne positioniert, für den feinen Anblick: das Buch ohne Zettel; und dann dahinter das alte, verfledderte, zerlesene Exemplar, das ausschaut, als besäße man für sein Papier keinen Papierkorb.

    [Was ist das oben im Bild eigentlich für eine rote Schlinge in Sensenform? Es kommet ein Schnitter, der heißt Buchtod …]

  2. Sie haben ganz recht: eigentlich kann man so was nicht machen, aber ich habe es immer wieder getan. Bücher, die ich nie wieder lesen werde, werden dann eben verschenkt – in den Hofdurchgang gestellt oder zu Oxfam gebracht –, beschmierte und ganz schlechte Bücher kommen in die Tonne. Ich gebe alles zu, mea culpa. Allerdings sondere ich meist veraltete Nachschlagewerke aus, die das Internetangebot überholt hat, oder auch Doubletten, die ich mir (meist während des Studiums) tatsächlich mal angeschafft habe, um in und mit ihnen arbeiten zu können – obwohl ich den Text schon hatte, allerdings eben in wunderschönen Büchern steckend. Einige durchzettelte und rotbeschriebene und gelbmarkierte Bücher habe ich allerdings wirklich doppelt, meist als Taschenbuch und als gebundene Leseausgabe, Werfels „Stern der Ungeborenen“ zum Beispiel. Im Moment stecke ich da aber ziemlich in der Klemme, weil ich den wunderbaren, allein schon sprachlich herausragenden Roman „ÄRGERT DICH DEIN RECHTES AUGE“ (1957) von Heinrich Schirmbeck in einer schönen Neuausgabe lese, ein Panoptikum der Nachkriegszeit mit so vielen Bezügen allein zu Philosophie und Religions- und Kulturgeschichte, daß ich mich schwer beherrschen muß, beim Erstlesen den Stift wegzulassen. [Zu Schirmbeck schrieb ich ganz kurz schon was, nämlich hier >>>] Möglicherweise muß ich mir das Buch noch mal anschaffen – Platz habe ich ja jetzt im Regal!

    Noch zu sagen ist aber, daß ich auch dazu neige, selbst von Autoren, von denen ich viel gelesen habe (Laxness, Döblin), die Bücher zu verschenken, die mir nicht zusagen, damit sie es woanders besser haben und einen Leser finden – wenn ich darüber nachdenke, finde ich diesen Ansatz eigentlich gar nicht so schlecht, denn auch ich habe zum Beispiel bei Oxfam schon superpreiswerte Bücher gefunden, die sich als wahre Geschenke erwiesen. Naja, wahrscheinlich gibt es gute Argumente für das eine wie das andere.

    Die rote Schlinge ist übrigens ein zufällig so hingelittenes Lesebändchen eines Nicht-Suhrkamp-Buches – was es uns damit sagen will, ist mir allerdings nicht ganz klar, wenn es auch tatsächlich wie eine Sense daherkommt!

  3. bersarin sagt:

    Sie haben schon recht: es handelt sich um zwei verschiedene Weisen, mit Büchern umzugehen. Ihre hat sicherlich etwas für sich. Aber ich kann kein Buch weggeben, selbst wenn ich wollte, ich habe da schon oft drüber nachsinniert, und ich denke mir immer: Wer weiß, wozu ich es noch einmal werde brauchen können. Immer wenn ich es herausziehe, spricht diese Stimme: „Ach, eigentlich war das Buch doch gar nicht sooo schlecht!“ Was würden Sie da tun? Mit Ihren eigenen Stimmen streiten? Hinterher, wenn das Buch weg ist, vor Reue Riesling trinken und mit der Entscheidung hadern?
    __________

    Ich schrieb oben: „… der darunter begraben liebt.“ Das klingt sehr poetisch und könnte in gewissem Sinne sogar zu meinem Liebeshabitus passen. Die Realität ist in diesem Falle jedoch härter: es hätte heißen müssen: „liegt“. Und das „ihnen“ hätte als „Ihnen“ geschrieben werden müssen.

    Die rote Schlinge ist dann das Orakelzeichen für Ulla Berkéwicz. Oder für Barlach.

  4. In der Tat habe ich es schon mal bereut, ein Buch weggegeben zu haben, auch wenn ich es, wäre es noch vorhanden gewesen, vielleicht nicht einmal beachtet hätte. Eigentlich aber bin ich der Typ Leser, der ein Buch wirklich für immer haben will, auch wenn die Aussortieraktionen dagegen sprechen, denn als ich vor Jahren einmal (wegen meiner andauernden und sich seit Jahren nach und nach verschärfenden Finanzkrise) mir ein Buch in der Bibliothek auslieh und es las, mußte ich es am Ende dann doch neu kaufen, und so steht nun „Ein Leben“ von Italo Svevo ungelesen-gelesen im Bücherregal. Auch kein schöner Zustand!

  5. derdilettant sagt:

    Ich hatte zu Schulzeiten eine Deutschlehrerin, die jedes Buch in dreifacher Ausfertigung besaß (behauptete sie jedenfalls) Ein „schönes“ Exemplar für den Bücherschrank (der zog sich durch das Haus drei Stockwerke hoch, ich hab’s gesehen), eins für die private Lektüre und eins für den Schulgebrauch mit verschiedenfarbigen Anstreichungen. Na ja, durch den Schuldienst hatte sie das dafür nötige Einkommen nicht erzielt. Ich selber kenne das Dilemma: das Buch mit Stift „durcharbeiten“ oder als tast- und riechbares Objekt in seiner unberührten Schönheit wertschätzen. Hab mir daher seit einiger Zeit angewöhnt, Zitate und Anmerkungen parallel in Notitzbücher zu schreiben. Funktioniert prima und hat den Vorteil, die Notizen behalten zu können, selbst wenn man das Buch weggibt.

  6. Leider machen mich Notizbücher kirre, obwohl ich in sie Ideen hineinschreibe, sonst wäre das eine gute Alternative zum Buchbesudeln. Witzigerweise haben sich aber einige Bücher, die ich nur mit gelbem Marker bearbeitete, über die Jahre selbst wieder gereinigt, obwohl sie zugeklappt im Regal standen – das Buch selbst will also sauber sein. Schreibe ich aber mit rotem oder grünem Fineliner rein, hat das Buch keine Chance, während ich beim Nochmallesen oder Nochmalbearbeiten prima Gedankenwegweiser vorfinde, wenn auch manch genialer Eintrag von annodazumal nicht mehr entzifferbar ist oder ich ihn einfach nicht begreife und so nicht erkenne, was ich mir damit hab sagen wollen. Egal wie man’s macht, macht man’s falsch, scheint mir.

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