What the fuck ist ein Gedicht!?

Die Wanderpuppe, Norbert W. Schlinkert

Ein großer Dichter, Seamus Heaney, ist gestorben. Da man Gedichte nicht in andere Sprachen übersetzen kann, muß ich Heaneys Gedichte im Original lesen und hören. Das ist, obgleich ich nur mit einem unsoliden Schulenglisch ausgestattet bin, leichter als ich dachte, denn entgeht mir auch manche Bedeutung, so tut sich mir eben auch die ein oder andere auf, die ungemeint sich hineinstiehlt, so wie man einen Stiel durch ein Fenster in einen Raum hineinsteckt, der dann vermeintlich alles kaputtmacht, denn der Stil des Raums verträgt keinen Stiel. Das ist natürlich Blödsinn und hat mit Gedichten nichts zu tun, Kalauerfeinde wetzen sicher bereits ihre Zähne, doch das macht nichts, man hat schon, sobald mir die Sprache durchgeht, kübelweise Häme über mir und mich ausgegossen und tut es noch, womöglich weil manch einer denkt, ich merke es nicht. Also, was ist ein Gedicht? Die Bekleidung eines nackten Eindrucks, eines Gefühls, von fast Nichtgeschehenem mit und als Sprache, denkbar knapp vorbei am Wortlosen? Fast schon Musik? Oder doch eher eine Entkleidung, ein Abwerfen von Ballast? Sicher ist, denke ich, daß ein Gedicht genau so viele Worte und Zeichen enthält, wie es von Natur aus braucht, und natürlich auch die genau richtigen – ich erinnere mich noch an die Zeit, wo Gedichte mit singulären schweren Worten, die singulär anklagen, ziemlich oft als „Betroffenheitslyrik“ gebrandmarkt wurden, nicht selten zurecht, wenn denn alles auf private Rechnung ging. Den Schritt, den Flügelschlag zur Leichtigkeit der Poesie schaffen nicht viele, denn behängt man einen kleinen feinen Moment mit einem zu schweren Wort, kracht er zu Boden und zerspringt. Also, was ist ein Gedicht? Ich habe keine Ahnung! Wahrscheinlich ist es nichts weiter als das Ergebnis des vorsätzlichen Versuchs, eine Geschichte genau so zu erzählen, wie sie es verdient hat, und sei es so kurz wie möglich und so lang wie nötig – wenngleich man so auch das Wesen des Romans charakterisieren könnte. Wahrscheinlich ist die Frage auch falsch gestellt, denn eigentlich müßte sie heißen: what the fuck ist ein gelungenes Gedicht? Na also! (Das oben ist übrigens ein Foto, dem ein Gedicht oder eine kleine Geschichte oder gleich ein ganzer Roman innewohnt.) 

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4 Antworten auf What the fuck ist ein Gedicht!?

  1. Der Emil sagt:

    In den letzten Sonnenstrahlen
    Unter der Bank liegt die Erdbeere.
    Unaufgegessen. Die Puppe: Vergessen

    (Ein 28er)

  2. Die Puppe ist tatsächlich nicht nur ein Mal vergessen worden, sondern liegt schon den ganzen Sommer (siehe das Foto zu einem früheren Beitrag) mal hier und da im Hof: eine Wanderpuppe eben.

  3. Otto sagt:

    Original ist immer besser, aber ich hab schon seit langem ein gedichtbändchen von ihm, ein grandioser Dichter, auch wenn
    man nur die Übersetzung lesen kann

    http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-19714-5

  4. Bei englischsprachigen Gedichten probier ich es eben lieber im Original, bin aber natürlich manchmal auch froh, wenn ich eine gute Übersetzung zuhilfe nehmen kann. (Mit Grausen denke ich aber an die Übersetzungs-„Leistung“ von Eva Hesse, die sich zumindest an den englischsprachigen Beckett-Gedichten vergangen hat.) Bei anderen Sprachen bleibt mir nichts anderes übrig, als Vertrauen in die Übersetzer zu haben.

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