Träschsch ist ein alter Text, ein Extrakt aus Der Bildermacher, begonnen 1996 und seitdem in Arbeit, in progress. Ganz anders etwa als Stadt, Angst, Schweigen ist Träschsch aber kein „Fließtext“ wie eben jener, sondern ein gleichsam atemloser, ein in unruhigem Wechsel rhythmisierter Text, ein Gebilde mit Brüchen und Rissen, ein Ich, das schreibt.
Sie betraten das Grundstück. Emma, die Waffe in der Hand, voraus. Nichts war zu hören, nicht mal Vögel. „Emma“, flüsterte Arthur, als sie eben dabei waren, in die Ruine zu klettern, „bleiben Sie stehen, dort vorne, im Gras, liegt etwas.“ Etwas Glänzendes, dunkelrot glänzendes. Es blickte sie an, das spürten beide genau. Vorsichtig gingen sie darauf zu. „Ein Reh“, flüsterte Emma, „unglaublich!“ Jetzt auch erkannte Arthur es als Reh. Es lag auf der Seite und atmete schwer. Warum war es nicht geflohen? Rehe sind sehr scheu. Eine Verletzung war nicht auszumachen. Eine ganze Weile standen Arthur und Emma dort, nur wenige Meter entfernt von dem Tier und betrachteten es, das seinerseits sie anblickte, mit dem linken Auge. Dann aber hob es plötzlich ein wenig den Kopf, schüttelte sich, es wirkte wie ein Zittern, und stand auf, mit einer einzigen, gleichmäßigen Bewegung. Doch statt fortzulaufen tat es nun einen Schritt auf sie zu, auf Arthur und Emma. Arthur zog scharf die Luft ein. Emma hob die Pistole ein wenig höher. Das Reh tat noch einen Schritt. Niemand kann Angst vor einem Reh haben, dachte Arthur, schon alleine deswegen nicht, weil Rehe Angst, eine Scheu vor Menschen haben. Doch hier, an der Ruine des Hauses, in dem Arthur mit Anna lange gelebt hatte und in der wahrscheinlich noch diese Leiche lag, die des Finnen, hatte dieses Reh etwas Furchteinflößendes. Arthur spürte, wie Emma leicht zusammenzuckte, als es sich noch einen weiteren Schritt auf sie zu bewegte. Es blickte so, wie Rehe nun einmal blicken, harmlos, doch mit zwei, drei Schritten wird das Tier direkt vor uns stehen, dachte Arthur. Er hatte kurz die Vision eines ihn zerfleischenden Rehs.
Lange Zeit geschah nichts. Sie standen sich gegenüber, Arthur, Emma und das Reh. Es dämmerte bereits. So etwas konnte doch überhaupt nicht sein, dachte Emma, niemals würde jemand auf die Idee kommen, so etwas zu beschreiben, niemals wird es einen Film geben mit einer solchen Szene! Immer noch hielt sie die Waffe schussbereit in der Hand. Arthur schmerzten schon die Augen, so sehr starrte er auf diesen Körper dort, diesen nun mattschwarzen Schatten mit den glänzenden Punkten der scheuen Augen. Dann aber passierte etwas, mit dem sie am allerwenigsten gerechnet hätten. Einige Meter hinter dem Reh, jetzt bereits in tiefer Dunkelheit, glühte ein rotes Pünktchen auf, sie hörten ein Schnalzen, das Reh wandte sich um und lief staksig auf den roten Punkt zu. Es blieb dort stehen, das war deutlich zu spüren, zu sehen aber war nichts mehr. Nur der rotglühende Punkt in der Dunkelheit, mal schwach glühend, mal aufglühend. „Unglaublich, nicht wahr?“, sagte dann plötzlich eine Stimme, eine männliche Stimme, leise und bestimmt. Dann Stille. Stille. Weder Arthur noch Emma wagten, sich zu rühren. Nach einer schier endlos scheinenden Zeitspanne, in der nur dieser Punkt manchmal noch aufglühte, sprach die Stimme weiter. „Wie ich sehe“, sagte sie, „sind Sie auf der richtigen Spur. Sie werden hier aber weder den Ursprungstext noch eine Leiche finden. Dieser Leo glaubt allen Ernstes, er habe einen Menschen umgebracht. Aus Liebe, glaubt er. Er wird fliehen. Er wird zu leiden haben. Doch das gehört zum Plan. Aber das ist von geringer Bedeutung, denn es bringt uns dem Auffinden des verlorenen Textes nicht näher. Suchen Sie ihn weiter! Der letzte Bus fährt in zwanzig Minuten. Sie sollten sich beeilen, er wartet nicht. Oder wollen Sie hier übernachten?“ Der Punkt erlosch. Arthur und Emma fassten sich an den Händen und verließen langsam und vorsichtig das Grundstück. Auf der Straße gingen sie zügiger. Der Bus, der kurz nach ihnen die Haltestelle erreichte, erschien ihnen wie ein riesiges Insekt, das nur darauf wartete, sie zu verschlingen, was es dann auch tat. Nur weg von hier!