Falschannahmen, Hinzufügungen und am Ende immer der selbe Mist

Nun, da ich meinen historischen Roman Ankerlichten oder: Des Herrn Daubenfußes Rache für die Öffentlichkeit kostenlos eben dieser übergeben habe, für mich sind die Kosten allerdings immens, das kann ich Ihnen flüstern, stehen mir alle Möglichkeiten des Literarischen wieder offen. Allzusehr hatte ich mich zu der Ansicht versteift, ein ans große Lesepublikum gerichteter Roman müsse doch – verdammt noch mal! – eben dieses Publikum auch erreichen, was sich nun allerdings endgültig als Falschannahme erwiesen hat. Wahrscheinlich war es ohnehin ein Fehler gewesen, angesichts deutscher Verlagswirklich- und widrigkeiten, diesen Roman überhaupt zu schreiben, während es andererseits, und nur darauf kommt es an, selbstverständlich kein Fehler war, denn der Welt Kunst hinzuzufügen ist immer richtig, mögen nun die Zeiten einer Veröffentlichung günstig sein oder nicht. So wird also mein neuer Roman, letzten November begonnen, ganz wie zu Beginn meines Schreibens vor vierzig Jahren ohne Hoffnung auf die Veröffentlichung auf dem großen Markt der Literatur entstehen, während ich zugleich, wann immer möglich, an Literaturwettbewerben teilnehme, an denen nur anonym teilzunehmen ist – eine begrüßenswerte Tendenz, dieses anonyme Bewerben, denn so ist es plötzlich nicht mehr falsch, einfach so zu sein, wie man ist. Das Werk zählt. Die eine Ausnahme, das Stipendium des Berliner Senats*, werde ich allerdings machen müssen, denn da habe ich mich schon so oft beworben, dass eine Nichtteilnahme sicher auffallen würde. In diesem Sinne, so long!

* Am Ende wird es dann wieder, steht zu befürchten, so sein ===>

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20 Antworten auf Falschannahmen, Hinzufügungen und am Ende immer der selbe Mist

  1. Guten Abend!

    Vor einigen Tagen habe ich einen Roman, veröffentlicht, obwohl nicht reif dazu, entkräftet beiseite gelegt; mich erfasst bei solchen Werken eine unbezwingbare Kommentierwut, die mir in den Bleistift fließt, die Seiten nicht schöner macht, und dem Verfasser samt Verlag und angeblichem „Lektorat“ nichts nutzt.
    Ich hatte geahnt, was mich erwartet, war nicht mal Klappentext und blankpolierter Leseprobe erlegen, auf Cover achte ich schon lange nicht mehr, die sind mir allenfalls verdächtig – all das braucht es nicht, um an einen Roman zu geraten, der mich nicht anspricht, der mich ärgert gar, es gibt davon so viele.
    Von Herzen wünschte ich mir ein Werk „wie früher“, als Cover noch aus Leineneinband, Titel, Name bestanden, drinnen verlässlich Unterhaltung. Geschrieben von einem Menschen, der sich wie ich unablässig zwecks Verbesserung müht, das Ganze dann wie ich – da kam mir ein Gedanke.
    Mit Google forschte ich nach Varianten von „Onlineroman“, doch Google gibt sich neuerdings gern als Verhehlmaschine. Vor einiger Zeit erhaltene Treffer konnte ich nicht wiederfinden, auch nicht Werke, von deren Onlineexistenz ich wusste. Vermutlich „meinen Roman online gestellt“ hat mir mit andrem Suchgerät fünf aussagekräftige Treffer gebracht, vier davon zum Wegklicken, mittendrin ‚Ankerlichten‘.
    Seitdem schmerzt mein Nacken vom Lesen, das Gesicht gen Schirm gereckt. Seit einiger Zeit lasse ich das Brilletragen und heile stattdessen mein Sehvermögen, das kann dauern nach vierzig+ Jahren hinter Glas, genauer: Kunststoff. Kunst und Glas bringen mich auf die schöne Klarheit in ‚Ankerlichten‘. Da stand mein Wunsch online. Hab nur Teile genossen, mir das Übrige aufgespart, auch dem Nacken zuliebe.
    Erst habe ich nicht zu kommentieren gewagt, weil dieser Fund jenseits meines Können liegt. Da maße ich mir an, andrer Leute Romane mit zornigen Anmerkungen zu versehen, es schreibt doch ein jeder, so gut er kann, bei mir hapert es am Straffen der Handlung, gewisslich nebst anderem. ‚Ankerlichten‘ hat mir den Kopf zurechtgerückt, danke dafür.
    Später habe ich eine Kritik am oben genannten, nicht zur Veröffentlichung gereiften Roman entdeckt, kurz und garniert mit zwei heftigen Schreibfehlern, und doch brachte sie die Mängel gut auf den Punkt, standfest im umgebenden Lobgehudel.
    Das machte mir den zu weit geruckten Kopf wieder frei, vorm Können anderer muss ich mich nicht fürchten. Nun denn, ein treuer Leser der Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen bin ich nicht, weiß nicht, ob ich’s werde, aber den angedachten Privatdruck würde auch ich gern erwerben. Werden Sie ihn umsetzen?

    Guten Abend nochmal,
    EMR

  2. EMR sagt:

    Nachtrag: Hier das ’s‘, das dem ‚Können‘ fehlt, und ein Herrje! zur Blogtechnik. Ich wusste nicht, dass unter „Neueste Kommentare“ mein voller Name anklickbar mit Website erscheinen würde, nun sieht das aus wie Schleichwerbung. Wie ungehörig, Sie dürfen das gern entfernen oder den Kommentar löschen.

  3. Für die (eigene) Kunst die Reklametrommel zu rühren, ist nicht nur nicht falsch, sondern vollkommen richtig!

  4. EMR sagt:

    Habe Ihren Hinweis einwirken lassen, er brachte Erkenntnis: Als ehemaliger WordPressblogger konnte ich diesen Bock schießen, weil die Trommel noch in mir sitzt. So hilft uns Technik, durch Zeigen. Das Lehrstück habe ich gestern abend nicht begriffen, daher das Einknicken in Kommentar zwei. Fazit: Leben ist schön.

    Betreffs ‚Ankerlichten‘, ich verweigere mich dem Smartphone, aber auch der Alterskurzsichtigkeit. Für die Lektüre baue ich das feature phone um.

  5. Ich für meinen Teil wähle, um am Bildschirm lesen zu können, die Funktion ‚Leseansicht öffnen‘ (bei Firefox), das ist dann schon angenehmer. Zudem kann man den Text dann auch noch als PDF speichern, dann wird’s noch besser. Ob ich, so ja Ihre Frage, Ankerlichten als Privatdruck herausbringe, steht noch in den Sternen – eher aber nicht, denn ich hoffe weiterhin auf einen mutigen Verleger dort draußen in den Weiten der Literaturlandschaft.

  6. EMR sagt:

    „Altersweitsichtigkeit“ sollte es heißen. Danke für die Empfehlung der Leseansicht. Hätte ich nie gefunden, denn Opera bietet sie nur an, wenn die Adresszeile nicht zu lang ist. Beim Romanposting ist das der Fall, gerade dort habe ich nicht darauf geachtet. Was es alles gibt!

    Für das Nokia 6400, Betriebssystem KaiOS, ist das Webdesign Ihres Blogs nicht responsiv. Am 3,5 mal 5 Zentimeter großen Bildschirm muss ich die Schrift auf unter einen Millimeter verkleinern, um den Text vollständig zu sehen. Ich kann das lesen, bei wechselnder Sehstärke nehme ich Buchstaben je Auge mehrfach wahr. Da geht winzig und dicht vorm Gesicht besser als riesig, aber es ist anstrengend auf Dauer.
    Meine Website passt sich auch dem Nokia an (bin kein Programmierer, habe ein gemeinfreies Template umgearbeitet). Aus Neugier habe ich mit Opera, Firefox und Edge und den jeweiligen Entwicklertools Ihr Weblog getestet. Edge schafft die Anpassung bis zu einer Breite von 170, Firefox gibt schon unterhalb von 400 Pixeln auf, Opera schafft es gar nicht. Womöglich nicht von Interesse, wenige Menschen werden sich mobil mit so kleinem Bildschirm begnügen.

    Für mich wars spannend, denn beim Testen bin ich auf den kaltlächelnden Wächter getroffen. Da schau her. Oben steht zu lesen, Sie seien befreit durch das Onlinestellen von ‚Ankerlichten‘. Das klingt gut. Ist aber einige Monate her.
    Ich habe cirka 2015 mit Vehemenz versucht, mich der eigenen Werke zu entledigen, mit Löschen, Festplatte formatieren, dreifach überschreiben, Umstieg von Windows auf Linux, von Word auf LibreOffice Writer, plus neues Notebook.
    Hat nicht geklappt. Ich hatte das Notebook behalten, zwei Jahre später war der Großteil wiederhergestellt.
    Ihrer Antwort oben entnahm ich, auch Sie sind noch nicht frei. Und dann sah ich den Wächter. Sie wissen, dass er in Ihnen selbst wacht? Lächeln kann er schon, geben Sie ihm Wärme.

    Betreffs des Lesens, wie so oft habe ich eine Zeitlang gebraucht, um auf das Naheliegende zu kommen: Für die Lektüre nutze ich die Leseansicht und setze die Brille (!) auf. Sie existiert noch, nur die Nasenstege fehlen.

  7. Nun ja, das Löschen eigener Schriften funktioniert zwar technisch auf einfache Weise, nicht aber im Kopf. Meinen Roman Scheerbart / Hologramm, der aber hier nicht mehr online steht, hatte ich tatsächlich schon einmal gelöscht, dann aber wieder aus dem Backup gerettet und noch einmal überarbeitet. Das Vergessen wollte nicht gelingen, das muss man dann akzeptieren. Andererseits finde ich nicht selten (alte) Texte, auch auf meiner Website, die ich nicht als meine eigenen erkennen würde, legte man sie mir ohne weitere Hinweise vor.

  8. EMR sagt:

    Nach den gestrigen Allotria habe ich heute stracks zu lesen begonnen, auf dem Telefon, ohne Brille. Ging wunderbar, der Inhalt hebt das Mittel. Hätte ich das vor einigen Jahren erkannt, ich hätte nicht all die zumeist antiquarisch erworbenen Werke samt den selbstgebauten Regalen verschenkt. Beides roch auf seine Weise. (Die Klassiker glaubte ich mir sicher auf dem Gutenbergprojekt, fand sie später erst gesperrt, dann stellenweise ideologisch verhunzt.)

    Dem gestrigen Kommentar hätte ich im Nachhinein gern das Unnötige genommen. Klarsicht erreicht mich schubweise, wartete ich auf ausreichend Weisheit, ich schriebe nichts. Von daher: alles gut.

    Mir schien es zur Zeit des Werkelöschens nicht weise, den Erstling verbessern zu wollen. Sowas lässt man doch in der Schublade ruhen. – Tut „man“ das? Ich nicht mehr, selbst wenn der Erstling albern bleiben wird. Lange, nachdem ich mit den Büchern auch Möbel hergegeben (viele vom Sperrmüll, da schön gefügt), entdeckte ich die Kommoden im Geiste. Auch dort mieft das Alte.

    Ja, Vergessen lässt sich nicht erzwingen. Das Warum wird klarer mit der Zeit. 2017 las ich kopfschüttelnd, 2019 zürnte ich mir stellenweise selbst in die Datei, wer das bitte geschrieben habe, in Kommentargrün, fett, und mit fassungslosen Fragezeichen. Wie ich auch peinlich berührt eintausend Beiträge aus dem Blog gelöscht, die fünfhundert weniger „schlimmen“ editiert habe, nur um das Ganze Tage später vollends aus dem Netz zu nehmen. (Um 2019 herum fand ich Teile davon in der Wayback Machine wieder, von der ich bis dato nicht gewusst.)

    Das Alte will nicht Schande sein, es fordert Heilung. Heilen will geübt sein. Manchmal lässt mich das Überarbeiten schier versinken im einst Geschriebenen, wird das Zimmer dunkler? Zumindest die Stimmung. Starke Kräfte stellen sich der Klarsicht entgegen, ich ringe. Wenn dann der erste Brocken aus dem Licht geräumt, ist der Weg auch für die Freude frei.

    Eben, beim Lesen im Roman, strömte ohne dies Mühen Erkenntnis (ich berichte hier nicht jede, trotz langer Rede). Gestern wusste ich unvermittelt, warum sich Leute Dichter leisten. Im Verstand war’s klar, aber ungefühlt bis dahin. Hätt’s vorher auch nicht erfassen können.
    Heute empfand ich, das Hereinfahren des Bleistifts in anderer Leute Werk ist nichts Schlechtes. Das Können des Verfassers hat damit zu tun. Hier liest eins und freut sich dran, woanders kocht der Zorn hoch.

    (Soeben genossen: „Text-Ermordung“.)

  9. EMR sagt:

    Das erste Buch war mir ein Vergnügen. Zweites Buch, da hat es mich herausgehauen.

    Es war so schön aufwärtsgegangen, heraus aus dem Anfangselend. Der Schlamm am Ende jedes Winters, feiner Flußschlamm (sic!), der kaum hergeben will, was in ihn eingesunken, vielleicht war das ein Bild für den Schlamm des Unwissens und weiteren Aufstieg, mühsam, aber unaufhaltsam, wo doch ein Anker einst von mehreren Dutzend Mann über Stunden hinweg gelichtet werden musste (wie ich vor Jahren fürs Eigene recherchiert).

    Auch an den Grünen Heinrich dachte ich, habe wegen Heinrichs Entwicklung einen Bildungsroman erwartet, mit versöhnlicherem Ende (habe den Kellerschen Heinrich soeben gegoogelt, ich kannte nur die ungnädige Fassung).

    Ein Teil der Geschichte war noch nicht erzählt, das zweite Buch holt das recht bald nach. Ich habe mich gefreut auf die Klärung des Rätsels um Emilia, unerwartet warf sie mich aus meiner Sicht zurück ins Anfangselend. Danach war klar, die Geschichte entwickelt sich anders als erhofft.

  10. Einen Bildungsroman zu schreiben lag mir ganz fern, obwohl ja beide Hauptfiguren durchaus geeignet sind, dafür herzuhalten. Eher lag mir im Sinn, im Erzählen oder durch das Erzählen dem Scheitern zu trotzen, das dem menschlichen Streben nunmal innewohnt. Allerdings ist immer zu berücksichtigen, dass sich eine Geschichte auch eigenständig entwickelt, zumindest bei mir, siehe hier: https://nwschlinkert.de/2016/05/27/schriftstellern-a-la-carte/

  11. EMR sagt:

    Meinerweiste gebe ich die Blödigkeit des Lesers zu bedenken, war mir doch überm einen der andere entfallen. Ich habe wahrhaftig seinen Namen nicht erkannt, als Emilia ihn nannte.

    Meine Bezauberung durch Buch eins ließ gegen Ende ein wenig nach. Dem klärenden Kapitel von Buch zwei folgt ein Heinrich, den ich nicht ganz wiedererkenne. Gab es eine Schaffenspause, in der er sich dazu entwickelt hat, sind in dieser Zeit die Georgs ins Adamkapitel gefahren, mussten es zwei sein, weil dreien zu schaden war, hätte es auch die milde Variante getan – ich weiß nur, der doppelte Georg hat eine Bedeutung, und ich lese weiter.

    Betreffs des Vorplanens von Handlung, mein Erstling entspringt niedriger Gesinnung. Dem Gefährten wollte ich zeigen, er bringe kein Werk mit Schatzsuchern zu Ende, ich dagegen wohl. Was gab es groß zu planen bei einer Schatzfahrt, das Geschehen ergab sich von selbst.

    Mehrmals wurde ich gefragt, was mein Kapitän wolle. Es half mir nicht auf die Sprünge, in meinen Augen sagte das allein schon der Titel. Trotzdem habe ich versucht, mich zum „Plotten“ zu zwingen, es ging nicht. Also kam das Werk in die Lade, dann in die Tonne.

    Mein Kapitän sucht keinen Schatz, daran lags. Unbemerkt war ich der einstigen Vorgabe entwachsen.

  12. EMR sagt:

    Meinerweiste? — Meinerseits!

  13. Sicher hat sich Heinrich, etwa weil er seine Pubertät durchlebte oder Geschehnisse auf ihn einwirkten, auch mindestens einmal sprunghaft verändert – so etwas muss im Roman nicht immer beschrieben werden oder nachvollziehbar sein. Ist es ja im richtigen Leben auch oft nicht. Zudem ist zu bedenken, dass nicht ich als Autor derjenige bin, der lesend die Geschichte belebt, sondern Sie als Leserin. Im Moment wissen Sie viel mehr von Adam, Emilia und Heinrich als ich.

  14. EMR sagt:

    Ja zu allem. Auch bin zumindest ich als Leser (sic!) in unterschiedlicher Geistesverfassung, siehe auch das Sehvermögen. Mal hemmt geistige Blindheit das Verstehen, mal weicht sie.

    Mein Erfassen ist nicht mehr so eingeschränkt wie damals beim Schreiben des ersten Romans, zu tun gibt es genug (am Erfassen, die Romanüberarbeitung spiegelt nur den Fortschritt). An ‚Ankerlichten‘ bin ich einigermaßen vernagelt herangegangen, kam spät dahinter, ein historischer Roman sei eben dies. Google war mein Freund und erhellte mir den Magister.
    Prompt hat sich die Bezauberung von Buch eins wieder eingestellt, ich habe mit Adam am Fenster gestanden und als Leser gestaunt. Das Anfangselend war gut zu ertragen, weil keine Wertung mitschwang, nun kam ich drauf, auch der Verfasser hält sich heraus.

    Erheitert sah ich Meister Urian als ersten den Anker lichten, drauf das Paar, als letzten Heinrich. Bis zur Verlagsausgabe ist mein Geist wiederum etwas lichter und ich vermag Ihr Werk ein Stück weiter zu erfassen.

    Guten Abend!

  15. Interessant, dass Sie erkannt haben, dass ich mich als Verfasser so weit wie möglich heraushalte – diese Distanz zu den Figuren rührt bei mir nach eigener Einschätzung womöglich daher, dass ich viele Filme der Nouvelle Vague gerade dieser Distanz wegen mag, die Regie und Kamera zu ihren Personen halten. So etwas prägt auch das Schreiben. In Zeiten des Pathos, des Moralisierens und der Empfindsamkeit bin ich damit natürlich nicht gerade en vogue. Und wenn ich es recht überdenke, so wähle ich auch meine Lektüre danach aus, ob die handelnden Personen des Textes Freiheit besitzen oder nur normativ benutzt werden – letzteres macht nun wirklich jeden Text unerträglich.

  16. EMR sagt:

    Betreffs Filmen, mit Siebzehn beschloss ich, den Fernsehkonsum stark einzuschränken und war im Kino beleidigt, wenn der Film vom Buch abwich. TV nutze ich seit der ersten eigenen Wohnung nicht mehr, habe mich noch wenige Male vor die Großleinwand mitschleifen lassen, manches fand ich gut, beleidigt war ich auch wieder. Insgesamt ist das nicht mein Medium, meinethalben gebricht es mir am Verständnis.

    Daher musste mir Google die „Nouvelle vague“ erläutern, nicht immer verhehlt es, ich musste auch lächeln, nannte ich mich doch einst „New Waver“, kurz „Waver“, und hielt damit alles für erklärt.

    Das Heraushalten habe ich — gespürt. Etwas belämmert, erfreut auch, wieder eine Erkenntnis. „Spürt“ doch im eigenen Werk ein Volk dank eines zusätzlichen Sinnes die Wahrheit, ursprünglich eine plump verbaute Angelegenheit, inzwischen gibts auch Probleme. Und da saß ich nun und las ‚Ankerlichten‘, es ging gewaltig um Sexualität und Gott, das passt besser zusammen, als wir allgemein annehmen. Niemand im Roman weiß, was es mit Gott auf sich hat, das ist ein Reden und Fassenwollen, ein Suchen …

    In mir wollte mehrmals Ungeduld aufwallen, sie kam nicht weit, denn ich SPÜRTE, all das ist richtig, es gehört in die Geschichte, zum Magister, ich wusste es wie bei jener kleinen Alltagsbeobachtung, die mich später auf das „Spüren“ meiner Romanfiguren gebracht hat. Ich hatte den Eindruck, da spricht Adam Bernd, ich stehe neben ihm am Fenster, und da erst dämmerte etwas, kam näher, da sprach nicht der Verfasser, es klang so wahr, wie bekam er das hin? Endlich gesellte sich hinzu: das ist ein historischer Roman. Ich kann eine Genrebezeichnung zehnmal sehen, tausend Mal, und doch ihre Bedeutung nicht erfassen, das kann ich. Aber durch mein einst so albernes „Spüren“ komme ich dahinter — was ein Roman alles kann!

    — Den Roman ‚Ankerlichten‘ meine ich, der eigne war mir einige Tage verleidet nach dieser Lektüre. Bin wieder dran, ich wandle derzeit als EMR auf Erden, ich muss (noch?) nicht schreiben können wie N. W. Schlinkert. —

    An jenem Abend habe ich eigens nochmal das Notobook angeworfen und nach Bernd gesucht. Und doch brauchte ich eine weitere Lektürerunde, um mit Meister Urian ebenso zu verfahren, ihn umgab eine Unklarheit, die ihn mir schließlich als „Figur“ erhellte. In der Schulzeit wusste ich vermutlich, wofür er steht, hatte es vollständig vergessen, immerhin kam ich drauf, er sei nachzuschlagen.

    Danach klapperte allerlei herein, ich freu mich auf die Druckausgabe, mit der ich rechne, denn am kleinen Bildschirm konnte ich nicht blättern, der macht aus dem Roman eine schmale, sich meterlang am Boden ringelnde Rolle, der macht es mühsam, im Gelesenen zurückzugehen.
    Es kann also Irrtum liegen im Geklapper, wie doch ausgerechnet Meister Urian jene Wahrheit verkündet, die Adam Bernd gefunden. Zu höhnen glaubt Urian, doch er spricht zu Gregor, dem verdrehten Georg, der nicht zufällig Tischler ist, und der die Verkleidung des Urian stets durchschaut, der also Wahrheit erkennt.

    Wahrheit ist Liebe, für Liebe steht Wasser, den Urian trägt es davon, den Gregor auf dem Schiff, das sehen wir nicht, Amerika lag damals ferner als das Jenseits, neue Welt, neues Leben. Ein anständiger Mensch, der Gregor, fährt so weit, um die Hure zur Gattin zu machen. Nicht der Verfasser, aber einer vom Schlag des Verfassers. Gregor räumt der Wahrheit den Urian aus dem Weg, drum kann der Verfasser sie finden bei Adam Bernd, er kann sie uns bringen, zurückgewinnen aus dem Vergessen.

    Herrlich. Beim nächsten Lesen mag sich alles anders zeigen, auch recht. Fehlt noch ein Verlag, der sich an die Wahrheit traut, er muss es ja nicht bewusst tun. — Fehlt er? Sie ist auch ohne ihn in der Welt, und wie passt „kein Großverlag“ zusammen mit „breites Publikum“, wirkt da der Wächter, bin ich bloß müde, fasle Gespenster, jedenfalls bin ich nüchtern, und da ist auch Freude.

  17. So langsam werde ich immer neugieriger – auf meinen eigenen Roman! Sie als Leser sind im Moment natürlich dem Geschehen und den Figuren, den Menschen um Welten näher als ich. Ich wünschte, ich hätte den einen, konkreten Grund, den Roman wiederzulesen respektive zu überarbeiten, doch dafür müsste sich tatsächlich ein Verlag finden, der den Roman veröffentlichen möchte. Dann könnte ich auch mit triftigem Grund die „Eigene Lebens-Beschreibung“ noch einmal lesen, die Adam Bernd 1738 nach seiner Suspendierung herausgab (Neuausgabe 1973 u. 2013) und die eine der Grundlagen für den Roman darstellt, auch wenn ich mich nicht sklavisch an die Daten gehalten habe – aber das hat z.B. ein Halldor Laxness auch nie getan, wenn er mit historischem Material arbeitete. Wie auch immer: sobald ich wieder einmal Wind bekomme von einem guten Verlag, der Ankerlichten veröffentlichen könnte, versuche ich es natürlich, auch wenn die Chancen nicht größer werden mit der Zeit, sondern schwinden.

  18. EMR sagt:

    Hum. Das letzte Wort wollte ich Ihnen lassen, denn Sie benötigen keinen Rat. Doch das Antwortenwollen durchwallt mich stark, ich gebe ihm nach, bin womöglich noch etwas entkräftet (es muckt da, wie immer, auch eitle Gesprächigkeit).

    Schob sich doch Ihr Roman in die -zigste Lektüre des „Lord of the Rings“, seit einigen Jahren im Original, weil ich in der deutschen Fassung nach etlichen Jahren und mit Erschütterung Schwächen zu erkennen geglaubt und dies der Übertragung in eine andere Sprache angelastet. But, alas!, mit jeder Lektüre sehe ich mehr davon, und gestern abend war die aktuelle abgeschlossen. Wachsende Erkenntnis stürzt die einstigen Heiligtümer, das will verkraftet sein. (Freilich schriebe Tolkien heute anders, damals aber wars sein Bestmögliches und somit richtig.)

    Meine Wahrheit verändert sich, und sie gilt nicht für andere, und doch will angesichts Ihrer ’schwindenden Chancen‘ heraus: Wahrheit hat kein Verfallsdatum. Derzeit ist sie nicht gefragt, das wird sich ändern. Unsere Gedanken haben Kraft, Sie könnten sich die Chancen wachsend vorstellen.

    Die Berndschen Lebensdaten hatte mir Google genannt, und in der „Lebens-Beschreibung“ vermute ich Erhellung zu den Georgs, die ich erst fälschlich für das Eindringen persönlicher Wahrheit gehalten. (Wie es mir bei Marlene Haushofer begegnet, wegen der Wende in „Die Wand“ habe ich den anfangs entzückt verschlungenen Roman nie wieder angefasst, habe die Wende erst begriffen nach Lektüre über Haushofer, ihre Wahrheit entsprach nicht der meinen.) Wohl deshalb hatten mich bei ‚Ankerlichten‘ die Georgs zunächst herausgehauen.

    Wer weiß, womöglich würden zu frühe Überarbeitung, Neulektüre, Verlagsmeinung dem Roman etwas nehmen.

  19. EMR sagt:

    Marlen Haushofer! Fiel mir ohne Suchmaschine ein.

  20. Die Chancen, Ankerlichten tatsächlich adäquat zu veröffentlichen, kann ich mir beim besten Willen nicht wachsend vorstellen, dennoch aber haben Sie recht, was die Kraft der Gedanken angeht. Ich bevorzuge ein schlichtes Entweder-Oder und schließe damit alle Gedanken an den (mir ja nicht zwingend ersichtlichen) Prozess aus, befördere ihn aber zugleich, indem ich den Roman im Gespräch halte und wenn möglich anbiete. Ich nenne diese meine Vorgehensweise gemeinhin Optimistischer Fatalismus, eine Haltung, die mir Engagement ohne Naivität und vor allem auch mein eigenes Werk zu schätzen erlaubt, selbst wenn es (zurzeit) keine oder kaum eine Wirkung hat. Was meine neuerliche Lektüre meines Romans angeht, so bin ich dank Ihrer Eindrücke wirklich wieder neugierig geworden, was denn Ankerlichten so hergibt, und in diesem Punkt ist es sogar so, dass ich durch eine die Lektüre begleitende behutsame Überarbeitung durchaus wachsende Chancen sehe, den Roman veröffentlichen zu können – denn tatsächlich glaube ich trotz allem immer noch daran, dass sich Qualität am Ende durchsetzen wird. Und wenn nichts, ist’s fatal, und wenn doch, phänomenal. Wie gesagt, entweder – oder. Wir werden sehen!

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