Zu Alban Nikolai Herbst: Kleine Theorie des Literarischen Bloggens/11

Derjenige, der nie hinter die Kulissen geschaut hat, wäre doch wohl zu beneiden um seine so gerettete und weiterbestehende Naivität! Wer einmal nur die keuchenden, um Luft ringenden Ballettänzerinnen auf der Seitenbühne am Boden liegen sah, bevor sie wieder hinaus müssen, der sieht Schwanensee fortan mit anderen Augen. Warum also einem Schriftsteller beim Schreiben, beim Dichten zusehen, anstatt das daraus Entstehende allein zu genießen? Naheliegend natürlich: weil daraus nichts weiter entsteht, weil es das schon war. Ist das so? Wenn Alban Nikolai Herbst ein öffentliches Tagebuch führt, so gestattet, nein: will er diesen Blick in die Werkstatt des Schreibens, und eben dies ist Praxis und Wirklichkeit von Die Dschungel. (Auch Jean Paul hat ja mit seiner Vorschule der Ästhetik solch einen Einblick zugelassen, auch wenn es dort eher um die Technik des literarischen Schreibens geht.)

Erinnern wir uns, so schrieb Herbst in seiner Theorie, ein Literarisches Weblog lasse durch sein überindividuell Abstraktes keine emotionale Vertrautheit zu. (S.29) Teil eines solchen Weblogs kann aber das persönliche Tagebuch sein, welches, so schreibt Herbst an anderer Stelle, tatsächlich den Raum einer „sozialen Verpflichtung und Liebe“ beschreibt. Ein Problem könne sich nur ergeben, wenn sich der Leser betrogen vorkomme, etwa weil eine erzählte Geschichte einer Überprüfung nicht standhält. (S.43) An sich aber sei der Wirklichkeitsgehalt einer Geschichte bei einer „intakten Netzbeziehung“ nicht wesentlich, denn das Bedürfnis nach familiärer, verläßlicher Identifikation wirke über die Fiktionen hinweg, letztlich werde auch das Literarische Weblog wie alle Dichtung von einem Betrug getragen. (S.44)

Hier stellt sich die Frage, ob es diese intakte Netzbeziehung geben kann, und wenn ja, ob diese Beziehung nicht eben die selbe ist, die der Leser klassischerweise mit dem Lieblingsdichter hat als einer durch das Buch vermittelten, die aber immer durchaus einseitig ist. Sollte allein die Möglichkeit der Kommentierung durch den Leser aus der ein- eine zweiseitige Beziehung machen? Oder meint Herbst hier nicht doch eher seinen „idealen Leser“, der mitsamt seiner emotionalen Bindung Teil der erzählten Geschichte ist? Unter Umständen wendet sich aber der echte Lese-Mensch, sobald er bemerkt, daß er dem idealen Leser nur als Wirt dient, enttäuscht vom Literarischen Weblog ab und wieder dem Buch zu! Dem Weblog-Tagebuchschreiber schadete dies nicht, doch wömöglich hat der reale Lese-Mensch seine Naivität, seinen Glauben verloren. Ich persönlich meide strikt das Making-of von Filmen, doch es soll sogar Menschen geben, die es sich noch vor dem eigentlichen Film ansehen. Mir unbegreiflich, das!

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