Selten hatte ich Zeiten ohne Tageszeitung, nun werde ich mich bis auf weiteres daran gewöhnen müssen. Ohne die völlig überteuerte Krankenkasse, dem nun immensen GEZ-Beitrag, den hohen Berliner Wasserpreisen und überhaupt der ganzen, nur kleinen Kreisen zugute kommenden Preissteigerung würde ich mir aber natürlich weiterhin eine Zeitung gönnen, wahrscheinlich die Süddeutsche, trotz ihres mäßigen Kulturteils und schlechten Sportteils. Naja, ist ja kein Weltuntergang. So lese ich also (früh-)morgens als erstes den Roman, den ich grad in der Mangel habe, zur Zeit Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften, ohne Zweifel eines der herausragendsten Werke der deutschsprachigen Literatur. Als ich das Werk vor zwanzig Jahren zum ersten Mal las, las ich schon allein meines noch jugendlichen Alters wegen das Werk anders, doch auch schon damals natürlich nicht zur reinen Unterhaltung, sondern im Rahmen meines Soseins als künstlerisch tätiger Mensch, der sich diese Zeit des Lesens immer sofort nehmen muß, allein deswegen, weil ihm aufgrund einer himmelschreienden Ungerechtigkeit im deutschen Rentensystem ja ohnehin keine Ruhestandsrente mit Zeit zum Lesen zuteil werden wird, wie ich damals schon wußte, denn die Bescheidenen, die nur das verdienen, was sie zum Leben benötigen, werden krass benachteiligt gegenüber den Gierigen, den Zusammenraffenden, die nicht genug verdienen bzw. bekommen können, um in überflüssigem Luxus zu schwelgen. Aber was rege ich mich auf, erstens übertreibe ich natürlich glossengemäß ein klein wenig, und zweitens soll doch jeder nach seiner eigenen Façon glücklich werden, was übrigens Friedrich der Große zwar mal so formulierte, dann aber als Aktennotiz verstaubte und somit nicht seinen Mitmenschen und Untertanen übermittelt wurde, so daß diese leider nichts wußten von ihrer Freiheit. Wer weiß, was da in den Akten des ein oder anderen Regimes noch so schlummert an freiheitlichem Gedankengut – was aber natürlich nichts daran ändert, daß man sich die Freiheit ohnehin nehmen muß, nicht nur die des Lesens.
Zeit zum Lesen
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