Das Zeitalter des Sichlustigmachens und des Moralisierens

Viele Menschen machen sich ständig lustig, nicht wenige wirken dabei unfreiwillig komisch. Die meisten dieser Lustigmacher handeln aus verletzter Eitelkeit, aus Neid, aus Mißgunst, aus Gehässigkeit oder sogar aus purer Bösartigkeit heraus. Das ist schlimm, langweilig und schwer zu ertragen, dennoch aber unverkennbar ein Kennzeichen unserer permanent untergehenden Kultur. Eine kleine Minderheit jedoch macht sich nie lustig (und ist es auch nicht), sondern handelt und spricht, und auch Sprechen ist ja ein Handeln, aus einem moralischen Impetus heraus, der nach strikter Ernsthaftigkeit verlangt. Das ist noch unerträglicher, dennoch aber ein Kennzeichen unserer permanent untergehenden Kultur. (Seltsam, daß das Sichlustigmachen schon rein sprachlich etwas Rückbezügliches hat und somit auf die handelnde Person verweist, während die strikt Ernsthaftmoralischen schon rein sprachlich immer auf eine Gesamtheit verweisen, ohne sich dabei als Person zwingend mitmeinen zu müssen.) Ganz wenige Einzelne aber haben weder die Charakterschwäche der Lustigmacher noch Leichen im Keller wie die Moralisten und siedeln gleichsam in einem Zwischenreich, dessen Vorhandensein von allen Seiten bestritten wird, mal in sich lustigmachender Weise und mal in ernsthafter. Dieses Zwischenreich aber ist, gerade auch weil es als solches weder lustig noch ernst genommen wird, ein alle Zeiten überdauerndes, wovon nicht zuletzt die Kunst aller Zeiten kündet, wenn man sie denn zu sehen vermag.

David selbst, Norbert W. Schlinkert

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3 Antworten auf Das Zeitalter des Sichlustigmachens und des Moralisierens

  1. phyllis sagt:

    Sie geht nicht unter, sondern auf, unsere Kultur: wie ein enormer Hefeteig, der gärt und schwillt und langsam, langsam alles integriert und rund macht, das vormals interessante Spitzen hatte. Die Kunst wäre,

    (… doch dazu ein anderes Mal… ; )

  2. phyllis sagt:

    (Grrr. Man kann keine Vertipper nachträglich korrigieren bei Ihnen.)

  3. (Anti-Grr: ich habe eines meiner vielen ’n‘ in Ihren Text hineingeschleudert, und siehe da, genau an die richtige Stelle!)
    Ansonsten gärt es tatsächlich, und die Kunst gerät dr-unter!

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