„Ankerlichten“ in Zeiten der Corona (V)

Was soll man dazu sagen! Das Durchgerütteltwerden unseres Gemeinwesens angesichts des Corona-Virus‘ setzt sich ungerührt fort, Großkapitalisten, Kriminelle und Radikalinskis kochen ihr je eigenes Süppchen, die Kunst als Solches und Ganzes ergeht sich in kostenlosen Streams zur Erheiterung des bürgerlichen Publikums, während sich die Künstler als Solche nach wie vor arbeitend ihren Kunstwerken widmen, die in der Postcoronamoderne womöglich keinerlei Publikum finden werden, was die Künstler aller Gattungen und Geschlechter allerdings nicht im mindesten anfixt, jetzt ist jetzt, nach uns die Sintflut und ein(en) Hoch auf den Optimistischen Fatalismus sage ich da nur und schwenke hinüber zu dem heute zu präsentierenden Ausschnitt aus meinem Roman Ankerlichten mit der Kapitelüberschrift:

DAS GEBÄLK

Nachdem zu Beginn des Winters ein vom Grafen beauftragter Zimmermann das gemästete Schwein abgeholt hatte, war kein Fremder mehr auf dem Hof gewesen. Anfang Februar aber erschienen drei reisende Musikanten, vor Kälte zitternd und schon ganz blaugefroren, und baten um Unterkunft. Der Bauer hat zwar keinen Sinn für dererlei Leute, doch eine Aufheiterung mochte wohl nicht das Schlechteste sein. Vor lauter Langeweile häuften sich die Streitigkeiten in der kleinen Gemeinschaft. Was sollte man schon tun, wenn alles unter einer alten, festgefrorenen Schneedecke lag, abgesehen von den üblichen Arbeiten im Stall und dem Flachsspinnen. Es wäre wohl doch besser gewesen, alle Männer mit Ausnahme von Engelbert Ende Oktober mit dem Ablauf der Verträge fortgeschickt zu haben.

„In den Tod wirst du sie schicken“, hatte seine Frau eingewandt, und am Ende hatte er nachgegeben.

Er erlaubte den Spielleuten, sich für einige Tage auf dem Hof aufzuhalten. Auch Meister Alberti, der nach wie vor stillvergnügt den lieben langen Tag über seinen Büchern saß, wenn er nicht Heinrich im Lesen und Schreiben unterrichtete, schien einer Abwechslung nicht abgeneigt zu sein. Lächelnd sah er zu, wie die Musiker Radleier, Fidel und Flöte auspackten. Bald auch waren Lieder gefunden, die alle kannten. Die Musiker, die aus dem Hessischen stammten, gaben in ihrer Mundart manche Strophe hinzu, was Anlass genug gab, oftmals lauthals in Lachen auszubrechen. Alberti beteiligte sich nicht an dem Treiben und machte sich stattdessen Notizen zu den Liedern, ließ sich aber immerhin überreden, einen Krug Wein aus seinem Vorrat zu stiften, was die Stimmung weiter verbesserte. Eine der drei Mägde, alle Anna mit Namen, nötigte schließlich auch den still in der Ecke hockenden Heinrich zum Tanz, und natürlich lachte man über ihn, weil er sich dumm anstellte und über die eigenen Füße stolperte. Mit hochrotem Kopf lief er unter dem Johlen der Knechte hinaus und zur Scheune, wo er hoch oben im Gebälk einen Platz hatte, den niemand kannte. Dort lag in einer Aussparung sein Messer, immer noch sein einziger Besitz, und Lindenholzstücke, aus denen er Figuren schnitzte.

Behände wie ein Äffchen kletterte er ins Dachgebälk hinauf und kauerte sich auf einen Balken. Der Schnee schimmerte durch die Ritzen der Verschalung. Von der Musik war kaum etwas zu hören, nur ab und an drang ein schriller Flötenton zu ihm herauf. Er ärgerte sich über Anna.

„Die dumme Hexe“, sagte er laut, „die soll sich in Acht nehmen!“

Plötzlich drang Musik in den Hof, kurz nur, die Tür zum Haus wurde sogleich wieder geschlossen. An den näherkommenden Stimmen erkannte er Anna, die ihn so bloßgestellt hatte, und die ältere Anna, die den linken Fuß ein wenig nachzog. Jetzt bloß keinen Mucks von sich geben, dachte Heinrich, als die beiden Frauen die Scheune betraten. Er hielt den Atem an. Zunächst war nichts zu hören. Dann übergab sich eine der Beiden mehrmals und würgte fürchterlich dabei.

„In deinem Zustand so wild zu tanzen“, hörte Heinrich endlich die Ältere sagen, „das kann nicht gut gehen!“

Schweigen, doch heftiges Atmen.

„Meinst du“, fuhr sie fort, „ich wüsste es nicht. Einer der Herren Kaufleute, die im letzten Sommer wegen dem Meister hier waren, hat in der Nacht die Kammer verlassen. Ich habe es gehört!“

Wieder Schweigen, endlich ein Weinen, das zu einem Wimmern wird.

„Auch ich habe gewartet, aber vergebens.“

Leises Lachen, bis es wieder still ist.

„Er hat mir“, sagt nach einer Weile die Jüngere mit belegter Stimme, „über das Fell geleckt, ganz und gar ausgezogen hat er sich, seine Rute stand mächtig, das kann ich dir sagen. Reiten konnte man darauf, bis ins Schlaraffenland hinein!“

Heinrich wurde ganz seltsam zumute. Sein kleiner Pimmel war steif geworden. Das hatten natürlich die so seltsam gesprochenen Worte gemacht. Nach einer Weile, die Frauen schwiegen, schrumpfte sein Pimmelchen wieder zusammen.

„Die Fut hat er mir geleckt, von oben bis unten, und die Brüste hat er mir gerieben und seine Rute dazwischengesteckt“, kam es dann aber plötzlich wieder aus der Tiefe, kehlig und rau. Schon reckte sich Heinrichs Pimmel wieder auf.

„Und dann“, hörte er weiter, „fuhr er in mich und er keuchte so laut, dass ich Angst bekam, der Bauer würde es hören.“

Pause.

„Ja, und bald“, sagte die ältere Anna leise, „kommt der Herr Kaufmann an der selben Stelle als ein neuer Mensch wieder heraus.“

Meister Alberti ging Ende März, als das Wetter milder wurde, auf Reisen, er hatte sich endlich dazu durchgerungen. Es zog ihn nach Amsterdam, um, wie er sagte, die neuesten Bücher der Wissenschaft zu sehen und zu studieren. Das war nicht gelogen, doch der Hauptgrund lag in der zunehmenden Langeweile, die ihn immer mehr bedrückte und ihm oft sogar das Lesen vergällte. Böse, sein guter Freund, mochte schon recht haben mit seiner Einschätzung. Ich bin also, sagte sich Alberti, nichts weiter als ein verkrachter Student, ein unbeschriebenes Blatt, und wer weiß, vielleicht würde ich sogar in Leipzig freundliche Aufnahme finden. Doch es zog ihn zum Meer, zu den Häfen, zu Menschen aller Herren Länder. Die Oberaufsicht über die wenigen verbliebenen, für ihn selbst unwichtigen Bücher gab er Heinrich, außerdem drückte er ihm ein handschriftliches, sauber in Leder gebundenes Glossar in die Hand, das er einmal in Leipzig bei einer Haushaltsauflösung billig erstanden hatte und das die deutschen Worte für zwei- oder dreihundert lateinische Begriffe alphabetisch auflistete. Das war sein Abschiedsgeschenk an den Jungen. So würde er eine Art von Besitz haben. Er hatte ihm seine Beweggründe genannt, selbst wenn Heinrich nicht alles begriff, hatte ihm von Breslau und auch von Leipzig gesprochen, wo er wohl ebenso gut hätte hingehen können, doch seine Wahl sei nun mal auf Amsterdam gefallen, auch, und da knuffte er dem Jungen in die Seite, der hübschen Frauen wegen, denn schließlich konnten ja wohl nicht nur die im Osten die schönsten sein. Heinrich nickte ernst. Ein seltsamer Vogel ist das, dachte Alberti und packte weiter seine Habseligkeiten.

Als das Pferd, eine Gabe des Grafen, gesattelt und alles Gepäck aufgebunden war, sah sich Alberti nach Heinrich um. Er wollte sich in aller Form verabschieden, doch der Junge war nicht zu sehen. Sicher hockt er in irgendeinem Versteck, dachte er, und beobachtet meine Abreise. Und tatsächlich saß Heinrich oben im Gebälk und sah durch einen Spalt, wie der Meister Alberti mit den Bauersleuten sprach, auch mit der schwangeren Anna, der er zum Abschied die Hand auf die Stirn legte. Dann zog er mehrmals kräftig an den Zügeln, um das nervöse Pferd zu beruhigen, und ritt, ohne sich noch einmal umzuwenden, langsam davon.

(…)

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